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JOSà GARCÃA Foto: Tobis ![]() Im Folgenden eine Besprechung beider Filme, auch im Zusammenhang mit Wolfgang Liebeneiners âIch klage anâ (1941). In dem von Wolfgang Liebeneiner in Zusammenarbeit mit der Berliner Euthanasie-Zentrale hergestellten Spielfilm âIch klage anâ wurde laut des Berliner Bischofs Preysing âunaufdringliche Propaganda für die Euthanasie und die Vernichtung lebensunwerten Lebensâ gemacht. âIch klage anâ sollte den immer noch vorhandenen und vor allem in katholischen Kreisen starken Widerstand aufbrechen. Goebbels erkannte die Wirkung dieser Art Filmpropaganda Um die emotionale Basis für die Akzeptanz des âEuthanasieâ-Gesetzes im Dritten Reich zu schaffen, wurde die Haupthandlung auf die âTötung auf Verlangenâ konzentriert: Die Frau eines berühmten Medizinprofessors erkrankt an Multipler Sklerose. Als sich trotz Einsatzes aller wissenschaftlichen Kapazitäten kein Mittel finden lässt, ihre tödliche Krankheit zu bekämpfen, bittet sie ihren Mann, sie von ihren Qualen zu erlösen. Daraufhin wird der Medizinprofessor wegen âTötung auf Verlangenâ angeklagt. Am Ende der Verhandlung tritt der Angeklagte indes als Ankläger auf: âIch klage jetzt an. Ich klage einen Paragraphen an, der Ãrzten und Richtern an der Ausführung ihrer Aufgabe hindert, dem Volk zu dienen. (...) Ich habe meine Frau, die unheilbar krank war, von ihren Leiden erlöst. Von Ihrem Spruch hängt jetzt mein Leben ab.â Darüber hinaus erweist sich nicht nur der Freund, der die Tötung ursprünglich als Mord verurteilte, aufgrund neuer Erfahrungen als Befürworter der âErlösungâ Kranker von ihren unheilbaren Leiden; sieben Geschworene führen in kurzen Statements aus ihrer jeweiligen Sicht â des Studienrats, des Jägers, des Majors⦠â Beispiele an, bei denen die Tötung unheilbarer Kranker als human erscheint. Goebbels erkannte, dass der Film ein Einfallstor für die Vermittlung der âEuthanasieâ an geistig Behinderten darstellt. Man müsste nur noch vermitteln, dass diese ebenfalls arme, leidende Menschen sind, die man erlösen müsse. Worum es Goebbels bei dieser Art der Filmpropaganda ging, sprach er offen aus: dass âuns die Liquidierung dieser nicht mehr lebensfähigen Menschen psychologisch etwas leichter gemacht wird.â âDas Meer in mirâ: ein Pamphlet für den assistierten Selbstmord Auch âDas Meer in mirâ handelt vom unumstöÃlichen Wunsch eines unheilbar Kranken, vom âmenschenunwürdigen Lebenâ âerlöstâ zu werden: Seit 27 Jahren ist Ramón querschnittsgelähmt. Seit einem Badeunfall, bei dem er sich so schwer verletzte, dass er nur noch den Kopf bewegen kann, hegt er den Wunsch, seinem Leben ein Ende zu setzen. In das im Film behandelte letzte Jahr seines Lebens treten zwei Frauen: Versucht Rosa, ein Mädchen aus dem Dorf, ihn zu überreden, sein Dasein lebenswert zu finden, so schlägt sich Julia, eine Anwältin aus Barcelona, auf Ramons Seite: die ebenfalls Schwerkranke will Ramóns Gesuch auf aktive Sterbehilfe bis vor die höchsten Gerichte bringen. âDas Meer in mirâ beruht auf einer authentischen Geschichte: Jahrzehnte lang versuchte Ramón Sampedro, seine Vorstellung vom eigenen menschenwürdigen Tod vor spanischen Gerichten sowie vor dem Europäischen Gerichtshof durchzusetzen. Nachdem vier Instanzen seinen Antrag abgelehnt hatten, nahm er sich am 12. Januar 1998 mit Hilfe einer Freundin das Leben und zeichnete sein Sterben mit der Videokamera auf. Der 32-jährige Regisseur Alejandro Amenábar zeigt Ramón Sampedro als humorvollen, liebenswürdigen und sensiblen Menschen, der