FOG OF WAR , THE | The Fog of War
Filmische Qualität:   
Regie: Errol Morris
Darsteller: Robert S. McNamara
Land, Jahr: USA 2003
Laufzeit: 106 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --


JOSÉ GARCÍA
Foto: Movienetfilm

Gelegentlich erhält der Dokumentarfilm die Möglichkeit, sich da zu präsentieren, wo er seine Wirkung voll entfalten kann: auf der großen Kinoleinwand. Dass Dokumentarfilme genauso spannend wie Spielfilme sein können, hat kürzlich etwa der grandiose „Rhythm is it!“ (siehe Filmarchiv) eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Nun startet im deutschen Kino ein Dokumentarfilm ganz anderer Art, der jedoch nicht weniger den Zuschauer in seinen Bann zieht: der im diesen Jahr mit dem Oscar als „Bester Dokumentarfilm“ ausgezeichnete „The Fog of War“, in dem der ehemalige Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten Robert S. McNamara über seine Verwicklungen in folgenschwere politische Ereignisse befragt wird.

Regisseur Errol Morris interviewte McNamara mehr als 20 Stunden lang über Kriege und Krisen, über Entscheidungen, die Hunderttausenden Menschen das Leben gekostet haben, vom Zweiten Weltkrieg über Kuba und den Kalten Krieg bis zum Vietnam-Krieg. Daraus schnitt Morris einen 106 Minuten langen Film, der sich um elf einprägsame Lehrsätze rankt, die McNamara aus seinem nachdenklichen Rückblick auf die Ereignisse entwickelt hat.

Der im Juni 1916 geborene Robert S. McNamara saß gerade erst sechs Wochen auf dem Chefsessel der Ford Motor Company – als erster Präsident, der nicht aus der Familie Ford stammte –, als ihm John F. Kennedy im Jahre 1961 das Verteidigungsministerium anbot. McNamara blieb Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten bis 1968. Ab diesem Jahr übernahm er die Präsidentschaft der Weltbank, die er bis 1981 innehatte. Doch diese Periode, in der er für eine weltweite Ausbreitung von Verhütungsmitteln sorgte, wird in „The Fog of War“ nicht behandelt.

Am Interview-Stil von Errol Morris verblüfft, dass er sich selbst bewusst extrem zurückhält: „Wer den Mund hält und Leute reden lässt, erfährt viel tiefere Einblicke in ihre Persönlichkeiten, als wenn man sie ständig unterbricht, um so genannte harte Fragen zu stellen“, erklärt der Regisseur zu seiner Methode. Die Ausführungen McNamaras werden mit raffiniert montiertem historischem Material zusammen geschnitten.

Dadurch erfährt der Zuschauer etwa auch, dass McNamaras Bericht über die Ineffizienz amerikanischer Flugzeuge bei der Bombardierung japanischer Städte dazu führte, dass in Tokyo und vielen anderen japanischen Städten fast eine Million Zivilisten starben. McNamaras Fazit: „Hätten wir verloren, man hätte uns als Kriegsverbrecher verurteilt.“

„The Fog of War“ konzentriert sich jedoch auf die zwei wichtigsten Ereignisse, die in McNamaras Amtszeit fielen: auf die Kuba-Krise und den Vietnam-Krieg. Mit Hilfe von Mitschnitten aus den damaligen Sitzungen im Oval Office bietet „The Fog of War“ eine neue Perspektive der Kuba-Krise, nach welcher der erste Lehrsatz McNamaras „Versetze Dich in Deinem Feind“ eine entscheidende Rolle bei der Krisenüberwindung spielte.

Robert McNamara gilt als der Hauptverantwortliche für die Eskalation des Vietnam-Kriegs. Auch hier bietet „The Fog of War“ neue Einsichten in den Gesinnungswandel, den McNamara vollzogen hat, denn Morris setzt erst kürzlich freigegebene Aufzeichnungen aus dem Weißen Haus ein, aus denen herauszuhören ist, wie der Verteidigungsminister Präsident Johnson bittet, die Truppen aus Vietnam abzuziehen, uns sich eine schroffe Abfuhr holt. Die endgültige Kehrtwendung in der Einschätzung des Vietnamkrieges durch McNamara kam jedoch nach dessen Aussagen erst bei seiner Reise nach Hanoi im Jahre 1995. Bei diesem Besuch fragte ihn Nguyen Co Thach, ein enger Vertrauter des damaligen Außenministers: „Lesen Sie keine Geschichtsbücher? Wussten Sie nicht, dass wir seit tausend Jahren gegen die Chinesen kämpfen?“ McNamara fielen wie Schuppen aus den Augen: „Für uns war Vietnam ein Element des Kalten Krieges. Für die anderen war es dagegen ein Bürgerkrieg. Wir haben uns geirrt.“

Durch die Biografie eines ihrer Protagonisten wirft „The Fog of War“ manch interessantes, wenn auch subjektives, sicher auch einseitiges Licht auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Zu den Gesetzen eines Dokumentarfilms gehört, dass sich der Regisseur einer eindeutigen Stellungnahme enthält – der Zuschauer selbst soll sich aus den Aussagen McNamaras seine eigene Meinung bilden. Besonders stutzig machen sollte in diesem Zusammenhang freilich, dass die elf „Lehrsätze“ von Robert S. McNamara pragmatische, keine ethischen Maximen sind, etwa wenn es im „Lehrsatz 9 heißt: „Um Gutes zu tun, kann es notwendig sein, sich auf das Böse einzulassen.“

Obwohl McNamaras Aussagen über den „Nebel des Krieges“ keine ausdrücklichen Parallelen zur jetzigen politischen Lage ziehen, sind diese unverkennbar. Dadurch gewinnt ja der Film seine enorme Sprengkraft: McNamara warnt vor sinnlosen Kriegen und davor, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.
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