L’ESQUIVE | L’esquive
Filmische Qualität:   
Regie: Abdellatif Kechiche
Darsteller: Osman Elkharraz, Sara Forestier, Sabrina Ouazani, Nanou Benahmou, Hafet Ben-Ahmed
Land, Jahr: Frankreich 2004
Laufzeit: 117 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: D


JOSÉ GARCÍA
Foto: Peripher

Die Verleihung des diesjährigen französischen Filmpreises endete mit einer Überraschung: Statt der favorisierten „Mathilde – Eine große Liebe“ (siehe Filmarchiv) und „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ (siehe Filmarchiv) wurde als „bester französischer Film“ ein eher kleiner Film ausgezeichnet, der darüber hinaus in drei weiteren Kategorien ebenfalls einen „César“ mit nach Hause nehmen konnte: „L’Esquive“ des 1960 in Tunis geborenen, in Südfrankreich aufgewachsenen Abdellatif Kechiche gewann noch die Preise für „beste Regie“, „bestes Drehbuch“ sowie für die „beste Nachwuchsdarstellerin“ (Sara Forestier).

„L’Esquive“ (esquiver: „ausweichen“, umgangssprachlich „sich drücken“, „kneifen“) beobachtet eine Gruppe junger Leute um den 15-jährigen Krimo (Osman Elkharraz) und seine Freunde, deren Leben sich fast ausschließlich in der geschlossenen Welt einer Plattenbausiedlung in einem Pariser Vorort abspielt. Während ihre Eltern, allesamt Einwanderer, in ihren kleinen Wohnungen von der Heimat träumen, versuchen die Kinder, sich darin einzurichten.

Der Film folgt Krimo just an dem Tag, an dem seine Freundin Magalie (Aurélie Ganito) mit ihm Schluss macht. Obwohl Krimo als besonders introvertiert gezeichnet wird, verliebt er sich schnell in eine andere: Das blonde Energiebündel Lydia (Sara Forestier) bittet ihn, sie zu einer Probe für die Laien-Aufführung des populären französischen Klassikers „Das Spiel von Liebe und Zufall“ („Le jeu de l’amour et du hasard“ von Pierre Carlet Chamblain de Marivaux, 1730) zu begleiten, der vom Rollentausch von Dienern und Herren handelt.

Weil Krimo nicht gerade redegewandt ist, besticht er den Jungen, der die Rolle des Arlekin spielen soll, um beim Stück mitmachen und so Lydia näher kommen zu können. Krimo erweist sich jedoch als miserabler Schauspieler, der bei den Proben die Lehrerin, die das Stück mit den Jugendlichen einstudiert, zur Verzweiflung treibt. Muss er sich also vor der übernommenen Verantwortung drücken? Oder ist es Lydia, die sich drückt, als Krimo sich doch noch traut, ihr seine Gefühle zu offenbaren?

Neben Krimo und Lydia spielen etwa auch die Mädchen aus Lydias Clique eine zentrale Rolle, die Krimo an seine Verantwortung gegenüber seiner Ex-Freundin erinnern, und verhindern wollen, dass Lydia mit Krimos Gefühlen spielt. Im Leben dieser Jugendlichen spiegelt sich „Das Spiel von Liebe und Zufall“ wider. Der Film vermeidet die Klischees von Gewalt, Drogen und Aufeinanderprallen der Kulturen, die gemeinhin mit solchen Hochhaussiedlungen verbunden werden. Dazu erklärt Abdellatif Kechiche: „Die Welt dieser Vororte wird dermaßen stigmatisiert, dass es fast revolutionär erscheint, dort eine Geschichte anzusiedeln, bei der es weder um Drogen noch verschleierte Mädchen oder Zwangsheirat geht. Ich wollte verstehen, wie in diesen sozialen Brennpunkten über die Liebe und auch das Theater geredet wird – denn wer sagt, daß dort nicht über die Liebe und das Theater geredet wird?“

Dadurch behandelt „L’Esquive“ allgemeingültige Fragen über das Erwachsenwerden. Dies inszeniert Kechiche mit wunderbaren Laiendarstellern und einer nah am Geschehen agierenden Kamera, die dem Film eine dokumentarische Direktheit verleiht. Dabei erweist sich diese Kameraführung als folgerichtig: Weil in „L’Esquive“ der Sprache eine besondere Rolle zukommt, zeigt die Kamera vorwiegend die Gesichter in Großaufnahme. Die Plattenbausiedlung wird nicht in Totalen gezeigt. Nicht der Ort als solcher interessiert, sondern die Jugendlichen, die darin wohnen.

„L’Esquive“ ist ein wunderbar energie- und humorvoller Film über die Liebe und die Literatur mit Figuren aus Fleisch und Blut.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren