UNTERGANG, DER | Der Untergang
Filmische Qualität:   
Regie: Oliver Hirschbiegel
Darsteller: Bruno Ganz, Alexandra Maria Lara, Corinna Harfouch, Ulrich Matthes, Juliane Köhler, Heino Ferch, Christian Berkel, Matthias Habich, Thomas Kretschmann
Land, Jahr: Deutschland 2004
Laufzeit: 150 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G++ S-


JOSÉ GARCÍA
Foto: Constantin Film

Interview mit Regisseur Oliver Hirschbiegel: siehe unten

Darf Adolf Hitler in einem Spielfilm dargestellt, „gespielt“ werden? Lange Zeit galt es als ungeschriebenes Gesetz, Hitler dadurch „keine Bühne“ zu bieten, dass er, wenn überhaupt, nur kurz oder lediglich von hinten gezeigt wurde. Bricht die Darstellung Hitlers ein Tabu, vielleicht das letzte in einer Kunst, die stolz von sich behauptet, in den letzten Jahrzehnten so gut wie alle Tabus gebrochen zu haben? Adolf Hitler durch einen professionellen Schauspieler darstellen zu lassen, bedeutet unweigerlich, ihm ein menschliches Antlitz zu geben.

Nach beinahe sechzig Jahren wagt sich ein deutscher Spielfilm an eine Charakterstudie Hitlers in seinen letzten Tagen: „Der Untergang“, der 150 Minuten lange Spielfilm schildert die Tage vom 20. April bis zum 2. Mai 1945 im Führerbunker.

Ein solches Projekt steht und fällt – wie könnte es anders sein? – mit dem Schauspieler, der Adolf Hitler darstellen soll. Der 1941 in Zürich geborene Bruno Ganz, der vormalige Star der Berliner Schaubühne, der mit seiner Hauptrolle in Wim Wenders „Der Himmel über Berlin“ (1987) einem breiten Publikum bekannt wurde, und zuletzt als Faust in Peter Steins Inszenierung des Goethe-Klassikers Aufsehen erregte, bürdete sich keine geringe Aufgabe auf. Denn diese Rolle stellte die reine Gratwanderung dar: einen offensichtlich an Parkinson leidenden, vergreisten, realitätsfernen Hitler zu gestalten, ohne jedoch ihn zu verharmlosen, aber auch ohne in Manierismen oder gar in eine Parodie zu verfallen, wie wir sie etwa aus Charles Chaplins „Der große Diktator“ (1940) oder Ernst Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ (1942) kennen.

Sicher macht es die Maske möglich, dass Bruno Ganz eine geradezu unheimliche Ähnlichkeit mit Hitler besitzt. Weit mehr jedoch als die äußerliche Erscheinung, zu der die gebückte Haltung und das Zittern der linken Hand ebenfalls zählen, verblüfft Ganz‘ Aussprache: Dem Schweizer Schauspieler ist es gelungen, seine warme, immer etwas schalkhaft klingende Stimme zu unterdrücken und durch die abgehackte Sprechweise des Diktators zu ersetzen. Für seine Verkörperung Hitlers gebührt Bruno Ganz allerhöchste Anerkennung, weil er glaubwürdig einen Menschen zeigt, der trotz allen Charmes, den er etwa den weiblichen Angestellten gegenüber bis zuletzt beibehält, trotz eines gewissen Mitleids, das dieser verfallene Mensch weckt, immer noch „so ungeheuerliche Dinge sagt und so ungeheuerliche Dinge tut“ (Regisseur Hirschbiegel im Interview, siehe unten), dass der Zuschauer erschauert. So etwa wenn Hitler bis zuletzt mit versteinerter Miene Todesurteile fällt oder völlig emotionslos verkündet, es sei ihm egal, „wenn das Volk mit untergeht, weil es nichts anderes verdient hätte“. Joachim Fest, der als einer der besten Kenner der Persönlichkeit Hitlers gilt, sparte nicht mit Lob: „Bei Bruno Ganz gibt es keine Frage: Das ist wirklich Hitler, und wenn man ihn sieht und sein Agieren verfolgt, beginnt man zu frieren.“

