JUNCTION 48 | Junction 48
Filmische Qualität:   
Regie: Udi Aloni
Darsteller: Tamer Nafar, Samar Qupty, Salwa Nakkara, Saeed Dassuki, Adeeb Safadi, Tarik Copti, Sameh Zakout, Ayed Fadel, Hisham Suliman
Land, Jahr: Israel/ Deutschland/ USA 2016
Laufzeit: 97 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 1/2017


José Garcia
Foto: X-Verleih

"Junction" bedeutet Eisenbahn-Hauptknotenpunkt. Am Knotenpunkt 48 lag die palästinensische Stadt Lyd, von der im Jahre 1948 zehntausende Palästinenser vertrieben wurden, um die Stadt mit Juden zu besiedeln. Aus Lyd wurde das israelische Lod, in dem die Palästinenser oder die arabischen Israelis auf israelischem Staatsgebiet in einem Ghetto leben, und das inzwischen zu einem Vorort von Tel Aviv geworden ist. Der Spielfilm "Junction 48" von Regisseur Udi Aloni und seinem Mit-Drehbuchautor Oren Moverman beschreibt das Leben von palästinensischen jungen Menschen zwischen der Drogen- und der Hip-Hop-Szene. Der nun im regulären Kinoprogramm startende Film feierte bei der Berlinale 2016 Premiere, bei der er mit dem Publikumspreis in der Panorama-Sektion ausgezeichnet wurde.

Gleich zu Beginn erlebt der Zuschauer eine Polizeirazzia gegen eine Gruppe Drogendealer, bei der die Polizisten mit einiger Härte vorgehen. Später werden zwar immer wieder willkürliche Polizeiaktionen gezeigt. Aber "Junction 48" konzentriert sich in seiner Haupthandlung auf junge Menschen, die mit ihrer Musik einen Ausweg aus der verfahrenen Lage suchen. Im Mittelpunkt steht Kareem (Tamer Nafar), eine Art Alter ego des Hauptdarstellers Tamer Nafar. Denn ",Junction 48´ ist ein Spielfilm über die wahren Erlebnisse des Hauptdarstellers und Ko-Autors Tamer Nafar, der im Jahr 2000 die arabische Hip-Hop-Szene ins Leben rief", so Regisseur Udi Aloni. Halten sich seine Freunde mit Drogenhandel über Wasser, so versucht Kareem, zusammen mit seiner Freundin Manar (Samar Qupty) als Musiker groß herauszukommen. Schwieriger wird es, als bei einem Autounfall sein Vater (Byan Anteer) ums Leben kommt und seitdem seine Mutter (Salwa Nakkara) an den Rollstuhl gefesselt ist. Manars Familie stellt ihnen darüber hinaus weitere Hindernisse in den Weg: Die traditionelle Familie ist strikt dagegen, dass Manar als Frau auf der Bühne steht. Damit dies eingehalten wird, folgen ihr zwei Cousins auf Schritt und Tritt.

Kareem wendet sich sowohl gegen die willkürliche Gewalt der israelischen Behörden als auch gegen die patriarchalischen Kräfte in der traditionellen palästinensischen Gesellschaft. Die Gewalt der israelischen Behörden verdeutlicht er an einer paradoxen Situation: Ein älterer Palästinenser wird aus seinem Haus vertrieben ? und sein Haus abgerissen ?, um einem "Museum für freundliche Koexistenz" Platz zu machen. Zu diesem Paradoxon heißt es, Israel verkaufe und vermietete nur an Juden. Und: Die Israelis fänden seit 60 Jahren immer erdrückende Beweise nach ihren Gesetzen. Dazu führt Regisseur Udi Aloni aus: Dieses Projekt "gibt es in der Realität in Lod nicht. Und doch existieren ähnliche Stellen in fast jeder jüdisch-palästinensischen Stadt in Israel. Die Universität von Tel Aviv hat ihren Sitz auf den Ruinen des palästinensischen Dorfes asch-Schaich Muwannis. Im Dorf En Hod baute Israel ein Kunstmuseum des Dadaismus in einem palästinensischen Haus, dessen Bewohner vertrieben wurden. Das vielleicht passendste Beispiel ist das Museum der Toleranz in Jerusalem, das auf dem alten Mamilla-Friedhof einer palästinensischen Gemeinde steht."

Dagegen setzt Kareem die Musik als "scharfe Waffe" ein. Er versteht die Kultur als Widerstand. Erst recht, als er zusammen mit seinem Freund und Kollegen Yousef (Adeeb Safadi) es schafft, ein Engagement in einem Club in Tel Aviv zu bekommen. Allerdings kommt es bei diesem Auftritt zu einer Schlägerei mit einer rassistischen jüdischen Rap-Gruppe. Dadurch bringt zwar "Junction 48" die jahrzehntelangen Ressentiments zum Ausdruck. Andererseits zeigt Regisseur Udi Aloni unverhüllt, auf welcher Seite er steht. Denn die israelischen Charaktere werden ziemlich holzschnittartig gezeichnet. Eine differenziertere Charakterzeichnung hätte seinem Film gut getan.

Glaubwürdig und kraftvoll wird "Junction 48" immer, wenn er sich dem Hauptstrang des Filmes widmet, Kareems Musik. Leider wird diese Haupthandlung immer wieder durch Nebenstränge unterbrochen: Neben den bereits erwähnten ? Abriss des Hauses des älteren Palästinensers durch israelische Behörden, Manars Familie ? insbesondere die Drogenaktivitäten von Talal (Saeed Dassuki), dem Manager der Band. Dass er sich mit dem örtlichen Drogenboss anlegt, verspricht nichts Gutes. Dazu kommt noch die Verwandlung von Kareems Mutter von einer Kommunistin ? zusammen mit ihrem Mann singt sie an dem Abend vor dem Verkehrsunfall vor einem Lenin-Porträt ? zur "koranischen Heilerin": Sie wird zu Häusern gebracht, oder Menschen kommen zu ihr auf der Suche nach Heilung, wobei diese eher einem Exorzismus ähnelt.

Die unterschiedlichen Nebenstränge können nur oberflächlich behandelt werden. Das Hin- und Herspringen zwischen den Nebenhandlungen wirkt häufig willkürlich, eine Art Aneinanderreihung von Szenen, die nicht immer etwas miteinander zu tun haben. Eine straffere Dramaturgie hätte "Junction 48" ebenfalls gut getan. Und wenn am Ende die vier Hauptfiguren frontal in die Kamera sprechen, hat das schon etwas von Propaganda. Als wäre es nicht genug mit den wütenden Songs von Kareem und dem Heraufbeschwören der eigenen Geschichte in den Liedern von Manar ("Land meiner Vorfahren").

"Junction 48" zeigt eine junge Generation, die zwischen den Fronten lebt, und die gegen die Unterdrückung sowohl durch die israelische Willkür als auch durch die traditionelle palästinensische Gesellschaft ihren eigenen Weg gehen möchte. Die Musik kann einen solchen Weg darstellen. Dafür wäre die teilweise Überzeichnung nicht nötig gewesen.
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