BLINDGÄNGER, DIE | Die Blindgänger
Filmische Qualität:   
Regie: Bernd Sahling
Darsteller: Ricarda Ramünke, Maria Rother, Dominique Horwitz, Oleg Rabcuk, Dennis Ritter, Christine Hoppe
Land, Jahr: Deutschland 2003
Laufzeit: 87 Minuten
Genre: Zwischenmenschliche Beziehungen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --


JOSÉ GARCÍA
Foto: MFA+

Im Jahre 1999 lieferte der iranische Regisseur Majid Majidi mit dem viel beachteten Spielfilm „Die Farben des Paradieses“ eine poetische Studie über ein blindes Kind: Der achtjährige Mohammad geht in Teheran auf eine Spezialschule für Sehbehinderte, und wird in den Sommerferien von seinem Vater widerwillig nach Hause geholt. Während Mohammad im Dorf mit seinen Schwestern und der Großmutter die überwältigende Natur erfährt, ist der Vater blind für die Schönheit seiner Umgebung. In Majidis Film besaß die Blindheit Symbolkraft für die grundlegenden Fragen der menschlichen Existenz.

Zwei blinde junge Mädchen stehen nun im Mittelpunkt des deutschen Spielfilmes „Die Blindgänger“. Das Spielfilmdebüt von Regisseur Bernd Sahling, der bei der diesjährigen Berlinale zum Publikumsliebling avancierte, mit dem Deutschen Filmpreis in Gold 2004 als Bester Kinder- und Jugendfilm ausgezeichnet wurde und nun im regulären Kinoprogramm anläuft, erzählt von den 13jährigen Marie und Inga, die in einem Internat für Sehbehinderte in Ostdeutschland wohnen.

Marie und Inga möchten einfach wie Gleichaltrige leben: Streiche spielen, sich die Haare färben, vor allem jedoch miteinander Musik machen. Als sie erfahren, dass in der Stadt eine Schülerband Verstärkung für einen TV-Wettbewerb sucht, wittern sie ihre Chance. Die Jungs zeigen sich zwar von ihrem Talent beeindruckt, finden aber die blinden Mädchen wenig medientauglich.

Trotz der Abweisung durch die Jungs von der Schülerband haben Marie und Inga den Traum nicht aufgegeben, im TV-Talentwettbewerb ihr Können unter Beweis zu stellen. Bei der Herstellung ihres Musikvideos im Internat erhalten sie Unterstützung von Internatsbetreuer Herrn Karl, der vom bekannten Schauspieler Dominique Horwitz mit wunderbarer Zurückhaltung dargestellt wird.

In das geregelte Leben der beiden Mädchen kommt außerdem plötzlich Bewegung, als Marie den jungen Russlanddeutschen Herbert kennenlernt, der ohne die Erlaubnis seines Vaters nach Kasachstan zurückkehren möchte. Ein LKW-Fahrer verlangt 500 Euro für die Fahrt. Um die zusammenzubekommen, gründen Marie und Inga die Straßenmusiker-Band „Die Blindgänger“.

Regisseur Bernd Sahling erklärt die Entstehung seines Spielfilmerstlings aus seiner Arbeit als Dokumentarfilmer: „Ich habe – ab ihrem zweiten Lebensjahr –die blinde Tochter von Freunden mit der Kamera begleitet, insgesamt 18 Jahre lang. Dabei sind drei Dokumentarfilme entstanden. Viele Geschichten, Erlebnisse und Gedanken, die in der dokumentarischen Erzählweise keinen Eingang finden konnten, waren Ausgangspunkt für ‚Die Blindgänger’.“

Im Gegensatz zu Majidis „Die Farben des Paradieses“ setzt indes Sahling nicht die Behinderung seiner Darstellerinnen als Metapher ein. Was „Die Blindgänger“ von Majidis Film unterscheidet, ist die Perspektivenverschiebung: Sahling setzt vor allem in Szene, wie Marie und Inga langsam aus der behüteten Welt des Internats ausbrechen, eigene Erfahrungen machen… genauso wie andere Gleichaltrige, wenn auch sie diese Erlebnisse aufgrund ihrer Behinderung anders wahrnehmen und mitunter freilich intensiver empfinden. Mit seinem quasi dokumentarischen Kamerastil schafft es der Regisseur bereits von den ersten Einstellungen an, den Zuschauer für Marie und Inga zu gewinnen.

Trotz eines allzu vorhersehbaren Ausganges mit verschönten Bildern überzeugt die einfühlsam erzählte Geschichte. Das Spielfilmdebüt von Bernd Sahling lebt von den wunderbaren Darstellerinnen Maria Rother und Ricarda Ramünke, die – wie Mohsen Ramezani, der in „Die Farben des Paradieses“ Mohammad spielt – tatsächlich sehbehindert sind, von einem Drehbuch voller witziger Einfälle sowie von der schönen Musik und einem stimmigen Lichtkonzept, was in einem Film mit sehbehinderten Hauptdarstellern naturgemäß eine besondere Rolle spielt: das Internatsleben wird in warmen und dunklen Tönen gehalten, draußen dominieren helle und kalte Farben.
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