Trotz der naturgemäß zentralen Rolle Hitlers könnte „Der Untergang“ beinahe als Ensemblefilm bezeichnet werden. Unter den zahlreiche Stars des deutschsprachigen Kinos, die Produzent Bernd Eichinger zusammenführte, ragen vor allem zwei Schauspielerinnen heraus: Juliane Köhler gestaltet Eva Braun fern der gängigen Klischees als lebenslustige, moderne Frau, die allerdings Hitler so sehr verfallen war, dass sie freiwillig in den Bunker einzieht, dort Hitler heiratet und dann mit ihm zusammen in den Selbstmord geht. Noch überzeugender sogar gelingt Corinna Harfouch die schwierige Darstellung der Magda Goebbels, die ihre sechs Kinder vergiftet – in einer unendlich langen, kaum zu ertragenden Szene, die aber als Sinnbild für eine Ideologie steht, „der es nichts mehr heilig ist, bei der es keine Grenze gibt“ (Oliver Hirschbiegel im Interview).

Über die Darsteller hinaus bedurfte diese filmische Studie eines soliden Drehbuchs. Das liefert Produzent Bernd Eichinger selbst, was im Filmgeschehen ziemlich außergewöhnlich ist. Denn die Figur des Regisseurs, der sein eigenes Drehbuch verfilmt, gilt schlechthin als der Inbegriff des „Autorenfilmers“. Ein Produzent, der das Drehbuch erstellt, stellt jedoch eher ein Kuriosum dar. Eichinger schrieb sein Drehbuch „nach dem gleichnamigen Buch von Joachim Fest und ‚Bis zur letzten Stunde‘ von Hitlers Sekretärin Traudl Junge und Melissa Müller.“ Ergänzt wird der Film durch zwei kurze Interview-Monologe aus André Hellers Dokumentarfilm „Im toten Winkel“ (2002), die Traudl Junge kurz vor ihrem Tod auftreten lassen.

„Der Untergang“ setzt am 20. April 1945 ein. Die Schilderung der zwölf Tage bis zur Kapitulation Berlins am 2. Mai 1945 sollte nach Eichinger den zwölf Jahren des „Dritten Reiches“ symbolisch entsprechen. Der größte Teil des Filmes spielt sich in einer detailgenau nachgebauten Kulisse des Führerbunkers ab, die nach Vorgaben des Berliner Bunkerforschers Dietmar Arnold entstand. Die klaustrophobische Enge, die Regisseur Hirschbiegel in seinem Spielfilmdebüt „Das Experiment“ (2001) gleichsam zu einem weiteren Darsteller machte, wirkt im „Untergang“ allerdings nie übermäßig in Szene gesetzt. Die reduzierte Inszenierung dient vielmehr einem dokumentarischen Charakter.

„Der Untergang“ wird jedoch nicht als Kammerspiel in der abgeschlossenen Welt des Führerbunkers inszeniert, besteht doch gerade nach Bernd Eichinger die Besonderheit des Buches von Joachim Fest gerade darin, die letzten Tage Hitlers mit dem Untergang des Regimes zu verknüpfen. Dies macht sich der Film zu eigen, indem er die Schilderung der letzten Tage im Führerbunker mit dem Endkampf um die Reichshauptstadt Berlin parallel schneidet. Dadurch wird deutlich, was „die da unten“ im Bunker „angerichtet haben“ (Hirschbiegel im Interview): sinnloser Terror etwa in Form von Exekutionen vermeintlicher Verräter, das „Organisieren“ unter Todesgefahr des zum Überleben Notwendigen seitens der zivilen Bevölkerung, das notdürftige Versorgen der Schwerverwundeten nebst Amputationen in primitivsten Verhältnissen, Bomben und Panzer auf den von immer wieder ausbrechenden Feuern in ein gespenstisches Licht getauchten Straßen. Die eindringlichen Bilder einer Stadt in Schutt und Asche, in der sich Tod und Verwesung breitmachen, helfen verhindern, dass dieser Film irgendwelche Sympathien für Hitler wecken könnte.

