BABIJ JAR. DAS VERGESSENE VERBRECHEN |
Filmische Qualität:   
Regie: Jeff Kanew
Darsteller: Michael Degen, Barbara De Rossi, Katrin Saß, Axel Milberg, Gleb Porschnew, Olga Erokhovets
Land, Jahr: Deutschland/Russland 2002
Laufzeit: 108 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X -


JOSÉ GARCÍA
Foto: Central Film

Filmproduzenten stehen selten im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Aus dem Schatten der Filmschauspieler und –regisseure treten sie nur vereinzelt heraus, etwa wenn der Produzent des mit dem Oscar für den „Besten Film“ ausgezeichneten Films die goldene Statuette in Empfang nimmt. Deshalb wundert es nicht, dass in Deutschland Artur Brauner über Fachkreise hinaus kaum bekannt ist. Dabei gehört der 1918 in Lodz geborene Produzent, der nach dem deutschen Angriff auf Polen dem Ghetto entgehen und fliehen konnte, wie kaum ein anderer zu den Filmemachern, die nach dem Krieg dem deutschen Film wieder zur Weltgeltung verhalfen. Brauner produzierte etwa die letzten Filmwerke des aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrten Fritz Lang („Das indische Grabmal“, „Der Tiger von Eschnapur“ und „Die 1.000 Augen des Dr. Mabuse“) sowie so bekannte Spielfilme wie Ladislao Vajdas „Es geschah am helllichten Tag“ und Jacques Ruffios „Die Spaziergängerin von Sanssouci“.

Schon früh beschäftigte sich Artur Brauner in seinen Filmen mit der Nazizeit. So entstand der autobiographisch inspirierte „Morituri“, der die Flucht von Häftlingen aus einem KZ und ihr anschließendes Leben im Versteck nahe der polnisch-russischen Grenze behandelte, bereits 1947. Im Jahre 1955 folgte „Der 20. Juli“. In den achtziger Jahren wandte sich Artur Brauner dieser Thematik erneut zu: Unter den mehr als 20 Filmen über den Holocaust und andere Opfer der Nazionalsozialisten, die Brauner produzierte, ragen „Die weiße Rose“ (Michael Verhoeven, 1982), „Hanussen“ (Istvan Szabo, 1988) und „Hitlerjunge Salomon“ (Agnieszka Holland, 1989) hervor.

„Babij Jar – Das vergessene Verbrechen“ stellt für den hochbetagten Artur Brauner ein sehr persönliches Projekt dar, starben bei diesem Massaker doch zwölf seiner Verwandten mütterlicherseits. In Babij Jar (zu deutsch „Großmütterchenschlucht“), einer Schlucht bei Kiew, wurden kurz nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die ukrainische Hauptstadt im September 1941 – noch vor der berüchtigten Wannsee-Konferenz vom Januar 1942 – innerhalb von nur zwei Tagen 33.771 Juden erschossen. Mit dem durchorganisierten Gemetzel von Babij Jar wollte Standartenführer Blobel (im Film von Axel Milberg dargestellt) beweisen, dass Massenmord lediglich eine Frage der Logistik sei. Blobel wurde im Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess zum Tode verurteilt.

Papst Johannes Paul II. betete für die Opfer im Juni 2001 an der Gedenkstätte Babij Jar während seinem Ukraine-Besuch. In seiner Dankesrede betonte Rabbiner Jakob Dov Bleich: „Dank der großen Bemühungen des Papstes gibt es Hoffnung, dass es keine weitere Babij Jars mehr geben wird“.

Der Film „Babij Jar – Das vergessene Verbrechen“, der heute im deutschen Kino startet, erzählt anhand zweier ukrainischer Familien – der nichtjüdischen Onufrienko und der jüdischen Lerner – von dieser Mischung aus diffuser Furcht und guter Portion Habgier, die dem Antisemitismus den Boden bereitete. Die zwei Familien teilen sich seit zwanzig Jahren ein Doppelhaus: in der einen Hälfte wohnt das Ehepaar Sascha (Evklidis Kiourtzidis Kyriakos) und Natalja Lerner (Barbara de Rossi) mit den drei Kindern und Saschas Vater Genadij (Michael Degen), der viele Jahre als Fotograf in Berlin arbeitete. Gleb (Anatolij Guriev) und Lena Onufrienko (Katrin Saß) bewohnen mit ihren Kindern, dem 15jährigen Stepan und der 18jährigen Helena die rechte Haushälfte.

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Kiew erwacht in Natalja Lerner plötzlich die Gier, an die andere Haushälfte zu kommen: wenn ihre Nachbarn fliehen oder getötet würden, würden sie frei; dort könnte Nataljas Tochter Helena nach deren bevorstehender Hochzeit wohnen. Die Verwandlung der Lena Onufrienko von der lieben Nachbarin in die Denunziantin soll exemplarisch Neid und Hass gegen jüdische Nachbarn verdeutlichen.

Um dem Spielfilm eine größere Authentizität zu verleihen, wurden in „Babij Jar“ Dokumentaraufnahmen eingebaut. Damit sie mit der Handlung verschmelzen konnten, wurde „Babij Jar“ schwarz-weiß gedreht. Gegenüber den großen Produktionen über den Holocaust wie „Schindlers Liste“ (Steven Spielberg, 1993) oder auch „Der Pianist“ (Roman Polanski 2002) fällt „Babij Jar – Das vergessene Verbrechen“ jedoch deutlich ab: Abgesehen von einigen Schwächen im Drehbuch, den schauspielerischen Grenzen einiger Darsteller und der beschränkten Schauspielerführung durch den Regisseur stellt sich bei „Babij Jar“ auch die Frage, ob mit einer verhältnismäßig bescheidenen Produktion das Grauen der Judenvernichtung überhaupt erlebbar gemacht werden kann.

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