nur eins kennt: Er will sein Leben beenden. Alle Versuche, darüber zu diskutieren, erstickt er mit einem Standardsatz im Keim: âUrteile nicht über mich. Wenn du mich wirklich liebst, hilf mir zu sterbenâ. Seltsam widersprüchlich wirkt freilich eine Figur, die stets nach rationalen Erklärungen sucht â selbst um den Fernseher einzuschalten, um ein FuÃballspiel zu sehen, verlangt er von seinem Neffen einen triftigen Grund â, aber in eigener Sache allen Vernunftgründen unzugänglich bleibt. Zwar bemerkte der Filmkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zur Aufführung von âDas Meer in mirâ auf dem Filmfestival Venedig 2004, der Film sei âtatsächlich das reinste Tränenbad. Wer je gedacht hat, nur das Hollywood-Kino sei eine Ãberwältigungsmaschinerie, wird hier eines Besseren belehrt.â Der Regisseur âpresst die Gemüter aus wie Zitronen, als wollte er sehen, was man mit dem Manipulationsmedium Kino alles anstellen kann.â Die meisten Zuschauer werden jedoch vom groÃartigen Spiel der Darsteller und den wunderschön hellen Bildern so mitgerissen, dass die ethischen Fragen in den Hintergrund treten. Amenábar hat von seinem Landsmann Pedro Almodóvar gelernt, den Zuschauer durch Ãsthetik zu benebeln. Dabei tritt âDas Meer in mirâ mit dem Anspruch auf, den Kampf eines Menschen âgegen Staat und Kircheâ aufzuzeigen. Aber gerade das ist, was der Film nicht leisten will. Zwar wird der Besuch eines ebenso querschnittgelähmten Jesuitenpaters gezeigt, der Sampedro von dem Wert dieses Lebens überzeugen will. Aber die Szene gerät vollends zur Groteske: Der Priester kommt in dem engen galizischen Bauernhaus mit seinem Rollstuhl nicht die engen Stufen hinauf, und Ramón will nicht nach unten. Die Auseinandersetzung bleibt deshalb dem Zuschauer erspart. Der Regisseur klammert ebenso die Auseinandersetzung mit dem Staat, mit der Justiz aus: Das Ansinnen des echten Sampedro wurde von vier Gerichten abgewiesen. Ãber die jeweiligen Urteilsbegründungen erfährt der Zuschauer gar nichts. Lediglich eine etwa dreiminütige Szene spielt sich im Gerichtssaal ab, wobei die meiste Zeit dem Plädoyer von Sampedros Anwalt vorbehalten bleibt. Die Richter werden mit ernsten Mienen, dicken Hornbrillen und Schnurrbärten so unsympathisch gezeichnet, als kämen sie geradewegs aus dem tiefsten Franco-Spanien. Die Erklärung des Regisseurs, warum in seinem Film die juristische Seite keine Beachtung findet, vermag kaum zu überzeugen: âWir wollten uns nicht bei dieser juristischen Auseinandersetzung aufhalten. Das ist eine Sache, für die man sich interessiert oder nicht, und wenn man sich nicht so dafür interessiert, kann das auf der Leinwand ziemlich ermüdend sein.â Mit Argumenten weià Amenábar â wie seine Hauptfigur Ramón â offensichtlich nichts anzufangen. âMillion Dollar Babyâ: ein Film mit differenzierter Aussage Gegenüber der emotionalen Manipulation durch âDas Meer in mirâ nimmt sich âMillion Dollar Babyâ viel nuancierter aus. Abgesehen davon, dass die dramatische Wendung erst nach anderthalb Stunden geschieht, stellt âMillion Dollar Babyâ die Sterbehilfe im Gegensatz zu âDas Meer in mirâ keineswegs als âHappy endâ dar. Herrschen im spanischen Film helle Farben vor, so liegt auf den Bildern von âMillion Dollar Babyâ nicht nur eine Patina, die sie âwie historische Filme aussehenâ lassen soll (Regisseur Eastwood). Darüber hinaus erzeugen sie eine ähnlich beklemmende Stimmung wie âMystic Riverâ (2003), mit dem Clint Eastwood letztes Jahr zwei Oscars (von sechs Nominierungen) gewann. Diese durch die von Clint