Eichingers Buch verknüpft seine zwei Hauptquellen in gekonnter Weise: Das penible Rekurrieren auf einen der besten Kenner Hitlers durch die zahlreichen wortwörtlichen Zitaten aus Joachim Fests Buch steht dem nicht im Wege, dass der eigentliche rote Faden des Films die von der jungen Schauspielerin Alexandra Maria Lara dargestellte Traudl Junge ist.

In Junge, die zwar aus ihrer Loyalität, gar Bewunderung für Hitler nie einen Hehl macht, andererseits jedoch weder den Fanatismus einer Magda Goebbels noch die selbstzerstörerische Liebe der Eva Braun teilt, findet der Zuschauer eine Figur, durch die er die Geschehnisse im Führerbunker beobachten kann. Eine weitere Person, die in Fests Buch nicht vorkommt, aber im Film eine bedeutende Rolle einnimmt, ist der Mediziner Professor Schenck, der darauf besteht, in Berlin zu bleiben, und zusammen mit Professor Haase in der Reichskanzlei Hunderte von Operationen durchführt. Nach Christian Berkel, der Professor Schenck mimt, „steht er für das Auge des Zuschauers, er ist jemand, der am Schluss durch diese Hölle stolpert mit einer Mischung aus Anteilnahme, Entsetzen, Nichtverstehen und Verstehenwollen.“

Durch die Vielzahl der Figuren beschreibt der Film unterschiedliche Haltungen: er zeigt sowohl Menschen, die sich eine gewisse Menschlichkeit bewahrt haben, als auch solche, die von ihrem Fanatismus so weit getrieben werden, dass sie nur noch den Selbstmord als Lösung sehen.

Eichinger und Hirschbiegel liegt nichts ferner, als eine Heroisierung zu betrieben. Keine Cinemascope-Bilder, keine bombastische Filmmusik setzt Regisseur Hirschbiegel ein. Im Gegenteil: die Handkamera vermittelt Authentizität. Selbst das für einen deutschen Film großzügig bemessene, aber für eine solche Großproduktion wie „Der Untergang“ letztlich „sehr grenzwertiges“ Budget (Hirschbiegel im Interview), erweist sich als dem Zweck des anti-epischen Films dienlich.

„Der Untergang“ ist ein deutscher Film. Dass die filmische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nicht etwa Hollywood überlassen wird, ist richtig und wichtig. Trotzdem – oder gerade deshalb – besteht große Spannung, wie der Film im Ausland aufgenommen wird, wobei die internationale Premiere vom „Untergang“ Publikum beim Filmfestival in Toronto/Kanada stattfand.

Die erste Reaktionen auf den Film sind durchweg positiv. So erklärte Joachim Fest in einem Interview: „Ich bin der Meinung, dass der Regisseur Oliver Hirschbiegel seine Aufgabe sehr eindrucksvoll gelöst hat.“ Nach der Uraufführung in München zeigte sich Melissa Müller, die Autorin des Erinnerungsbuchs von Traudl Junge „Bis zur letzten Stunde“, ebenfalls angetan: Wenn Traudl Junge, die vor zweieinhalb Jahren starb, den „Untergang“ noch gesehen hätte, „wäre sie zufrieden gewesen, einen Beitrag geleistet zu haben“.

Unternimmt Joachim Fest im Schlusskapitel seines Buches den Versuch, zu beleuchten, „was Hitler zu einer Erscheinung macht, wie es sie in der Geschichte tatsächlich ‚nie gegeben hat‘“, so enthält sich der Film bewusst einer Deutung: „Wir folgen im Prinzip den Ereignissen, wie sie sich zugetragen haben. Von Interpretation kann man nicht wirklich sprechen“ (Hirschbiegel im Interview). Es steht freilich zu hoffen, dass der Film, etwa durch den Einsatz im Schulunterricht, einen Ansporn zur Beschäftigung mit diesem dunklen Kapitel deutscher Vergangenheit liefert. Die Chance sollte aufgegriffen werden, denn „Der Untergang“ stellt eine wirkliche Zäsur im filmischen Umgang mit dem Nazi-Regime dar. Doch der nächste Schritt muss zu den Ursachen führen, zu begreifen, wie eine solche Ideologie möglich wurde.

Einen Ansatz dazu hat jüngst Joachim Fest selbst geliefert, als er feststellte: „Das ganze Menschenbild der Aufklärung ist durch Hitler als falsch entlarvt worden. Wir haben uns etwas vorgemacht. Die Aufklärung hat geglaubt, der Mensch sei gut, er müsse nur das rechte Wissen erwerben und zuträgliche soziale Verhältnisse vorfinden, dann steuere man auf den Frieden, das Glück und den Wohlstand zu. Das war sehr hochherzig, aber naiv.“ Vielleicht wird dann besser begreiflich, warum es zwei atheistische Ideologien – Nationalsozialismus und Kommunismus – waren, die im zwanzigsten Jahrhundert Europa mit Tod und Schrecken überzogen haben.


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Interview mit Regisseur Oliver Hirschbiegel. Das Gespräch führte José García in Köln.


J.G. Für den Film „Der Untergang“ zeichnet Bernd Eichinger als Produzent und Drehbuchautor verantwortlich. Inwieweit waren Sie als Regisseur am Entstehungsprozess des Filmes beteiligt?

O.H. Ich war von Anfang an komplett involviert. Als mich Herr Eichinger fragte, ob ich Regie führen wollte, gab es das Drehbuch noch nicht. Am Anfang hatte ich große Bedenken, dass ein solcher Film überhaupt realisiert werden könnte. Dann aber habe ich das Buch von Joachim Fest und das von Traudl Junge gelesen und bin in meine eigene Bibliothek eingestiegen. Ich besaß viel Material, weil ich mich immer wieder mit dieser Materie beschäftigt hatte. Wir sind dann in einen viermonatigen Dialog getreten: Bernd hat immer geschrieben, denn er ist ja der Autor. Aber er hat es in Absprache mit mir getan. Zum Beispiel habe ich darauf bestanden, dass im Film gezeigt wird, wie die Goebbels-Kinder umgebracht werden. Dies war mein Wunsch. Denn ich bin der Meinung, wenn man diesen Weg geht, dann die ganze Strecke.


J.G. Musste es in einer solchen schonungslosen Art gezeigt werden?

O.H. Ich glaube schon. Es ist so ungeheuerlich und so einmalig in der Geschichte der Menschheit, dass man sich als Zuschauer dem aussetzen muss. Ursprünglich wollte ich die Szene ohne Musik drehen. Dann habe ich jedoch gemerkt, dass sie zu schmerzlich war. Normalerweise benutzt man Musik, um eine Situation zu unterstützen oder zu dramatisieren. In diesem Fall war es genau umgekehrt: die Musik macht die Situation etwas leichter. Aber ich meine, dem muss man sich aussetzen. Denn es geht nicht bloß darum, dass die Goebbels ihre Kinder umbringen. Diese abscheuliche Tat ist ein Synonym für den absoluten Verfall von allem, was unsere Kultur je bestimmt hat. Zum andern ist es nur ein Beispiel für Zehntausende anderer Fälle, wo Eltern ihre eigenen Kinder umgebracht haben.


J.G. Kann diese Handlung auch als ein Sinnbild dafür gelten, dass dieses Regime seine eigenen Kinder umbringt?

O.H. Ja, sie zeigt eine Ideologie, der es nichts mehr heilig ist, bei der es keine Grenze gibt. Alles, was nützt, ist Recht. Sowohl auf der moralischen als auch auf der rechtsstaatlichen Ebene gibt es keinerlei Grenzen mehr. Alles, was man jahrhundertelang erlernte, erkämpfte und auch lebte, wurde pulverisiert.


J.G. In seinem Vorwort zu „Der Untergang“ zitiert Joachim Fest einen Berater der beiden amerikanischen Präsidenten während des Kriegs, der den Zusammenbruch mit Karthago vergleicht. Seit zweitausend Jahren Geschichte des Abendlandes hatte es so etwas nicht gegeben. Allerdings kommt dies in Ihrem Film nicht in letzter Konsequenz zum Ausdruck. Beispielsweise wird im Film Goebbels mit den von Fest wiedergegebenen Worten zitiert: „Ich habe ja niemanden gezwungen, mein Mitarbeiter zu sein, so, wie wir auch das deutsche Volk nicht gezwungen haben. Es hat uns selbst beauftragt ... Jetzt wird ihnen das Hälschen durchgeschnitten!“ Im Buch geht das Zitat mit einem unglaublichen Satz weiter, der im Film jedoch weggelassen wurde: „Aber wenn wir abtreten, dann soll der Erdkreis erzittern.“

O.H. Das haben wir bewusst weggelassen, weil wir von vorne herein jede Heroisierung, alles Heldenhafte vermeiden wollten. Goebbels hat noch ganz andere unglaubliche Dinge gesagt. Zum Beispiel: „Wir haben verstanden zu kämpfen und zu leben. Jetzt zeigen wir der Nachwelt, dass wir auch verstanden haben zu sterben.“ Das ist ein ungeheuerlicher Satz, aber ich finde, das hätte den falschen Geschmack hineingebracht. Denn in dem, was diese Leute getan haben, ist nichts Heroisches, nichts Heldenhaftes. Diesen Eindruck wollte ich partout vermeiden.


J.G. Aber würde dies nicht genau umgekehrt wirken? Die erobernden Weltmächte vor Hitler, etwa Napoleon, haben zwar auch eine Politik der „verbrannten Erde“ betrieben. Doch im Unterschied dazu bestand das Besondere am Nationalsozialismus gerade darin, das ganze eigene Volk mit sich in den Untergang ziehen zu wollen.

O.H. Darin besteht in der Tat ein ungeheuer, ein unvorstellbarer Zynismus. Der Vergleich mit Napoleon ist jedoch nicht ganz angebracht, weil Napoleon eine klare Vision hatte. Dass eins seiner Mittel Gewalt war, steht außer Zweifel, aber er hat in die von ihm okkupierten Ländern Neuerungen eingeführt. Das gibt es bei Hitler nicht. Diese Ideologie basiert auf vier Säulen, wovon die eine stumpfsinniger als die andere ist: Rasse, Raum, das Prinzip der Diktatur an sich und Gewalt. Und die Gewalt wurde eine immer massivere Säule. Obwohl es in jedem Krieg immer getötet wird, geschieht dies nicht systematisch, so wie es der Nationalsozialismus erfunden hat.


J.G. Was unterscheidet aber dieses Regime von anderen Diktaturen? Nach Joachim Fest gibt es bei Hitler einen speziellen Gedanken: „Wenn ich untergehe, dann soll das gesamte Volk untergehen.“

O.H. Perverserweise trifft das allerdings einen Nerv in der deutschen Seele, wie man es bei Wagner und bei vielen anderen findet: In der deutschen Seele gibt es eine eigenartige Sehnsucht nach dem Tod. Ich habe das Gefühl, dass dies einerseits mit der militärischen Haltung zu tun hat, die in der deutschen Geschichte eigentlich nur Sieg oder Niederlage kannte, und zwar viel radikaler als in anderen Völkern. Und auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, dass die Deutschen Angst haben vor dem Leben mit all seinem Pluralismus, mit den verschiedenen Farben, den ständigen neuen Bewegungen und Gedanken – dass all das den Deutschen Angst macht. Deshalb sehen sie im Tod so etwas wie eine Erlösung, einen Frieden, nicht im religiösen Sinne, sondern im praktischen Bereich. Ich habe keine Erklärung, aber so versuche ich es mir zu erklären, weil ich es wahnsinnig interessant finde. Sogar bei Heine findet man das, und er war Jude.


J.G. Inwieweit wollten Sie mit dem Film eine eigene Interpretation liefern?

