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José Garcia Foto: Wild Bunch / Georges Pauly ![]() Vor "Deutschstunde" veröffentlichte der aus Lyck in OstpreuÃen stammende Autor allerdings zunächst eher "unpolitische" Erzählungen, etwa "So zärtlich war Suleyken" (1955), eine Ansammlung von Kurzgeschichten, die immer wieder ins Karikaturhafte abdriften, in denen aber Lenz seine Figurenzeichnung schärft und auÃerdem dem Verlust seiner ostpreuÃischen Heimat nachtrauert. Ein Verlust, der ihn weiterhin beschäftigte und in detailverliebter Form Jahrzehnte später im Roman "Heimatmuseum" (1978) schildert. Dass Lenz sich eher anderen Sujets zuwandte, hing wohl damit zusammen, dass sein zweiter Roman "Der Ãberläufer", in dem er seine wenige Monate andauernden Kriegsdienst auf der "Admiral Scheer" verarbeitet hatte, vom Verlag abgelehnt wurde. Eine solche Handlung sei unmittelbar nach dem Krieg möglich gewesen, nun seien jedoch andere Zeiten angebrochen, weshalb man die Vergangenheit ruhen lassen sollte. So blieb "Der Ãberläufer" zeit seines Lebens unveröffentlicht, und erschien posthum im Jahre 2016. Dass aber die Aufarbeitung der Nazizeit von Lenz keineswegs verdrängt wurde, zeigen zahlreiche Notizen aus den 1960er Jahren. Seine Deutung der deutschen Vergangenheit fand literarischen Ausdruck in dem Roman "Deutschstunde" (1968), der Lenz´ internationalen Ruhm begründete. SchlieÃlich belegte "Deutschstunde" bis ins Jahr 1970 hinein den ersten Platz auf der "Spiegel"-Beststellerliste. In "Deutschstunde" verarbeitet der Autor die Frage der Verquickung von Schuld und Pflicht im Nazideutschland. "Die Freuden der Pflicht" heiÃt denn auch der Aufsatz, den etwa Mitte der 1950er Jahre der junge Siggi Jepsen in einer Besserungsanstalt schreiben soll. Obwohl er zunächst keinen Anfang findet, flieÃt es nur so aus ihm heraus, als er sich an einen Freitag im April 1943 erinnert, als sein Vater Jens Ole Jepsen, "der Polizeiposten der AuÃenstelle Rugbüll, der nördlichste Polizeiposten von Schleswig-Holstein", dem Maler Max Ludwig Nansen die Nachricht vom in Berlin beschlossenen Malverbot überbrachte. Dass sich Lenz bei Nansens Figur von Emil Nolde (1867-1956) inspirieren lieÃ, zeigt sich etwa daran, dass sein Verleger Siegfried Lenz ein Aquarell Emil Noldes schenkte, nachdem "Deutschstunde" in mehr als 20 Sprachen übersetzt worden war. Der Polizist Jepsen, der mit "dem Maler" - wie er auf der Insel genannt wurde - seit Kindertagen befreundet ist, soll nun das Malverbot überwachen. Sein blinder Gehorsam, der zu einem Widerspruch von Pflichterfüllung und individueller Verantwortung führt, der Mitläufer als Erfüllungsgehilfe stehen im Mittelpunkt einer Erzählung, in deren Verlauf Siggi mit seinem Vater bricht. In Siggi konnten die gegen die Vatergeneration aufbegehrenden "Achtundsechziger" eine gewisse Identifikationsfigur entdecken, was gewiss zum Erfolg von "Deutschstunde" beitrug. Die Verarbeitung der deutschen Frage lässt den vielsagenden Titel "Deutschstunde" gerechtfertigt erscheinen. Genauso gut hätte aber der Roman "Die verdammte Pflicht" heiÃen können ? so etwa wie der erstmals 1987 erschienene Erinnerungsband von Alexander Stahlberg, dem Adjutanten des Feldmarschalls Erich von Manstein. Darin schildert Stahlberg, wie ihn sein Vetter Henning von Tresckow an genau diese Stelle versetzte, damit die Verschwörer Manstein für einen militärischen Aufstand gegen Hitler gewinnen konnten. Der junge Adjutant wurde etwa Zeuge einer leidenschaftlichen Auseinandersetzung zwischen Claus Schenk von Stauffenberg und dem Feldmarschall, die in Mansteins Aussage gipfelte: "PreuÃische Feldmarschälle meutern nicht". Die verdammte Pflicht als typisch preuÃisch-deutsche Eigenschaft. "Deutschstunde" wurde bereits 1971 unter der Regie von Peter Beauvais als Zweiteiler für das Fernsehen verfilmt. Nun hat der 1978 geborene Christian Schwochow Lenz? Roman erneut als Filmstoff adaptiert, diesmal als gut zweistündiger Kinofilm. Schwochow wurde insbesondere durch seine DDR-Filme "Novemberkind" (2011), "Der Turm" (2012), "Westen" (2013) und "Bornholmer StraÃe" (2014) bekannt, bei denen meistens seine Mutter Heide Schwochow das Drehbuch schrieb - etwas übrigens ziemlich Einmaliges in der Filmbranche. Auch das Drehbuch von "Deutschstunde" stammt von ihr. "Ich tue nur meine Pflicht", heiÃt es denn auch an entscheidender Stelle in der aktuellen Adaption durch Heide und Christian Schwochow. Für den Regisseur besteht das Besondere an Lenz´ Roman darin, das der Autor "eine Geschichte über den Zweiten Weltkrieg" erzähle, "ohne ihn in den üblichen Bildern zu beschreiben". Er schildere ihn "in Metaphern. Er schafft ganz eigene Bilder und Assoziationen". Die Drehbuchautorin konkretisiert diesen Gedanken: "Ich finde toll, dass Lenz Gefahren über die Natur erzählt. Angriffe sind hier Angriffe von Möwen. Diese ganz eigene Metaphorik und Poesie hat mir gefallen. Und sie ist sehr filmisch." Deshalb konzentriert sich der Film von Heide und Christian Schwochow einerseits auf die Grundkonstellation zwischen zwei Männern, die nicht anders können, und dem Kind. Andererseits aber übersetzen sie die starke, detaillierte Schilderung der Natur und der Menschen im Roman kongenial in ihren Film. Das zweite Kapitel des Romans beispielsweise beginnt mit einer genauen Beschreibung des Windes in der rauen Landschaft, ein Wind, den der Zuschauer im Film förmlich spürt, wenn sich Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen) und sein Sohn Siggi (Levi Eisenblätter) auf den Weg zum Maler Max Ludwig Nansen (Tobias Moretti) machen. Darüber hinaus setzt der Film die genauen Farbbezeichnungen des Romans in einem Produktionsdesign detailgenau um, das etwa die Haptik der Stoffe anschaulich macht. Die neue Verfilmung von "Deutschstunde" lebt aber insbesondere auch von der Schauspielkunst der Hauptdarsteller. Mit seiner starken Ausführung des Polizisten, der aus Kadavergehorsam gegen seinen Freund handelt, liefert vor allem Ulrich Noethen ein allgemeingültiges Bild des Mitläufers, der aus falschverstandener Pflichterfüllung mitschuldig wird. |
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