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José Garcia Foto: ARD ![]() Mit-Drehbuchautor und Regisseur Dirk Kummer hat einige Kindheitserinnerungen in den Film einfließen lassen. Im fiktiven Stadtname "Falkenwerder" ist beispielsweise das brandenburgische, am nordwestlichen Rand Berlins liegende Falkensee unschwer zu erkennen, wo Dirk Kummer aufwuchs. Auch der Filmtitel "Zuckersand" geht auf eigene Kindheitserfahrungen zurück. Solche autobiografische Elemente schlagen sich in präzise gezeichneten Figuren nieder, die von den großartigen Erwachsenen- und Kinderdarstellern sensibel und glaubwürdig gestaltet werden. Kummer verzichtet auf übliche DDR-Klischees. Kameramann Christian Marohl beschwört vielmehr die Bilder einer behüteten Kindheit herauf. Es wird konsequent aus der Sicht der Kinder erzählt, die sich für ferne Länder, aber auch für Erstaunliches interessieren, etwa als Kaczmareck ihnen von dem Fisch erzählt, der 6 000 Kilometer schwimmen kann. Zusammen mit dem Bumerang wird dieser Fisch zum Symbol für den Drang nach Freiheit. Auch wenn der Film eine tragische Wendung nimmt, weshalb "Zuckersand" keineswegs ein Kinderfilm ist, bleibt Hoffnung, etwa in der Wandlung, die Freds Mutter Michaela vollzieht. Interview mit Mit-Drehbuchautor und Regisseur Dirk Kummer Woher kommt der Ausdruck "Zuckersand"? Es ist lustig, dass das immer die erste Frage in Interviews ist. Es handelt sich um einen ostdeutschen Begriff. Der meint den weißen Sand, den man findet, sobald man in Brandenburg etwas gräbt. Der ist so lose wie Zucker. Einen solchen Begriff haben wir im Sandkasten gehabt. Der Zuckersand steht auch für den Sand, der in einer Sanduhr als Lebenszeit abläuft. Im Film ist er allerdings etwas dunkler geraten, weil wir in einem Stahlwerk gedreht haben, wo es nur dunklen Sand gab. Sie sprachen vom Sandkasten. Würde ein Brandenburger, ein Ostdeutscher beim Titel "Zuckersand" an einen Kinderfilm denken? Wahrscheinlich ja. Als es um die Finanzierung des Films ging, war das große Problem, dass zwar die Hauptrollen zwei Kinder spielen, aber "Zuckersand" ein Film für Erwachsene ist. Das war nicht einfach zu kommunizieren. Wenn er nicht so dramatisch gewesen wäre, hätte ich ihn sofort drehen können. Mit dieser Geschichte ging es aber nicht so leicht. War die Entwicklung des Films so kompliziert? Das Drehbuch habe ich vor 16 Jahren angefangen zu schreiben — da war der Hauptdarsteller noch gar nicht geboren. In diesem Stadium war es auch erfolgreich: Ich habe einen Drehbuchpreis gewonnen. Dann habe ich versucht, einen Kinofilm daraus zu drehen, aber die Förderung kam nur stückchenweise. Irgendwann ist es hinten ?runtergefallen durch die ganzen großen DDR-Filme wie "Das Leben der Anderen" oder "Goodbye Lenin". Deshalb habe ich ihn zunächst weggelegt. "Wenn die Geschichte stark bleibt und sich Menschen finden, die sich dafür interessieren, können wir es dann machen", dachte ich. Und nun hat "Zuckersand" den diesjährigen Bernd-Burgemeister-Fernsehpreis gewonnen. Ist nun nach den "großen" DDR-Filmen die Zeit gekommen, auch Geschichten über den DDR-Alltag zu erzählen? Mir war es auch nicht so klar, dass solche Alltagsgeschichten noch nicht erzählt wurden. Beim Filmfest München und dem Festival des deutschen Films in Ludwigshafen, also im alten Westdeutschland, wurde mir immer wieder gesagt: "Das haben wir gar nicht gewusst". Es ist so viel für die Überwindung der Teilung getan worden, aber solche Geschichten sind noch unbekannt. Mich macht es glücklich, dass man jetzt auch besser verstehen kann, was die DDR war, dass die DDR ein Staat der Demütigung der kleinen Leute war — nicht nur, wenn man sich politisch engagierte. Man hat jedem das Leben schwer gemacht, der anders gedacht hat. Die DDR hat mit Angst funktioniert. Ein Beispiel: Wir wohnten in einem Plattenbau. Sobald wir die Wohnung verlassen haben, fing meine Mutter an zu flüstern. Denn auf jeder Etage waren Leute, die mitgehört haben. An der Figur von Freds Vater wird deutlich, dass ein solches Regime nur überleben kann, wenn viele Menschen davon überzeugt sind ... Günther will seiner Familie ein besseres Leben anbieten, als er vielleicht als Nachkriegskind erlebt hat. Und dazu gehörte in der DDR, dass man mitmachte, dass man eine Uniform anzog oder in der Partei war. Nach der Wiedervereinigung mussten sich viele fragen: Was habe ich mit meinem Leben gemacht? Mir ist im Westen erstmals klargeworden, wie unpolitisch man aufwachsen kann mit den Problemen, die eben ein Kind hat. Ich bin in Berlin-Mitte groß geworden, umgeben von Propaganda über den Sozialismus. Olivia, Jonas? Mutter, ist eine gläubige Christin. Warum haben Sie diesen Aspekt an der Figur betont? Christlicher Glaube war in der DDR verpönt. Es gab in jeder Klasse drei oder vier Kinder, die zum Religionsunterricht gingen. Ich bin erst als Erwachsener getauft worden, denn meine Eltern waren nicht in der Kirche. Aber mich hat es als Kind wahnsinnig interessiert: Wo gehen diese Kinder hin? Sie sahen für mich glücklicher aus. Sie hatten auch ein liberaleres Elternhaus. Es waren freilich meistens die Kinder, die weggegangen sind. Und wenn sie geblieben sind, waren sie Außenseiter. Mein bester Schulfreund war Pazifist. Seine Eltern waren kirchlich eingebunden ... Er bekam keinen Studienplatz. In einer Szene sagt die Stasi zu Freds Mutter: "Sie kommen hier nicht heraus, bis Sie unterzeichnet haben" ... Ich habe nach einem Bild für die Demütigungen gesucht. Damit hängt auch die Geschichte von Jonas? Vater zusammen, die wir aber nicht auserzählt haben. Ich bin immer davon ausgegangen, dass die Stasi ihn hat verschwinden lassen. Wenn man die Stasi-Unterlagen liest, kommt es immer wieder vor: Es gab anonyme Bestattungen, es gab Bestattungen auf Kriegsfriedhöfen. Die Geschichte ist also zwar erfunden, hat aber auch einen realen Hintergrund ... Sie setzt sich aus vielen Einzelschicksalen zusammen. Natürlich kann man eine Mauer-Geschichte erzählen, die sehr dramatisch ausfallen kann. Aber das Perfide an diesem System kommt mit einer Alltagsgeschichte am besten heraus. Warum gibt es zurzeit so viel Interesse an DDR-Geschichten? Wegen der Diktatur trägt jede Geschichte eine ungeheure Intensität durch einen Druck von außen, den man in einer normalen Geschichte der Gegenwart überhaupt nicht spürt. Die Stasi war allgegenwärtig, egal welche Geschichte man auch immer erzählt. Werden Sie noch weitere Alltagsgeschichten aus der DDR erzählen? Ich dachte, mit "Zuckersand" wäre es zu Ende. Aber nachdem ich eine Anfrage erhielt, habe ich wieder die Stasi-Unterlagen-Behörde aufgesucht. Mitten in Ost-Berlin, im Prenzlauer Berg gab es die Künstler-Kneipe "Offenbach Stuben". Was man in Ost-Berlin nicht vermutete: Sie entwickelte sich zu einem Gourmet-Tempel. Dort trafen sich Künstler, Intellektuelle, schillernde Persönlichkeiten aus West und Ost, es war ein illustrer Ort, rund um die Uhr von der Stasi überwacht. Das Projekt steht ganz am Anfang, aber es lässt mich als DDR-Thema nicht los. "Zuckersand" wird am Mittwoch, 11. Oktober, um 20.15 Uhr in der ARD ausgestrahlt |
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