EINMAL BITTE ALLES | Einmal bitte alles
Filmische Qualität:   
Regie: Helena Hufnagel
Darsteller: Luise Heyer, Jytte-Merle Böhrnsen, Patrick Güldenberg, Sunnyi Melles, Maximilian Schafroth, Stefano Bernardin, Jessica Schwarz
Land, Jahr: Deutschland 2017
Laufzeit: 85 Minuten
Genre:
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: X +
im Kino: 7/2017


José García
Foto: filmschaft maas & füllmich GmbH

Die Zeiten, in denen auf Ausbildung oder Studium ein halbwegs gesichertes Arbeitsverhältnis folgte, sind längst vorbei. Heute muss in den meisten Berufen zunächst einmal mindestens ein Praktikum absolviert werden, ehe sich die Chance auf eine feste Arbeitsanstellung überhaupt eröffnet. Deshalb spricht man von "Generation Praktikum" — Menschen, die sich mehr oder minder schnell auf die Dreißig zubewegen, die aber ihren Platz im Leben noch nicht richtig gefunden haben. Die Kehrseite der Medaille: Nicht nur von einer "Midlifecrisis" ist die Rede, sondern auch schon von einer "Quarter-Life-Crisis".

In einer solchen "Viertelleben"-Krise befindet sich Isabel, die alle nur Isi (Luise Heyer) nennen, im Spielfilm "Einmal bitte alles" von Regisseurin Helena Hufnagel und ihren Mit-Drehbuchautorinnen Sina Flammang und Madeleine Fricke. Die 27-Jährige schaffte zwar das Grafikdiplom. Dies hat jedoch bislang nur dazu geführt, dass sie als Verlagspraktikantin ihrer Chefin Frau Finsterwalder (Sunnyi Melles) den Kaffee bringen darf. Ihre Eltern meckern außerdem an ihrem Lebensentwurf herum. Isi möchte Illustratorin werden und damit ihren Traum von einer erfolgreichen Karriere verwirklichen. Sie hat angefangen, eine Graphic Novel zu F. Scott Fitzgeralds Roman "Die Schönen und Verdammten" (1922) zu zeichnen, aus dem immer wieder Passagen aus dem Off von der Schauspielerin Jessica Schwarz vorgetragen werden.

Ohne ihre beste Freundin und Mitbewohnerin Lotte (Jytte-Merle Böhrnsen) wäre Isis Leben ganz schön öde. Aber mit Lotte kann sie sich in diesem "Zwischenstadium" doch noch einrichten. Die beiden klauen beispielsweise Gin-Flaschen und beobachten "Looser" auf Facebook, um sich "schöner und erfolgreicher" zu fühlen. Mögen sonst alle um sie herum so erwachsen und erfolgreich sein, mit Lotte fühlt sich Isis Leben nicht so unerfüllt an. Plötzlich aber schlägt sich Lotte auf "die andere Seite": Sie bekommt eine richtige Arbeitsstelle ausgerechnet im Verlagshaus, in dem Isi als Praktikantin tätig war, was sich für sie wie ein kleiner Verrat anfühlt. Auf einmal hat Lotte außerdem einen festen Freund, und wird auch noch schwanger.

Spätestens als Isi und Lotte mit zwei neuen Arbeitskolleginnen ihrer Noch-Freundin am Küchentisch sitzen und die drei anderen, eine hochgesteckte Frisur tragend, veganen Wein trinken und sich Bilder vom süßen Nachwuchs anschauen, wird Isi klar, dass sie nicht mehr hierher gehört, zumal Lottes Freund Leo (Stefano Bernardin) in ihre Wohnung zieht. Als zu allem Überfluss auf der Decke ihres Zimmers Schimmel auftaucht, steht für Isi der Entschluss fest, sich eine neue Bleibe zu suchen. Sie muss in die schmuddelige WG des Möchtegern-Musikers Klausi (Maximilian Schafroth) wieder einziehen. Einziger Lichtblick: Der Mitbewohner Daniel (Patrick Güldenberg), ein ziemlich skurriler Medizinstudent, der für das Physikum paukt. Isi fühlt sich dennoch auf dem Tiefpunkt, zumal ihr Praktikum vorzeitig beendet wurde: "Ich habe das Gefühl, mein Leben geht rückwärts." Aber sie begreift, dass sie selbst ihr Leben in den Griff bekommen muss.

Regisseurin und Mit-Drehbuchautorin Helena Hufnagel bezeichnet ihr Spielfilmdebüt "Einmal bitte alles" als "Coming-of-Age-Age"-Film: "Meiner Meinung nach hat sich das Erwachsen-werden auf Ende zwanzig verlagert. In Coming-of-Age-Filmen geht es ums Erwachsen-werden mit sechzehn. In unserem Coming-of-Age-Age geht es um das Erwachsen-werden Ende zwanzig. Mit sechzehn hat man einen Freifahrtschein und wird als Teenager behandelt. Aber mit Ende zwanzig hat man den nicht mehr. Man ist auf sich allein gestellt und der Rechtfertigungsdruck ist viel größer. Man fragt sich, ob die eigenen Träume irgendwann ein Ablaufdatum besitzen und versucht sie zu realisieren, bevor es peinlich wird."

Häufig wirken die Bilder in "Einmal bitte alles" nicht ganz kinotauglich. Sie erinnern zu sehr an Fernsehfilme, was auch für einige Charaktere gilt. Ebenfalls scheint die Dramaturgie zu sehr aus einzelnen Episoden zu bestehen. Und auch die Off-Kommentare beziehungsweise Zitate aus F. Scott Fitzgeralds "Die Schönen und Verdammten" nehmen sich etwas aufgesetzt aus. Dass darüber hinaus so gut wie alle Figuren in einer permanenten Torschlusspanik leben, womit sie das Erreichen des 30. Geburtstag meinen, ermüdet auf die Dauer ebenfalls. Dennoch überzeugt insbesondere Luise Heyer, die nach ihren beeindruckenden schauspielerischen Leistungen in "Jack", "Auf einmal" und "Die Reste meines Lebens" endlich einmal eine richtige Hauptrolle bekommt: Sie verkörpert die orientierungslose und über weite Strecken antriebslose Isi — als es beispielsweise darum geht, sich einen neuen Job zu suchen, schreibt sie eine Bewerbung! — sehr glaubwürdig. Für ihre Rolle wurde Luise Heyer im Wettbewerb des diesjährigen Max-Ophüls-Filmfestivals als beste Nachwuchsschauspielerin nominiert. Aber auch Sunnyi Melles bleibt trotz ihrer wenigen Auftritte als herrische Verlagsleiterin — "Der Teufel trägt Prada" lässt grüßen — in bester Erinnerung.

Regisseurin Hufnagel vermittelt außerdem einen guten Eindruck der Stimmungsschwankungen, denen Endzwanziger ausgesetzt sind, die noch zwischen Studium und "ernstem Leben" steckenzubleiben scheinen. Darüber hinaus liefert "Einmal bitte alles" interessante Einsichten über junge Menschen, die dem hohen Druck der Leistungsgesellschaft ausgesetzt werden.
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