KAUFMANN VON VENEDIG, DER | The Merchant of Venice
Filmische Qualität:   
Regie: Michael Radford
Darsteller: Al Pacino, Jeremy Irons, Joseph Fiennes, Lynn Collins, Zuleikha Robinson, Kris Marshall, Charlie Cox
Land, Jahr: USA / Italien / Luxemburg / Großbritannien 2004
Laufzeit: 138 Minuten
Genre: Literatur-Verfilmungen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: S


JOSÉ GARCÍA
Foto: Sony Pictures

Zu einer regelrechten Renaissance der Shakespeare-Verfilmungen in den letzten Jahren trug vor allem Kenneth Branagh bei: Nach seinem viel beachteten Regiedebüt „Heinrich V.“ (1989) verfilmte der nordirische Regisseur und Schauspieler in regelmäßigen Zeitabständen „Viel Lärm um Nichts“ (1993), „William Shakespeare's Hamlet“ (1996) sowie „Verlorene Liebesmüh‘“ (2000).

Während Kenneth Branagh für das Jahr 2006 bereits die Filmfassung von „As You Like It“ angekündigt hat, wagt sich nun Michael Radford an die Leinwand-Version eines eher selten als Film umgesetzten Shakespeare-Theaterstücks heran: „Der Kaufmann von Venedig“.

Venedig, Ende des 16. Jahrhunderts: In der Stadt herrscht eine hasserfüllte Atmosphäre zwischen den venezianischen Kaufleuten, die bei ihren blühenden Geschäften auf die jüdischen Geldverleiher angewiesen sind, und den Juden, die vom Dogen gezwungen werden, in einem abgetrennten Stadtviertel zu leben und dieses Ghetto nur tagsüber und mit einem roten Hut zu verlassen.

Shakespeare verdichtet diesen schwelenden Konflikt in einem Handel zwischen dem „gerissenen“ Juden Shylock (Al Pacino) und dem „großzügigen“ Kaufmann Antonio (Jeremy Irons): Als der lebenslustige Edelmann Bassanio (Joseph Fiennes), der bei seinem Freund Antonio hoch verschuldet ist, diesen erneut um Geld bittet, um standesgemäß die reiche und schöne Portia (Lynn Collins) umwerben zu können, bürgt Antonio beim jüdischen Geldverleiher Shylock für einen Schuldschein.

Shylock, der sich einst von Antonio demütigen lassen musste, wittert nun seine Chance, sich für die Diskriminierung zu rächen. Er knüpft das Geldgeschäft an eine ungewöhnliche Bedingung: kann Antonio innerhalb von drei Monaten das verliehene Geld nicht zurückzahlen, fordert Shylock statt Zinsen ein Pfund Fleisch aus Antonios Körper. Antonio willigt ein, und verlässt sich dabei auf die Ankunft mehrerer Handelsschiffe, durch die er wieder liquide zu werden hofft.

Für die Umsetzung des klassischen Stoffs wählte Radford eine prachtvolle Ausstattung. Zur Atmosphäre der Verfilmung tragen im entscheidenden Maße auch die Aufnahmen an Originalschauplätzen bei. Radford hält ebenfalls die Balance zwischen den tragischen Zügen der Haupthandlung und komödiantischen Elementen in Nebenhandlungen, etwa bei der Brautwerbung um Portia.

Ebenso gut gelungen ist Radford ein weiterer Balanceakt: nahe am Text zu bleiben, aber trotzdem die Sprache zu modernisieren. Dadurch, dass die Schauspieler nicht Verse deklamieren, sondern den Text natürlich sprechen, lenkt er den Blick des Zuschauers auf die Motivationen und Antriebskräfte der Menschen aus dem 16. Jahrhundert. Bekanntlich liegt darin die Stärke Shakespeares: Figuren mit zeitlosen Eigenschaften geschaffen zu haben.

Trotzdem entsteht in der Inszenierung der Eindruck, dass sich Radford an Kenneth Branaghs „Viel Lärm um Nichts“ anlehnt, ohne jedoch seinen Charme zu erreichen. Nicht immer gelingt es darüber hinaus dem Regisseur, den Eindruck eines abgefilmten Theaterstücks zu vermeiden. Wie im Theater so tragen auch in Radfords Filmfassung von „Kaufmann von Venedig“ die Schauspieler die Hauptlast. Und gerade hier werden enorme Unterschiede zwischen den erfahrenen Darstellern Al Pacino und Jeremy Irons einerseits und den jüngeren Schauspielen andererseits besonders deutlich.

Eine schwierigere Hürde musste dennoch Radford nehmen: Dem Stück haftet das Odium des Antisemitismus an. Vor allem in der Gerichtsverhandlung gegen Ende wird Shylock als unversöhnlich und rachsüchtig gezeichnet. Doch Radford schafft es, dass der Zuschauer Mitgefühl für Shylock empfindet, weil Shylocks Gegner letztendlich gerissener als der Geldverleiher erscheinen. Die Auflösung kann indes auch auf allgemein moralische Art, unabhängig von Rassen- oder Religionszugehörigkeit, gedeutet werden: Rachegelüste werden bestraft, nur Vergebung schafft das Fundament für das Funktionieren einer Gesellschaft.

So bleibt der Antisemitismus als eine in den historischen Kontext eingebettete Erscheinung. In Radfords Verfilmung von Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ überwiegen denn auch die zeitlosen, menschlich-allzumenschlichen Themen im Theater des großen Klassikers: Rache und Vergebung, Eifersucht und Liebe.
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