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José GarcÃa Foto: Studiocanal Am 23. Oktober 1956 demonstrierten Studenten in Budapest für Presse- und Meinungsfreiheit. Sie forderten freie Wahlen und den Austritt Ungarns aus dem ein Jahr zuvor geschlossenen Warschauer Pakt mitsamt dem Auszug der sowjetischen Truppen. Nachdem die Regierung auf die Demonstranten schieÃen lieÃ, weitete sich der Protest landesweit aus. Die Einparteiregierung wurde abgelöst. Der reformorientierte Ministerpräsident Imre Nagy verkündete am 1. November Ungarns Austritt aus dem Warschauer Pakt. Der Aufstand wurde am 4. November durch sowjetische Truppen blutig niedergerungen. Dabei starben 2 500 Menschen, etwa 200 000 gingen ins Exil. Es kam zu zahlreichen Schauprozessen und Hinrichtungen. Auch in der DDR wird der Volksaufstand bekannt, der dort, wie im gesamten sowjetischen Einflussgebiet, als "Konterrevolution" bezeichnet wird. Für die Schüler einer Abiturklasse in Storkow, Brandenburg, hat der ungarische Volksaufstand einen besonderen Nebeneffekt. In einer Meldung des trotz Verbots heimlich gehörten RIAS heiÃt es fälschlicherweise, ihr FuÃballidol Ferenc Puskás sei bei den Protesten getötet worden. Die Storkower Schüler entschlieÃen sich am 29. Oktober zu einer Schweigeminute im Geschichtsunterricht. Der Schulleiter will den Vorfall als Dummer-Jungen-Streich abtun. Durch das Kollegium werden jedoch Parteimitglieder darauf aufmerksam. SchlieÃlich tritt Volksbildungsminister Fritz Lange auf den Plan, der den Schülern mit Schulverweis droht. Auf einen dieser Schüler wurde der Druck besonders stark: Dietrich Garstka floh in den Westen ? die meisten seiner Mitschüler folgten bald darauf. Im Jahre 2006 veröffentlichte er "Das schweigende Klassenzimmer", auf dem Lars Kraumes Spielfilm basiert. Im Film heiÃt er Kurt (Tom Gramenz), der verraten wurde und deshalb in den Westen fliehen musste. Zwar spitzt Drehbuchautor und Regisseur Lars Kraume bei einigen Figuren, etwa bei Eric (Jonas Dassler) oder Theo (Leonard Scheicher), Einiges dramatisch zu. Zwar findet der Film in Stalinstadt (Eisenhüttenstadt) und nicht in Storkow statt. Der Kern des Filmes gibt jedoch die historischen Ereignisse authentisch wieder. Interview mit Regisseur Lars Kraume Herr Kraume, wie charakterisieren Sie "Das schweigende Klassenzimmer"? Der Film ist ein klassisches Drama mit einer konventionellen Dreiakt-Struktur und einem klassischen fotografischen Vokabular sowie mit klassischer, mit Orchester aufgenommener Filmmusik. Wir machen kein filmisches Experiment, sondern arbeiten mit den filmischen Mitteln, die wir schon seit einer Weile haben. Mit "Der Staat gegen Fritz Bauer" hatten Sie sich mit der Nachkriegszeit in Westdeutschland beschäftigt. "Das schweigende Klassenzimmer" handelt von der Nachkriegszeit in Ostdeutschland. Haben Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede festgestellt? Der groÃe Unterschied ist zunächst einmal das Gesellschaftssystem, das aufgebaut werden soll ? Kapitalismus gegen Sozialismus. In diesen politischen Systemen gibt es all die Unterschiede, die wir kennen. Gemeinsam ist beiden Systemen jedoch in der Zeit die Ohnmacht, mit der Vergangenheit umzugehen, die Sprachlosigkeit der Elterngeneration. Die DDR sagte einfach, die Faschisten seien alle drüben. "Hier sind nur die Antifaschisten." Die komplexe Geschichte, wer hat im Krieg gewusst, geduldet, kollaboriert, verraten ... Diese ganzen Probleme der älteren Generation wurden auf beiden Seiten Deutschlands verheimlicht. Dies ist der Grund, warum ich diese Zeit so spannend finde. Haben Sie sich auch damit beschäftigt, wie diese Begebenheit in der DDR rezipiert wurde? Wurde es damals verschwiegen? Lustigerweise habe ich eine Datsche genau dort, wo es passiert ist. Dorthin ziehe ich mich zurück, um zu schreiben. Die Menschen um den Scharmützelsee und in Storkow kennen diese Geschichte. Sie hat allerdings nicht den Wirkungsgrad der Geschichte um Fritz Bauer, der die Auschwitz-Prozesse initiierte. Es hat eine andere Gestalt. Es ging um eine Abiturklasse, von der die meisten in den Westen gingen. Vier Schüler blieben dort, die letztlich doch Abitur machen durften. Die Geschichte ist also per se kleiner. Ich hoffe aber, dass sie als Film ihre Bedeutung bekommt. Aber ob sie aktiv verschwiegen wurde... Dafür ist die DDR-Geschichte voll von solchen Momenten, wo Individuen mit dem System kollidieren. Wie sind Sie überhaupt auf die Geschichte gekommen? Als das autobiografische Buch von Dietrich Garstka erschien, gab es innerhalb der deutschen Filmbranche groÃes Interesse. Viele Leute sahen darin einen neuen "Club der toten Dichter", Jugendrebellion gegen die Konvention. Relativ viele wollten diese Geschichte optionieren. Ich bekam von einem Produzenten das Buch, aber ich war damals mit "Die kommenden Tage" (2010) beschäftigt und an historischen Stoffen noch nicht interessiert. Als "Der Staat gegen Fritz Bauer" mein Interesse für die 1950er Jahre weckte, habe ich wieder zum Buch gegriffen. Ich stellte fest, dass die Produzentin Miriam Düssel die Rechte hatte. Aber ich dachte: "Sie braucht sicher einen Drehbuchautor." Deshalb habe ich mich bei ihr gemeldet, und so sind wir zusammengekommen. Können Sie etwas zum Verhältnis von Wirklichkeit und Fiktion im Film sagen? Ganz einfach: Die Geschichte ist so passiert, wie wir sie erzählen. Die Biografien sind erfunden. Am extremsten ist es in einer Figur wie Erik, die in die Handlung eingreift. Eriks Figur, die viel von diesem Verheimlichen ans Tagelicht fördert, ist eine dramatische Zuspitzung. Aber Kurt, der als Erster verraten wurde und in den Westen gehen musste, ist Dietrich Garstka. Hat sich etwa auch die Szene so zugetragen, in der der Minister einer Schülerin Vorwürfe macht, weil sie ein Kreuz trägt? Wie nah sind Sie hier an der Realität? Ja, das ist Fakt. Der Minister hat eine Schülerin wegen ihres Glaubens angebrüllt. Es ist interessant, dass es in dieser Planstadt einen Andachtsraum gab. Es war keine richtige Kirche, aber sie wussten, ganz negieren lässt sich die Religion nicht. |
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