GROSSE RENNEN VON BELLEVILLE, DAS | Les Triplettes de Belleville
Filmische Qualität:   
Regie: Sylvain Chomet
Darsteller: --
Land, Jahr: Frankreich, Kanada, Belgien 2002
Laufzeit: 80 Minuten
Genre: Animation
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: S-


JOSÉ GARCÍA
Foto: Concorde

Schon in der Anfangsszene stellt Chormet sein Gespür für komplexe Erzählstrukturen unter Beweis: Die Eröffnung von „Das große Rennen von Belleville“ zeigt einen Auftritt der Drillingsschwestern „Les Triplettes de Belleville“ (so auch der Originaltitel) in einem Music-Hall etwa der 30er Jahre. Dieser entpuppt sich allerdings als „Bild im Bild“, denn die Show wird von den eigentlichen Hauptfiguren des Filmes im Fernsehen betrachtet: von Champion und seiner Großmutter, Madame Souza. Der Junge kennt nur eine Leidenschaft: das Fahrradfahren. Die Oma setzt alles ein, damit Champion ein großer Rennfahrer wird, der sich den großen Traum erfüllen kann: an der Tour de France teilzunehmen. Doch während des Rennens entführen Gangster Champion zusammen mit zwei anderen Rennfahrern. Die beherzte Großmutter verfolgt mit Hilfe des Hundes Bruno ihre Spur in die Neue Welt, in die riesige Metropole Belleville, wo sie von den mittlerweile zum schrägen Alt-Damen-Trio gewordenen „Triplettes“ Unterstützung erhält.

Hinter einem nostalgischen Retro-Stil in der Zeichnung nutzt „Das große Rennen von Belleville“ die Verbindung vom herkömmlichen zweidimensionalen Zeichentrick mit der dreidimensionalen Computertechnik für bis in die Details hinein liebevoll gestaltete Dekors und originelle Umschnitte aus. Sylvain Chomet setzt darüber hinaus konsequent auf den ästhetischen Reiz der Figurenüberzeichnung. Dadurch gibt er seinen Figuren deutliche Konturen, ohne sie jedoch in Klischees zu pressen. Es sind wiederum die Details, die aus ihnen Charaktere machen: etwa der Tick der klumpfüßigen Oma, sich immer wieder an die Brille zu fassen, oder die Entwicklung des eher dicklichen Champions zum Rennfahrer, der nur noch aus Oberschenkelmuskeln zu bestehen scheint. Nicht zu vergessen die inzwischen zahnlosen und wunderbar skurrilen Revuesängerinnen, die weiterhin in Shows auftreten.

Chomet bedient sich der Überzeichnung aber auch für seine Kulturkritik: „Belleville“ erscheint als groteske amerikanische Stadt zwischen einer übergewichtigen Freiheitsstatue und der in den bekannten großen Lettern gebildeten Aufschrift „Hollyfood“, in der es von feisten Menschen nur so wimmelt. Der Regisseur persifliert allerdings auch die französische Kultur: die Gangster tragen Baskenmützen, tarnen sich als Rotwein-Importeure und fahren in zu Limousinen umgebauten Enten. Die Zeitschiene benutzt Chomet, um den Wandeln der Pariser Umgebung im Zuge der Verstädterung zu verdeutlichen.

„Das große Rennen von Belleville“ kommt ganz ohne Dialoge aus – die einzigen gesprochenen Stellen des Filmes werden von den in Original belassenen Radiokommentaren der Tour de France gebildet. Dadurch lehnt sich der Film an die auch explizit zitierten Filme Jacques Tatis an. Dafür besteht die Tonspur aus einer wunderbar swingenden Belle-Epoque-Musik der „Triplettes“ mit dem Ohrwurm „Belleville Rendez-Vous“.

Mit „Das große Rennen von Belleville“ beweist Regisseur Sylvain Chomet, dass mit Einfallsreichtum, Originalität und viel Liebe zum Detail der europäische Trickfilm neben den Werken der amerikanischen Großstudios Disney, Pixar und Dreamworks oder der japanischen Animationsschmieden bestehen kann. Und nebenbei auch, dass intelligente Animation durchaus ein Filmgenre für Erwachsene ist.
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