TRYING | Trying
Filmische Qualität:   
Regie: Andy Wolton
Darsteller: Rafe Spall, Esther Smith, Ophelia Lovibond, Oliver Chris, Sian Brooke, Robyn Cara, Darren Boyd, Imelda Staunton, Diana Pozharskaya, Sarah Niles
Land, Jahr: Großbritannien 2020
Laufzeit: 237 Minuten
Genre:
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: D, X
im Kino: 5/2020


José Garcia
Foto: Apple TV+

Nikki (Esther Smith) und Jason (Rafe Spall) wünschen sich nichts sehnlicher, als endlich ein Kind zu bekommen. Allerdings sind sie auch nicht mehr die jüngsten - "wir waren die Ältesten in der Bar", heißt der erste gesprochene Satz überhaupt, und Nikki fügt noch hinzu: "Ich bin so müde. Es ist 22.35 Uhr, und ich bin müde". Eile ist also geboten. Allerdings geht es auf natürlichem Weg offensichtlich nicht. Selbst der verzweifelte Versuch mitten im nächtlichen Bus hilft nicht. Die Szene hätte zwar ziemlich obszön geraten können, aber Serienentwickler Andy Wolton und selbstverständlich auch die Darsteller inszenieren sie so, dass sie höchstens "Fremdschämen" und vor allem einen Lacher provoziert.

Kaum ein paar Minuten von "Trying", der ersten britischen für den Streaming-Dienst "Apple TV +" entwickelten Serie, sind vergangen, und sie hat bereits den Ton angegeben: Ihr sehr ernstes Sujet - der unerfüllte Kinderwunsch - wird mit einem sich in den schnellen Dialogen voller Witz ausdrückenden, typisch britischen Humor verknüpft.

Zu der humorvollen Grundeinstellung der Serie führt Hauptdarsteller Rafe Spall aus: "Ein unerfüllter Kinderwunsch und Adoption sind natürlich große und ernste Themen, die viele Paare betreffen. Doch wir Menschen können mit ernsten Situationen oft besser umgehen, wenn wir Humor darin finden. Wie zum Beispiel auch in der aktuellen Situation mit der Corona-Krise: Die Leute schicken sich lustige Videos und Parodien darüber, das Internet ist voll davon, und wir lachen gemeinsam. Lachen ist wichtig, wir alle brauchen das, gerade in schweren Zeiten."

Auf ihr eigentliches Thema kommt die aus acht meistens 30-minütigen Folgen bestehende Serie ebenfalls sehr schnell: Nachdem eine Ärztin dem Paar eröffnet hat, dass es bei ihnen auch nicht auf unnatürliche Art ("künstliche Befruchtung") geht, ist die Entscheidung getroffen: Sie wollen ein Kind adoptieren.

"Trying" handelt jedoch nicht wie andere Filme, etwa Zum Verwechseln ähnlich, vom Umgang des Paares mit dem adoptierten Kind, sondern vom Prozess, den Nikki und Jason durchlaufen müssen, um überhaupt als adoptions-"würdig" anerkannt zu werden. Dabei geht es allerdings nicht nur um das bürokratische Verfahren, etwa um die Informationsabende, um die Befragungen auch von Verwandten und Freunden durch die Behörde ? was die Serie mit einer lustigen schnellgeschnitten Sequenz in Szene setzt.

Wichtiger aber als all der Papierkram und die Vorbereitungskurse ? das macht "Trying" deutlich ? ist der eigentliche Reifungsprozess von Nikki und Jason. Zunächst erscheinen sie als wenig gefestigt, was sich etwa in ihren zunächst eher als vorübergehend gedachten Jobs ausdrückt, die dann doch noch zur Dauerlösung wurden.

Hierbei spielt auch ihre Betreuerin aus der Adoptionsstelle Penny (Imelda Stanton) eine wichtige Rolle: Sie gibt ihnen vor allem den Tipp, dass sie sich ganz natürlich geben sollen. Was sich als gar nicht so einfach herausstellt, als sie ihre "Mitbewerber" kennenlernen, die anderen Paare, die sich ebenfalls um eine Adoption bemühen, unter denen ein Schwulenpaar (wie inzwischen in so gut wie allen Komödien) nicht fehlen darf. Denn sie sind alle Akademiker und viel belesener als sie. Dennoch: Ihre eigenen Stärken herausstellen, ihre Schwächen bekämpfen, erweist sich als der bessere Weg, als die anderen nachzuahmen.

Bezieht sich zunächst der Serientitel "Trying" auf den Versuch, ein Kind zu bekommen, so verlagert sich dessen Bedeutung nach und nach in die Richtung, das eigene Leben in den Griff zu bekommen. Dazu gehört sowohl die Liste mit Stärken und Schwächen, die Nikki und Jason aufstellen, als auch das Streben nach neuen beruflichen Perspektiven oder auch danach, Verwandtschafts- und gesellschaftliche Beziehungen neu zu ordnen. In dem Zusammenhang spielt Nikkis Verhältnis insbesondere zu ihrer Schwester Karen (Sian Brooke) und deren Freund Scott (Darren Boyd) eine bedeutende Rolle.

"Sind wir dazu bereit?" Die Frage, die letztendlich über der ganzen Serie schwebt, meint deshalb den Prozess des Erwachsenwerdens. Insofern erweist sich "Trying" als die Entwicklungsgeschichte zweier Mittdreißiger, die endlich erwachsen werden und damit auch bereit sind, ein Kind zu bekommen.


"Trying", Serienentwickler: Andy Wolton, 8 Folgen mit insgesamt 237 Minuten, auf Apple TV+

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