PARADIES | RAY
Filmische Qualität:   
Regie: Andrei Konchalovsky
Darsteller: Julia Vysotskaya, Christian Clauss, Philippe Duquesne, Victor Sukhorukov, Peter Kurth, Jakob Diehl
Land, Jahr: Russland, Deutschland 2016
Laufzeit: 131 Minuten
Genre:
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X -
im Kino: 7/2017


José García
Foto: Alpenrepublik

Frankreich, 1942. Polizist Jules (Philippe Duquesne) ist davon überzeugt, nur seine Pflicht zu tun, wenn er im Auftrag der deutschen Besatzer Verdächtige verhört. Nun wurde bei einer Razzia die adlige Exilrussin Olga (Julia Vysotskaya) verhaftet, die in Paris als Redakteurin bei einer renommierten Modezeitschrift arbeitet. Sie soll zwei jüdische Kinder bei sich versteckt haben. Vor Jules streitet sie zwar alles ab, aber in Wahrheit engagiert sie sich seit Jahren im Widerstand gegen die Deutschen. Als sie keinen Ausweg mehr sieht, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen, die der geschickte Ermittler mit seinen Fragen immer enger um ihren Hals zieht, macht sie ihm eindeutige Avancen.

Dabei ist Jules ein zwar strenger, aber freundlicher Vorgesetzter, und zu Hause in der herrschaftlichen Villa ein biederer Familienvater. Vor Olgas Angebot enthüllt er jedoch seinen korrupten Kern. Jules lässt alles für das Rendezvous mit der russischen Widerstandskämpferin vorbereiten. Dazu wird es aber nicht mehr kommen. Das Ausbleiben des französischen Polizisten führt dazu, dass Olga in ein Konzentrationslager abtransportiert wird.

Im Konzentrationslager trifft die russische Adlige auf einen alten Bekannten. Regisseur Andrei Konchalovsky und seine Mit-Drehbuchautorin Elena Kiseleva führen den SS-Offizier Helmut (Christian Clauss) mit einer Rückblende ein, die ins Italien des Jahres 1933 zurückführt. Die schwarz-weißen Aufnahmen des Kameramanns Alexander Simonov leuchten auf einmal und kontrastieren dadurch mit der eigentlichen Handlung. Bilder einer unbeschwerten, aber längst vergangenen Zeit. In der Toskana verliebte sich Helmut in die aparte Olga. Nun ist er aber von SS-Reichsführer Heinrich Himmler persönlich ins Konzentrationslager abkommandiert worden, um nach dem Rechten zu schauen. Denn seit geraumer Zeit zirkulieren Gerüchte, dass die Lagerleitung völlig korrupt sei, und ihren eigenen Vorteil über ihren "Dienst" stelle.

Eigentlich ist der junge Deutsche adliger Herkunft ein Schöngeist, der davon träumt, auf dem elterlichen Gutshof ein geruhsames Leben mit seinen Büchern und seiner Musik zu verbringen. Als glühender Verehrer Adolf Hitlers glaubt er dennoch an die Vision vom "deutschen Paradies auf Erden". Obwohl die schon damals verheiratete Olga in der Toskana den jungen Helmut nicht ganz ernst nahm, sucht nun der SS-Offizier die Nähe der Widerstandskämpferin. Er holt sie als Haushälterin in seine Dienstvilla. Kann es eine Zukunft für die beiden geben? Regisseur und Mit-Drehbuchautor Andrei Konchalovsky erzählt die Geschichte seiner drei Figuren parallel. Die sich überschneidenden Erzählstränge werden darüber hinaus immer wieder von Gesprächen mit Jules, Olga und Helmut unterbrochen, die in neutraler Kleidung frontal in die Kamera schauen. Sie antworten in langen, unbeweglichen Einstellungen auf die Fragen einer dem Zuschauer nicht sichtbaren Person. Diese "Verhöre" werden durch Kratzer oder auch durch ein Ruckeln als alte Archivaufnahmen gekennzeichnet, was den Szenen einen dokumentarischen Charakter verleiht. Das außergewöhnliche Stilmittel lässt jedoch andere Interpretationen zu, zumal die drei "Verhörten" nicht nur über den Fortgang der Handlung, sondern auch über ihren Charakter und ihr eigenes Verhalten Auskunft geben, und zwar je auf Russisch, auf Deutsch und auf Französisch. Der Einsatz des Leinwandformats 4:3 und der strengen Schwarz-Weiß-Bilder unterstreichen die klaustrophobische Anmutung, die sich in den Verhörräumen, vor allem aber in den Konzentrationslagern widerspiegelt. Über seinen Film führt Andrei Konchalovsky aus: "Die Menschheitsgeschichte steckt voller Tragödien. Die meisten von ihnen sind im kollektiven Gedächtnis verankert als Untaten, von denen wir glauben, dass sie sich in unserer heutigen Zeit keinesfalls wiederholen könnten. Der wohl tragischste Wendepunkt der jüngeren Geschichte war der Aufstieg der Nationalsozialisten und die Vernichtung von Millionen von Juden und anderen, die nicht in das Nazi-Ideal vom ,perfekten deutschen Paradies´ passten. ,Paradies´ spiegelt ein 20. Jahrhundert mit all seinen großartigen Visionen, die unter Schutt und Asche begraben wurden, die Gefahren von hasserfüllter Rhetorik und die Erkenntnis, dass die Menschheit die Macht der Liebe braucht, um über das Böse zu obsiegen." Der idealistische Nazi Helmut wollte Hitlers "deutsches Paradies auf Erden" mit verwirklichen. Stattdessen schufen sie in den Konzentrationslagern eine Hölle auf Erden. Bezeichnenderweise zitiert Andrei Konchalovsky beim Eingang ins KZ den berühmten Ausspruch aus Dantes "Göttliche Komödie" am Höllentor in Original: "Lasciate ogni speranza, voi ch´entrate!" ("Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!"). Nicht um das Paradies auf Erden geht es aber in Konchalovskys Film. Die Aussage der Verhörten: "Ich habe gesündigt" und die letzten Worte: "Tritt ein!" lassen keinen Zweifel aufkommen, dass es sich bei den Verhören um kein menschliches Gericht handelt.

Auf dem Filmfestival von Venedig wurde "Paradies" mit dem Silbernen Löwen für den besten Regisseur ausgezeichnet. Die russischen Filmkritiker bedachten ihn mit den Preisen "Bester Film", "Beste Regie" und "Beste Kamera". Darüber hinaus wurde der Film von Russland als Anwärter für den Oscar 2017 in der Kategorie "Nichtenglischsprachiger Film" eingereicht.
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