EN GARDE | En Garde
Filmische Qualität:   
Regie: Ayse Polat
Darsteller: Maria Kwiatkowsky, Pinar Erinicin, Luk Piyes, Antje Westermann, Geno Lechner, Julia Mahnecke, Jytte-Merle Böhrnsen, Teresa Harder
Land, Jahr: Deutschland 2004
Laufzeit: 94 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: S +


JOSÉ GARCÍA
Foto: X Verleih

Seit dem Ende der neunziger Jahre erfreut sich das deutsche Kino nach langer Durststrecke wieder internationaler Anerkennung. Zu einem nicht unerheblichen Teil ist dies der Firma „X Filme Creative Pool“ zu verdanken. Zusammen mit Filmwerken von Bernd Eichingers Constantin (dem mit dem Oscar 2003 ausgezeichneten „Nirgendwo in Afrika“ und dem „Untergang“) sowie von Claus Bojes und Detlev Bucks „Delphi“ („Die fetten Jahre sind vorbei“ von Hans Weingartner, der am diesjährigen Cannes-Festival teilnahm, siehe Filmarchiv), zählen insbesondere X-Filme zu den deutschen Produktionen, die zum Wettbewerb internationaler Filmfestspiele (Tom Tykwers „Lola rennt“ in Venedig 1998 und Sundance 1999) zugelassen werden oder internationale Auszeichnungen erhalten, so Wolfgang Beckers „Good Bye, Lenin!“, der beim European Film Award 2003 mit mehreren Preisen, darunter für den besten Europäischen Film bedacht wurde.

Nun ist dieses Jahr wieder eine X Filme-Produktion auf einem internationalen Filmfestival geehrt worden: „En Garde“ von Regisseurin Ayse Polat gewann den Silbernen Leoparden für den zweitbesten Film im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele Locarno 2004. Darüber hinaus erhielten die beiden Hauptdarstellerinnen Maria Kwiatkowsky und Pinar Erincin gemeinsam den Preis für die beste Darstellerin.

Im diese Woche im regulären Kinoprogramm anlaufenden „En Garde“ stellen Maria Kwiatkowsky und Pinar Erincin die deutsche Alice und die Kurdin Berivan dar: Die 16-jährige Alice wird von ihrer Mutter in ein katholisches Mädchen-Erziehungsheim abgegeben, wo sie von den aufsässigen Mädchen ausgenutzt wird – vor allem ihr hypersensibles Hörvermögen lässt sie ihre Umwelt differenzierter, aber auch bedrohlicher als die anderen wahrnehmen. Freundlich zu ihr zeigt sich lediglich die junge Kurdin Berivan, die auf die Entscheidung über ihren Asylantrag wartet, und vielleicht wieder abgeschoben wird. Die Freundschaft zwischen den Mädchen droht zu zerbrechen, als Berivan sich in Ilir (Luk Piyes) verliebt, und Alice eifersüchtig wird, weil sie ihre einzige Freundin zu verlieren fürchtet. Der daraus erwachsende Konflikt hat dramatische Folgen.

„En Garde“ beruht auf persönlichen Erfahrungen der Regisseurin Ayse Polat, die im Rahmen eines Praktikums in einem Heim junge Frauen betreute und ihnen bei schulischen Problemen half. „Sie haben eine extreme Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit. Freundschaften sind ihnen heilig. Und in dem Moment, wo sie eine geschlossen haben, packt sie die Angst, sie wieder zu verlieren. Darum zerstören sie alles“, führte Polat dazu aus.

Alice und Berivan verkörpern indes weit mehr als zwei Prototypen aus einem Mädchenheim: möglicherweise sind sie die zwei Seiten der Persönlichkeit von Ayse Polat, die sich selbst als „Hamburgerin kurdischer Herkunft“ bezeichnet: Die im Jahre 1970 in der Türkei geborene Kurdin siedelte als Achtjährige nach Deutschland über.

Der Filmtitel „En Garde“ drückt metaphorisch den Kampf aus, als den die Protagonistin Alice das Leben versteht. Der Fechtsport ist freilich nur eins der Sinnbilder von „En Garde“. Denn zur rein narrativen Erzählung setzt der Film Stimmung und Atmosphäre etwa in der Darstellung der schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung hinzu ein. Dazu erläutert Produzentin Maria Köpf: „Diese Beziehung wird über das Motiv der künstlichen Fingernägel erzählt. Dazu kommt die Hyperakusis, das extreme Hören. So wird die Geschichte über die Körper erzählt: Die Fingernägel, das Hören, die Selbstverwundung durch das Einritzen in die Arme...“ Allerdings treibt der Film seine körperbetonte Erzählweise etwas zu weit: Dass Minderjährige, oder wenigstens Schauspielerinnen, die Minderjährige darstellen, nackt gezeigt werden, passt wohl kaum zu der sonst sensiblen Geschichte, in der ein Mädchen, das die Anlage zur Selbstzerstörung hat, Liebesfähigkeit und Vergebung lernt.

Bei diesem Lernprozess nimmt einen besonderen Stellenwert das katholische Milieu ein, in dem sich die Handlung abspielt: „Was mich am Katholizismus immer fasziniert hat, ist die Möglichkeit des Beichtens und in der Folge das Konzept des Verzeihens. Auch Alice lernt zu verzeihen“, erläutert die Regisseurin, die sich selbst zum Alevitismus, einer liberalen Form des Islams bekennt.
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