ES WAR EINMAL IN DEUTSCHLAND | Es war einmal in Deutschland
Filmische Qualität:   
Regie: Sam Garbarski
Darsteller: Moritz Bleibtreu, Antje Traue, Tim Seyfi, Mark Ivanir, Anatole Taubman, Hans Löw, Pál Mácsai, Václav Jakoubek
Land, Jahr: Deutschland, Luxemburg, Belgien 2017
Laufzeit: 102 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 4/2017
Auf DVD: 9/2017


José García
Foto: X-Verleih

Frankfurt am Main, 1946. Der jüdische Kaufmann David Bermann (Moritz Bleibtreu) hat den Holocaust überlebt. Er träumt von Amerika, wo er ein neues Leben beginnen möchte. Wie soll er aber das Geld für die Überfahrt und für den Start in der Neuen Welt beschaffen? In einer späteren Szene von Sam Garbarskis Film "Es war einmal in Deutschland", der in der "Special Gala"-Reihe der diesjährigen Berlinale uraufgeführt wurde und nun im regulären Kinoprogramm startet, erzählt Bermann vom Kaufhaus in der Frankfurter Innenstadt, das vor 1933 seinen Eltern gehörte. Auch er ist Kaufmann durch und durch. So kommt er auf den Gedanken, nach dem Krieg brauchten die Deutschen vor allem feinste Weißwäsche. Die Geschäftsidee ist zwar geboren. Aber im Jahre 1946 braucht David Bermann dafür eine Lizenz von der amerikanischen Militärregierung.

Die Lizenzerteilung lässt noch auf sich warten ? bald wird Bermann auch erfahren, warum. Da er aber nicht warten möchte, sucht er unter den "displaced persons" im Frankfurter Auffanglager Geschäftspartner. Seine fünf Geschäftsfreunde Fajnbrot (Tim Seyfi), Fränkel (Anatole Taubman), Szoros (Pál Mácsai), Verständig (Hans Löw) und Krautberg (Václav Jakoubek) besorgen ihm die Verkaufslizenz. Bermann, der eher wegen seiner Eloquenz und des Schalks im Nacken denn wegen des dünnen Schnurbarts an Groucho Marx erinnert, bringt seinen Geschäftspartnern bei, was "Teilacher" (jiddisch für "Hausierer") eigentlich bedeutet: "Teilachen ist eine Kunst. Es geht nicht darum, einen Fuß in die Tür zu stellen. Teilen kann jeder, was zählt, ist die Show, la Grand opéra. Am Ende müssen euch eure Kunden praktisch auf Knien anflehen, etwas kaufen zu dürfen." Wie das geht, was für eine Chuzpe und auch welche Tricksereien Bermann an den Tag legt, um die Ware vorwiegend an Kriegswitwen zu bringen, zeigt "Es war einmal in Deutschland" auf teils groteske, teils witzig-amüsante Weise.

Bald floriert das Geschäft. Wenn es so weitergeht, werden die Geschäftsfreunde bald das Geld für ein neues Leben zusammenbekommen haben. Allerdings gibt es bei David Bermann noch ein Problem. Die Kollegen wundern sich, dass er immer wieder für ein paar Stunden verschwindet. Der Geschäftsmann muss zu Verhören. Denn für die Alliierten ist es keineswegs klar, warum ausgerechnet er das Konzentrationslager überlebte. Sogar von einem Besuch auf dem Obersalzberg ist die Rede. Sara Simon (Antje Traue), amerikanische Offizierin mit deutschen Wurzeln, soll die Wahrheit über Davids Überleben herausfinden: Warum genoss er im Konzentrationslager eine besondere Behandlung? Hat David womöglich mit den Nazis paktiert? Die abenteuerliche Geschichte, die er der US-Offizierin auftischt, erzählt "Es war einmal in Deutschland ..." in Rückblenden.

"Es war einmal in Deutschland" basiert auf den 2010 beziehungsweise 2012 erschienenen Romanen "Die Teilacher" und "Machloikes" (ebenfalls jiddisch für "Machenschaften") von Michel Bergmann, der das Drehbuch in Zusammenarbeit mit Regisseur Sam Garbarski verfasste. Über den Ursprung dieser Schelmenromane führt Michel Bergmann aus: "Mein Vater hatte kurz nach dem Krieg aus Paris kommend in Frankfurt wieder einen Wäschegroßhandel aufgemacht, zusammen mit seinem Bruder David, und hatte Handelsreisende, die über Land fuhren, um den Leuten, ganz ähnlich wie im Film, Wäschepakete aufs Auge zu drücken. Die Idee, daraus eine Geschichte zu machen, hatte zwei Gründe. Zum einen wollte ich meinem verstorbenen Onkel David ein Denkmal setzen, der der ,König´ der Teilacher war und ein grandioser Witzeerzähler. Der andere Grund war, dass es über die Einwanderung der jüdischen Holocaustopfer nach Deutschland bis dato nichts zu lesen oder sehen gab. Es war ein weißer Fleck im kollektiven Gedächtnis der Deutschen."

Regisseur Garbarski bietet trotz einiger kulissenhaft anmutenden Stellen einen sehr gut ausgestatteten Film. Die Filmmusik schwankt zwischen fast Western-Musik und einer beschwingten Tonart, die eher dem Gaunerfilm entnommen zu sein scheint. Sie unterstützt das Schelmenhafte an der Handlung und insbesondere an der Hauptfigur des David Bermann. Der Witz erwächst nicht nur aus der Situationskomik, sondern auch aus den Dialogen, die von einem "jüdischen Witz" durchdrungen sind, von dem Michel Bergmann sagt: "Der ist gar nicht so lustig, sondern eher philosophisch." Ein Beispiel: Auf Fajnbrots Einwand "Dein Freund ruiniert unseren guten Ruf", antwortet David: "Seit wann haben Juden einen guten Ruf?". Und dann natürlich auch David Bermanns Spruch: "Hitler ist tot, aber wir leben noch!".

Den Krieg hatten etwa 15 000 Juden außerhalb der Konzentrationslager in Deutschland - in Verstecken, in "Mischehen" oder einfach nur zufällig - überlebt. Bereits 1945/46 kam es in mehr als 60 Städten Ost- und Westdeutschlands zur Neugründung jüdischer Gemeinden. Mit der Gründung des Staates Israel 1948 schrumpfte ihre Zahl auf etwa 30 000. War es für einen Juden nach dem Holocaust möglich, in Deutschland unter ehemaligen Tätern und Mitläufern ein neues Leben zu beginnen? Was bewegte sie, entweder in Deutschland zu bleiben oder gar nach Deutschland zurückzukehren? Diese und andere Fragen wie etwa: Hing ein Überleben lediglich vom Glück ab? streift zwar "Es war einmal in Deutschland". Die Betonung der schelmischen Elemente der Geschichte, die zudem eher episodenhaft daherkommt, lassen jedoch einer stimmigen Handlung kaum Raum. Den tiefergehenden ernsten Fragen erst recht nicht.
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