AVIATOR | The Aviator
Filmische Qualität:   
Regie: Martin Scorsese
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Cate Blanchett, John C. Reilly, Alec Baldwin, Kate Beckinsale, Jude Law, Gwen Stefani, Ian Holm
Land, Jahr: USA 2004
Laufzeit: 170 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: S


JOSÉ GARCÍA
Foto: Buena Vista International

Häufig ist das Leben viel interessanter als jede Fiktion, die sich Roman- oder Drehbuchautoren ausdenken können. Darin liegt auch die Spannung der Filmbiografie begründet, der im Hollywood-Jargon „Biopicture“ oder einfach „Biopic“ heißt. Wenn das zu behandelnde Leben darüber hinaus die Möglichkeit bietet, die goldene Zeit des amerikanischen Kinos heraufzubeschwören, dann kann Hollywood die Selbstbezüglichkeit in vollen Zügen genießen.

Das Leben des Filmproduzenten Howard Hughes, das nun Martin Scorsese unter dem Titel „Aviator“ verfilmt hat, bietet eine solche Gelegenheit, die glamuröse Zeit des aufkommenden Tonfilms und der großen Divas Katherine Hepburn, Ava Gardner, Joan Crawford und Jane Russell auf der Leinwand wiedererstehen zu lassen.

Das Drehbuch von John Logan, der zuletzt das Skript für „Gladiator“ sowie für „Last Samurai“ lieferte, verdichtet auf drei Kinostunden zwei Jahrzehnte aus dem facettenreichen Leben Howard Hughes‘ (1905-1976): Mit 18 Jahren wurde Hughes der reichste Mann der Vereinigten Staaten. Sein unermesslicher Reichtum erlaubte ihm, seinen zwei teuren Leidenschaften zu frönen, und sowohl ins Film- als auch ins Flugzeuggeschäft einzusteigen. „Aviator“ umspannt zwei Jahrzehnte aus dem Leben Hughes‘ von den Dreharbeiten zu dem Erster-Weltkriegs-Fliegerdrama „Hell's Angels“ bis zur öffentlichen Auseinandersetzung zwischen der von Hughes aufgekauften Fluggesellschaft TWA und ihrer Konkurrentin PanAm. Dieser Kampf gipfelt in einer Senatsanhörung, die zu den besten Szenen von „Aviator“ gehört. Mit den Aufnahmen von Hughes als Pilot des bis heute größten Flugzeugs der Welt, des Wasserflugzeugs „Hercules“, im Jahre 1947 endet der Spielfilm.

Dazwischen liegen zwanzig Jahre, in denen Hughes (Leonardo DiCaprio) mit seinem Flieger-Film „Hell’s Angels“ Jean Harlow (Gwen Stefani) zum Star macht und Liebesaffären mit mehreren Schauspielerinnen, die zu den größten Stars des klassischen Hollywoods gehören sollten, und die Scorsese zurückhaltend inszeniert: Katherine Hepburn, deren resolute Körpersprache von Cate Blachett auf eindrucksvolle Weise dargestellt wird, und Ava Gardner, die von Kate Beckinsale bei weitem nicht so glaubwürdig verkörpert wird.

Zwar ist „Aviator“ dadurch auf den ersten Blick ein „Star-Film“ – Leonardo DiCaprio zeigt hier seine wohl überzeugendste Darstellung seit „Gilbert Grape“ (1993), und die weiteren Nebenrollen sind etwa mit Jude Law als Frauenschwarm Errol Flynn, Alec Baldwin als PanAm-Chef Juan Trippe oder mit Alan Alda als Senator Brewster prominent besetzt. Zwar besticht der Film darüber hinaus durch das perfekte Produktionsdesign von Dante Ferreti sowie durch eine brillante Kameraführung mit für Scorsese typischen langen Einstellungen. Kameraman Robert Richardson sind zudem die Technicolor-Farben aus Hughes‘ Zeit perfekt gelungen, wodurch „Aviator“ zusätzliche Authentizität verliehen wird.

Doch so „Mainstream“-kompatibel die erste Filmhälfte inszeniert ist, so mehren sich bei Hughes etwa ab der Filmmitte die Anzeichen von Zwangsvorstellungen und der bereits in der Eingangssequenz des Filmes eingeführten, lebenslangen Furcht vor Keimen: In einer Restauranttoilette reibt sich Hughes mit mitgebrachter Seife die Hände, bis sie bluten. Der vom Reinigungswahn Befallene schafft es nicht, die Türklinke anzufassen – an der Wand gelehnt, muss er warten, bis ein anderer die Tür öffnet.

Wenn Scorsese in „Aviator“ nicht zu den drastischen Mitteln wie etwa in „Taxi Driver“ (1976) greift, um einen selbstzerstörerischen Helden zu skizzieren, so wird der Film zunehmend düsterer. Obwohl „Aviator“ im Jahre 1947 abbricht, lässt er die spätere Entwicklung erahnen: Der echte Howard Hughes hauste die beiden letzten Jahrzehnte seines Lebens in verdunkelten Hotelzimmern, von Krankheiten und Keim-Phobie heimgesucht, in ständiger Angst, verrückt zu werden. Als Hughes am 5. April 1976 in seinem Privatflugzeug starb, musste seine Identität durch Überprüfung der Fingerabdrücke festgestellt werden.

Gerade an der zerrissenen Persönlichkeit des Exzentrikers liegt das Interesse Scorseses für Howard Hughes: „Eines der faszinierendsten Elemente der Geschichte von ‚Aviator‘ ist, wie aus diesem ungewöhnlich attraktiven, klugen jungen Mann, der voller Leben ist, ein von seinen eigenen Unzulänglichkeiten gepeinigter Mensch wird.“ Im subtilen Einfangen der Entwicklung von Hughes‘ Neurosen liegt die große Stärke von „Aviator“.

Das Katholische Filmbüro der Vereinigten Staaten zählt „Aviator“ unter die besten zehn Filmen des Jahres. Am Sonntagabend wurde das Epos mit dem Golden Globe für das beste Filmdrama des Jahres 2004 ausgezeichnet. Damit gilt „Aviator“ als großer Favorit für die Oscar-Verleihung. Auch Leonardo DiCaprio erhielt den Golden Globe für den besten Hauptdarsteller in einem Drama. In der Kategorie „Beste Regie“ konnte sich Martin Scorsese allerdings gegen Clint Eastwood nicht durchsetzen.
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