O.H. Wir folgen im Prinzip den Ereignissen, wie sie sich zugetragen haben. Von Interpretation kann man nicht wirklich sprechen. Ich habe mich als Beauftragten im Sinne der deutschen Geschichte gesehen. Meine Idee war immer, mit diesem Film einen Anstoß zu geben für einen neuen Umgang, für einen neuen Blickwinkel, einen neuen Ansatz, der wirklich versucht, die Hintergründe zu beleuchten. Allerdings kann ein Film nur ein Ansporn sein. Die Leistung des Films besteht darin, dass wir versuchen, eine vorverurteilende Haltung, eine Stigmatisierung zu vermeiden. Nur zu sagen, dass dies alles böse sei, dass es nie wieder kommen darf, ist eine Sackgasse. Wenn man es den Kindern beibringt, dann sagen sie „okay, furchtbar“. Aber Verständnis für den Schrecken kann man nur gewinnen, wenn man begreift, wie es möglich war. Wenn man ihn einfach nur benennt, dann verliert der Schrecken seinen Schrecken. Und in Wirklichkeit war der Schrecken viel schrecklicher als alles, was man sich ausmalen kann. Die Leute, die das getan haben, waren keine Clique von einigen Wahnsinnigen, das war ein großer Teil unseres Volkes. Und das Blut dieser Leute pulst in unseren Adern. Wir sind ein großes Kulturvolk gewesen. Wenn wir es in der Zukunft auch bleiben wollen, dann müssen wir uns wirklich mit unserer Geschichte beschäftigen. Ich hoffe, das die Alten und die Jungen den Film sehen und anfangen, miteinander zu reden: „Was ist da passiert, seid Ihr alle wahnsinnig, dumm, ungebildet gewesen?“ – „Fanden sie alle vielleicht klasse, dass alle Intellektuellen, alle kritischen Schriftsteller, alle Künstler von Weltgeltung plötzlich das Land verlassen haben, dass die kulturelle Elite plötzlich eliminiert war? Das kann wohl nicht wahr sein!“


J.G. Musste auch Gewalt, etwa ein Kopfschuss, auf den die Kamera direkt gehalten wird, in dieser Expliziertheit gezeigt werden?

O.H. Wenn man als Filmer Gewalt zeigt, übernimmt man eine große Verantwortung; deshalb muss man immer abwägen. Allerdings ist in diesem Komplex der Krieg entscheidend. Ich bin der Meinung, dass die Schrecken des Krieges gezeigt werden müssen, dass man nicht beschönigen darf. Denken Sie etwa an Roman Polanskis „Der Pianist“, in dem es diese grauenhafte Szene mit dem Rollstuhl gibt, die mir so nah gegangen ist. Das Grauen eines Krieges ist so ungeheuerlich, dass man es mit noch so vielen Effekten nicht simulieren kann. Ich sehe eine solche Szene eher als einen Verweis auf den hunderttausendfachen Selbstmord. Auch das hat es in der Geschichte vorher nicht gegeben.


J.G. Eine Figur, die in Fests Buch nicht vorkommt, aber im Film eine bedeutende Rolle spielt, ist der von Christian Berkel gespielte Mediziner Professor Schenck. Können Sie etwas zu seiner Funktion im Film sagen?

O.H. Professor Schenck war eine ganz interessante Person mit einer ganz typischen Biografie: ein Mediziner, der in der Forschung tätig war und in die Forschungsabteilung der Armeeversorgung kam. Er hat etwa Lebensmitteln das Wasser entzogen, damit sie leichter zu transportieren sind. Die Abteilung hat zum Beispiel Nescafé erfunden. Ich weiß nicht, was er alles wusste, ob er in Konzentrationslagern war. Ich kann nur von dem Buch ausgehen, das er geschrieben hat. Das wirkt nicht so, als wäre er ein Nationalsozialist gewesen. Beispielsweise ist durch Zeugenaussagen belegt, dass Himmler ein Problem mit ihm hatte. Dennoch war er der SS untergeordnet, wie alle entscheidenden Instanzen in der Zeit. Er hat wirklich darauf bestanden, da zu bleiben. Das konnte er tun, weil er einen Wehrmachtsrang hatte. Er hat mit Prof. Haase da unten 800 Operationen in einer unvorstellbar kurzen Zeit durchgeführt.


J.G. Ist dies für das Publikum eine Identifikationsfigur, jemand, der sich seine Menschlichkeit bewahrt hat?

