ORIGINAL COPY - VERRÜCKT NACH KINO | Original Copy - Verrückt nach Kino
Filmische Qualität:   
Regie: Florian Heinzen-Ziob / Georg Heinzen
Darsteller: (Mitwirkende) Sheikh Rehman, Najma Loynmoon, Huzefa Bootwala, Sunil Dange, Surya Kant Mistari, Ashok Parbhaker
Land, Jahr: Deutschland 2015
Laufzeit: 95 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 3/2017


José García
Foto: W-film

Verkehrschaos in einer der bevölkerungsreichsten Städte Indiens - in Mumbai leben etwa 12,5 Millionen Einwohner. Durch den Wahnsinnsverkehr bringt ein Mann auf dem Fahrrad sage und schreibe zehn Filmrollen in ein Kino, das im Zeitalter der Multiplexe aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Das Kino "Alfred Talkies" wurde Ende des 19. Jahrhunderts als Boulevardtheater im quirligen Mumbai Central an der Nahtstelle zwischen Rotlicht-Viertel und Ausgeh-Viertel erbaut. Heute werden dort vor allem sogenannte B-Movies, Actionstreifen aus den neunziger Jahren gezeigt, in denen viel geschossen und noch mehr geprügelt wird. "Alfred Talkies"-Manager Huzefa Bootwala bringt es auf den Punkt: "Ein guter Film ist wie ein gutes Curry: Es kommt auf die Mischung an. Der Held muss stark sein. Er muss gegen das Böse kämpfen und am Ende gewinnen. Es sollte jede Menge Aktion geben und etwas, das richtig Boom macht. Eine kurze, romantische Szene ist auch okay. Aber wenn der Held am Ende stirbt, das mögen die Zuschauer nicht."

Dementsprechend reißerisch sehen auch die Filmplakate aus, mit denen der jeweilige Film vor dem Kino beworben wird. In ihrem Dokumentarfilm "Original Copy - Verrückt nach Kino" schauen die deutschen Filmemacher Florian Heinzen-Ziob und Georg Heinzen dem Plakatmaler Sheikh Rehman und seinen Helfern bei der Entstehung eines solchen Filmplakates zu. Denn Sheikh Rehman ist einer der letzten seiner Zunft: Er malt mit traditionellen Farben auf Leinwand, so dass seine Werke als "originale Kopien" bezeichnet werden können. Der Zuschauer erlebt, wie in der kinoeigenen Werkstatt ein solches Filmplakat entsteht. Als erstes wird über die gesamte Leinwand ein Raster gelegt, das die Proportionen festlegt. Rehmans Helfer machen die Zeichnung, die dem Kinomanager Huzefa Bootwala zur Begutachtung vorgelegt wird. In grellen Farben, die der Meister teilweise selbst anrührt, werden dann Bösewichte, Helden und vor allem die Heldin des Films gemalt. Die Requisiten - etwa eine Pistole oder ein Hubschrauber im Hintergrund - spielen dabei eine bedeutende Rolle, um zusammen mit den überlebensgroßen Figuren einen ersten Eindruck von der Handlung des Filmes zu vermitteln.

Die Kamera von Enno Endlicher nimmt meistens eine beobachtende Stellung ein, um Rehmans Arbeitsteam nicht nur bei der Arbeit, sondern auch bei ihren Gesprächen und kleinen Feiern zuzuschauen. Nach und nach, etwa in kleinen Interviewausschnitten mit Rehmann, wird das Drama im Leben des äußerlich so selbstsicher, ja autoritär auftretenden Malers deutlich: Sein Vater, ein "richtiger" Künstler, hinterließ ihm ein schweres Erbe. Von ihm lernte er alles. Aber seine eigenen Söhne wollten keine Maler mehr werden, denn sie haben begriffen, dass dieser Beruf keine Zukunft habe. Rehman leidet unter der Geringschätzung, die seine Söhne seiner Arbeit entgegenbringen. Immer deutlicher wird dem Zuschauer, dass es Sheikh Rehman weder um Geld noch um Ruhm geht, sondern um die Anerkennung durch seine Söhne.

Um Familienbande geht es ebenfalls in den Gesprächen mit Kinobesitzerin Najma Loynmoon, die einst den alten Filmpalast von ihrem Großvater übernahm. Doch dies nur, weil er keine männlichen Erben hatte. Denn eigentlich hielt der Großvater eine Frau für ungeeignet, den Kinobetrieb zu führen. Wenn Najma allen Kaufangeboten von Investoren zum Trotz ? die den Filmpalast abreißen wollen, um ein Appartementhaus an dessen Stelle hochzuziehen ? an ihrem alten "Alfred Talkies" festhält, dann tut sie es zwar wegen der Mitarbeiter, denen sie sich verpflichtet fühlt. In ihrer Haltung schwingt jedoch auch ein gewisser Trotz, es dem Großvater zu zeigen. Wie nah für Najma Loynmoon, deren Kinderzimmer direkt über der Leinwand lag, Kino und Leben beieinanderliegen, wird deutlich, als sie vom Tod ihrer eigenen Tochter erzählt: Die Filme hätten ihr die Kraft gegeben, mit dem Schicksalsschlag umzugehen. Als ihre Tochter bei einem Asthmaanfall in ihren Armen gestorben sei, habe sie sich vorgestellt, es sei eine Szene aus einem Film.

Mit berührenden Momenten spart "Original Copy - Verrückt nach Kino" denn nicht. So berichtet Manager Bootwala mit tränenerstickter Stimme, er kümmere sich weiterhin um die Geschäfte wie seit 35 Jahren, weil Najma Loynmoon ihn und seine Familie immer wieder unterstützt habe. Kein vernünftiger Geschäftsmann würde dieses Geschäft noch betreiben. Aber: "Wir tun das, weil wir keine andere Wahl haben."

Ein gewisser Fatalismus scheint zwar in "Original Copy - Verrückt nach Kino" immer wieder durch. Kinobesitzerin, Manager und auch der Leinwandmaler wissen, dass die Tage des "Alfred Talkies" gezählt sind. "Deine Zeit ist vorbei", sagt Sheikh Rehman zu sich selbst. Dennoch überwiegt eher eine gewisse Melancholie, die sich durch den ganzen Dokumentarfilm zieht. Einen starken visuellen Ausdruck für den ephemerischen Charakter der Kunst von Sheikh Rehman finden die Filmemacher in den letzten Minuten ihres Filmes: Das Plakat, an dem der Maler und seine Gehilfen tagelang gearbeitet haben, und dessen Entstehung der Zuschauer im Laufe des Dokumentarfilmes erlebt hat, wird von der Kinofront nach einer Woche abgenommen. Mit dem Programmwechsel soll es seinen Platz für das nächste Plakat räumen. Das alte Plakat kommt wieder in die Werkstatt, wo eine Farbschicht das alte Bild gänzlich überdeckt. Nun kann wieder einmal ein Raster gezogen werden. Ein neues Plakat entsteht, dessen Dauer offensichtlich genauso flüchtig sein wird.
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