Eastwood erneut selbst komponierte Musik noch unterstrichene düstere Stimmung drückt eine fatalistische Weltanschauung aus. Sind die Figuren in âDas Meer in mirâ strahlende Menschen, so gestaltet Clint Eastwood die Hauptfigur seines Dramas âMillion Dollar Babyâ, den von Eastwood selbst verkörperten Boxtrainer Frankie, ebenso als gebrochenen, vom langen Schatten der Vergangenheit bedrückten, von Schuldgefühlen gebeugten Menschen wie die drei Freunde in Mystic River. Grau-in-grau-Töne sowie Bilder, bei denen der Schatten jede Farbigkeit auf ein Minimum reduziert, dominieren in der Farbgebung des Filmes â als die Folie, auf der Frankie seine schwer wiegende Entscheidung trifft. Im Unterschied zu âDas Meer in mirâ, der sich ja um die ethische Seite herumdrückt, spielt âMillion Dollar Babyâ offen mit den moralischen Implikationen einer âTötung auf Verlagenâ: âIch weiÃ, dass dies eine Sünde istâ, sagt denn auch der praktizierende Katholik zu dem Pfarrer, der ihm antwortet: âWenn Sie es tun, sind Sie verloren, Sie werden nie wieder zu sich findenâ. Wie bereits in âMystic Riverâ zieht Eastwood in âMillion Dollar Babyâ keine klare Linie zwischen Gut und Böse: Frankie ist ein von seiner Schuld niedergedrückte Mann: Einerseits trägt er schwer an der Tatsache, dass seine Tochter jeglichen Kontakt zu ihm abgebrochen hat. Andererseits fühlt er sich ebenso schuldig daran, dass sein ehemaliger Boxer Eddie âScrapâ Dupris (Morgan Freeman) einst nach einem Boxkampf ein Auge verlor, weil Frankie den Kampf nicht frühzeitig abbrach. Die Vergebung und Sühne, nach der sich Frankie sehnt, meint er in der Vater-Tochter-Beziehung zur Boxerin Maggie (Hillary Swank) gefunden zu haben, deren einziger Traum der Weltmeistertitel ist. Denn Frankie erkennt darin die Chance, seine Fehler aus der Vergangenheit wiedergutzumachen. Der offene Ausgang, in dem die Off-Stimme von âScrapâ vom endgültig gebrochenen Frankie erzählt, steht im deutlichen Gegensatz zu Filmen wie âIch klage anâ oder âDas Meer in mirâ. Die Behauptung, âMillion Dollar Babyâ verherrliche den âassistierten Selbstmordâ, wird Eastwoods Spielfilm nicht gerecht. Dennoch: Bei aller Nuancierung wird âMillion Dollar Babyâ bei den meisten Zuschauern den Eindruck erwecken, der Film werte diese Tat â allen moralischen Vorbehalten zum Trotz â positiv. âMan muss auch löschen, wenn das Nachbarhaus brennt. Man darf nicht warten, bis der eigene Dachstuhl Feuer gefangen hatâ, äuÃerte Dominikanerpater Odilo Braun zu Clemens August Graf von Galen im Vorfeld von dessen Predigt zum Euthanasie-Programm des Naziregimes vom 3. August 1941. Darin sagte Kardinal von Galen: âWehe den Menschen, wehe unserem deutschen Volke, wenn das heilige Gottesgebot: âDu sollst nicht tötenâ ... nicht nur übertreten wird, sondern wenn diese Ãbertretung sogar geduldet und ungestraft ausgeübt wird!â Auf die Folgen einer solchen Ãbertretung hat Manfred Spieker anhand der Untersuchungen über die Euthanasiepraxis in den Niederlanden jüngst hingewiesen: âDie Legalisierung der aktiven Sterbehilfe muss unvermeidlich dazu führen, dass aus dem Recht zum assistierten Selbstmord eine Pflicht wirdâ (LebensForum 1/2005). Obgleich âMillion Dollar Babyâ im Gegensatz zu âDas Meer in mirâ weder den Zuschauer überwältigen will noch die Tötung auf Verlangen als eine über jeden Zweifel erhabene Handlung darstellt, wird hier wenn nicht ein Einfallstor für die Euthanasie geschaffen, so doch die Tür einen Spalt geöffnet: Im Nachbarhaus brennt es lichterloh. |
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