O.H. Beim Lesen dieses Buches hatte ich das Gefühl, es hat bei ihm eine Rückbesinnung stattgefunden. Er war jemand, der versucht hat, innerhalb dieses Systems etwas zu tun. Man darf nicht vergessen, wie wahnsinnig schwierig es gewesen ist. Spätestens seit Stauffenbergs Hinrichtung war das System so repressiv, dass die Chance für einen Widerstand nicht mehr bestanden hätte. Er hätte viel früher einsetzen müssen.


J.G. Wie haben die Schauspieler ihre Rollen verinnerlicht? Haben Sie mit ihnen Gespräche geführt?

O.H. Es war eine große Leistung eines jeden Schauspielers, wie er in die Rolle hineingetaucht ist. Wenn man Richard III. spielt, ist es auch nicht gerade leicht, aber dies ist Weltliteratur. Ich habe mit allen vorher Gespräche geführt und sie mit Informationsmaterial versorgt, mit Bildern, Dokumentarfilmen und Ausschnitten, ich habe ihnen eine Literaturliste gegeben. Sie mussten ihre Hausaufgaben machen. Speziell habe ich natürlich mit Bruno Ganz gesprochen, der Adolf Hitler spielt.


J.G. Bruno Ganz ist einer der größten deutschsprachigen Schauspieler, aber er ist gebürtiger Schweizer. Hat ihm diese Tatsache einen gewissen Abstand gegeben?

O.H. Ich glaube nicht. Ich meine, man kann Schweizer sein oder etwas anderes. Wenn man aber in diese Figur hineingehen will, dann gibt es kein Zurück, dann muss man dorthin gehen, wo es ganz unangenehm wird.


J.G. War es für die Rolle nicht abträglich, dass Schauspieler Bruno Ganz beim Publikum viel Sympathie besitzt?

O.H. Wir haben versucht, diese Figur authentisch wiederzugeben. Beispielsweise ist es verbrieft, dass Hitler mit den Damen extrem charmant war, ein höflicher Mensch, der bei Lagebesprechungen plötzlich gnadenlos ausrasten und toben konnte wie ein Teufel. Der Mann muss allerdings ein Charisma gehabt haben. Wie konnte er sonst Führer einer Nation werden, wenn er nicht eine Verbindung, eine Schnittstelle zu dem Volk besaß? Das Prinzip der nationalsozialistischen Diktatur basierte zwar auf einem Führer wie im Faschismus, nur es war jemand, der vergöttert und verehrt wurde. Er hat eine Aura gehabt und offensichtlich Hoffnungen verströmt und Projektionsfelder geliefert, die akzeptiert wurden. Insofern ist es schon in Ordnung, wenn der Mann in irgendeiner Form sympathisch wirkt. Weil er jedoch so ungeheuerliche Dinge sagt und so ungeheuerliche Dinge tut, würde mich sehr überraschen, dass er Mitleid erwecken würde. Allerdings: Wenn man etwas für den Mann empfindet, dann haben wir unsere Arbeit gut getan, weil genau das der Umgang des deutschen Volkes mit dieser Figur war. Ich wünsche mir, dass die Leute in den Film gehen, und lesen und studieren und erfahren, was passiert ist. Wer weiß zum Beispiel heute noch, dass die Deutschen allein nach dem Einmarsch in Polen über drei Millionen Polen umgebracht haben? Dass die Juden umgebracht wurden, das weiß man. Aber sie haben drei Millionen Polen systematisch liquidiert: den gesamten Klerus, die intellektuelle Elite, die Politiker, jeden Akademiker bis runter zum Dorfschullehrer. Und das war nicht die Wehrmacht, das waren der Polizeiapparat, die SS, und kleinere Sondereinheiten der Wehrmacht. Das weiß heute kaum einer. In der Schule werden Zahlen genannt, aber was sie angerichtet haben und was für Leute waren, die das getan haben, darüber wird nicht gesprochen.


J.G. Waren sie mit dem Budget zufrieden?

O.H. Es ist schon etwas Besonderes, wenn man so viel Geld für einen deutschen Film zur Verfügung hat, aber unterm Strich war es nicht genug. Die Amerikaner würden einen solchen Film nicht unter 30-40 Millionen machen und wir mussten mit etwas über 13 auskommen. Es war schon sehr grenzwertig.
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