VERRÄTER | Traitors
Filmische Qualität:   
Regie: Dearbhla Walsh, Alex Winckler
Darsteller: Emma Appleton, Luke Treadaway, Michael Stuhlbarg, Keeley Hawes, Brandon P Bell, Simon Kunz, Greg McHugh, Albert Welling, Jamie Blackley, Robert Goodale
Land, Jahr: USA 2019
Laufzeit: 276 Minuten
Genre:
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: G, X
im Kino: 5/2019


José García
Foto: Netflix

London 1945. Das Ende des Zweiten Weltkriegs steht unmittelbar bevor. Die junge, aus gutem Haus stammende Britin Feef Symonds (Emma Appleton) durchläuft eine harte Ausbildung, um womöglich in Frankreich als Spionin eingesetzt zu werden, weil sie perfekt Französisch spricht. Doch dazu wird es nicht kommen. Denn das Ende des Krieges wird auch ihre Zukunftspläne durcheinanderbringen.

Auf die Aussage "Der Krieg ist vorbei", erwidert der im Hintergrund operierende US-amerikanische Geheimdienst-Chef in London Rowe (Michael Stuhlbarg): "Nein, dieser Krieg ist vorbei." Das Kriegsende bringt es mit sich, dass sich ehemals Zweckverbündete nun gegenüberstehen. Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion sind nun erbitterte Feinde, die ihre jeweilige Vormachtstellung behaupten und ausweiten möchten. Unmittelbar nach dem Krieg wählen die Briten ihren konservativen Premierminister Winston Churchill ab. Die Arbeiterpartei kommt mit deutlicher Mehrheit an die Regierung. Die Vereinigten Staaten befürchten, dass sich der britische Linksruck in der neuen Weltordnung positiv für die Sowjetunion auswirken könnte. Rowe ist davon überzeugt, dass selbst die neue britische Regierung von sowjetischen Spionen infiltriert ist. Rowe gehört zum OSS (Office of Strategic Services, Amt für strategische Dienste), dem Nachrichtendienst der Vereinigten Staaten, der mit dem britischen Geheimdienst MI6 eng zusammenarbeitet.

Nun ist aber Rowe selbst der MI6 suspekt geworden, weshalb er einen eigenen Spion — oder eben eine Spionin — ins sogenannte Cabinet Office, in die Verwaltung der britischen Regierung, einschleusen will. Die ehrgeizige Feef Symonds kommt ihm dabei wie gerufen, zumal ihr Liebhaber Peter McCormick (Matt Lauria), ein US-Offizier, ebenfalls für den amerikanischen Geheimdienst arbeitet.

Feef gelingt es tatsächlich, Staatssekretärin Priscilla Garrick (Keeley Hawes) zu überzeugen, dass sie die junge Frau ins Cabinet Office beruft. Dort kommt sie dem jungen Labour-Abgeordnete Hugh Fenton (Luke Treadaway) näher, mit dem sie eine Liebesaffäre beginnt, als ihr Liebhaber Peter McCormick von der Bildfläche verschwindet. Bald erkennt Feef, dass sie in dieser Welt von Erpressung, Lüge und Betrug niemand trauen kann ... vielleicht lediglich Jackson Cole (Brandon P Bell), Peters ehemaligem Fahrer, der allerdings nun auch für Rowe arbeitet.

Die sechsteilige Netflix-Serie "Verräter" baut an manchen Stellen Spannung auf — insbesondere im Zusammenhang mit der Frage, wer nun innerhalb der britischen Regierung für den sowjetischen Geheimdienst arbeitet. Dramaturgisch vertiefen einige Rückblenden die eine oder andere Figur, allen voran natürlich den Hauptcharakter Feef. Bei anderen übernehmen Dialoge die Funktion, deren Vergangenheit zu beleuchten, so etwa beim Londoner OSS-Chef Rowe. Dafür werden einige Klischees bemüht, etwa Feefs schwuler Zwillingsbruder, der sich für Erpressungsversuche geradezu anbietet. Nimmt sich das Produktionsdesign solide aus, so wird das ausschweifende Liebesleben der Protagonistin teilweise zu explizit wiedergegeben. Der Soundtrack bleibt im Vergleich zu anderen Filmen aus dem Genre eher unauffällig.

Über weite Strecken fehlt "Verräter" jedoch die für das Genre typische Suspense. Dies hängt sowohl damit zusammen, dass mit wenigen Ausnahmen die Figuren eher eindimensional gezeichnet werden, als auch damit, dass gerade die schauspielerischen Mittel der Hauptdarstellerin Emma Appleton etwas begrenzt ausfallen. Dabei ist ihre Rolle gar nicht uninteressant, wie ein Vergleich mit den bekannten Größen des Spionage-Films a la James Bond nahelegen könnte. Serien-Entwicklerin Bash Doran entwirft Feef Symonds als unauffällige Frau — im Jahre 1945 wirkt eine Frau kaum der Spionage verdächtig —, die allerdings als Anfängerin immer wieder von ihren Aufträgen überfordert wird, eher aus Liebe zu ihrem amerikanischen Liebhaber etwas naiv in die Welt der Spionage gerät, und zu spät die damit einhegenden, moralischen Auswirkungen ihres Auftrags erkennt. Bash Doran, von der auch einige der Drehbücher stammen, möchte offensichtlich eine wenig aufregende Sicht der Spionagewelt anbieten.

Das Sujet der britischen Serie "Verräter" — die Unterwanderung der britischen Regierung durch kommunistische, für die Sowjetunion arbeitende Kräfte, die Einmischung der Vereinigten Staaten in die Angelegenheiten ihrer Verbündeten aus vorwiegend kapitalistisch-merkantilistischen Gründen — nimmt sich jedoch über die erwartete genrebedingte Spannung hinaus interessant genug aus. Darin liegt denn auch die Stärke von "Verräter": Die britische Netflix-Serie bietet einen Einblick in eine Zeit voller gesellschaftlicher Umbrüche, etwa in Bezug auf die Rolle der Frau im öffentlichen Leben, vor allem aber der neuen Ortsbestimmung in der Politik nach dem Zweiten Weltkrieg und der Aufteilung der Welt in zwei gegensätzliche Blöcke. Dabei steht Großbritannien im Mittelpunkt, wobei der Rückzug der britischen Kolonialmacht aus Palästina und die Zukunft von Israelis und Palästinensern in der Region einen interessanten Neben-Handlungsstrang darstellen.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren