FATELESS - ROMAN EINES SCHICKSALLOSEN | Sorstalanság
Filmische Qualität:   
Regie: Lajos Koltai
Darsteller: Marcell Nagy, János Bán, György Gaszó, Judit Schell, Áron Dimény, Daniel Craig
Land, Jahr: Ungarn / Deutschland / Großbritannien 2004
Laufzeit: 134 Minuten
Genre: Literatur-Verfilmungen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G


JOSÉ GARCÍA
Foto: NFP

Der im November 1929 in Budapest geborene Imre Kertész erhielt im Jahre 2002 den Nobelpreis für Literatur für sein bedeutendstes Werk, den „Roman eines Schicksallosen“. Darin verarbeitete er seine eigenen Erinnerungen: Kertész wurde im Juli 1944 als 14jähriger Junge nach Auschwitz deportiert und im April 1945 aus dem Konzentrationslager Buchenwald befreit. Sensationell am „Roman eines Schicksallosen“ war nicht so sehr, wie der Junge die Konzentrationslager Auschwitz, Buchenwald und Zeitz überlebte. Die ganz neue Sicht auf das Grauen des Holocausts liegt vielmehr in der naiven Haltung des Protagonisten, der alles um sich herum mit großen Augen anstarrt, und doch in keinem Augenblick begreift, was ihm eigentlich widerfährt. So kam der „Roman eines Schicksallosen“ zur provokanten These, dass es im Konzentrationslager auch Momente des Glücks gegeben habe.

Imre Kertész verfasste nach eigenem Bekunden das Drehbuch zur filmischen Umsetzung seines Romans selbst deshalb, weil ihm das im Juni 1998 fertiggestellte Filmskript eines professionellen Drehbuchautors missfiel. Das sich bereits im Titel des Spielfilms „Fateless – Roman eines Schicksallosen“ ausdrückende Missverständnis, die Erzählweise eines Romans lasse sich ohne Weiteres in die Bilderwelt des eigenständigen Mediums Film übersetzen, war Imre Kertész offensichtlich auch bewusst: „Die analytische und zurückhaltende Sprache des Romans, seine Ironie lässt sich nicht in Bilder umsetzen. Der Roman ist strenger, ein radikales, philosophisches Werk, eine geschlossene Welt; das Drehbuch ist viel lockerer, ein offenes Werk, ein Angebot, das sich an die Filmmacher richtet.“ Denn die subjektive Sicht eines literarischen Werkes wird zwangsläufig im Film ins Objektive übersetzt – Versuche, einen ganzen Spielfilm konsequent durch die Augen des Protagonisten zu gestalten, sind stets gescheitert.

Bei „Fateless – Roman eines Schicksallosen“ scheitert die filmische Umsetzung erst recht daran, dass bei ihm ein Kameramann Regie führt: Lajos Koltai hatte bisher die Filme des ungarischen Regisseurs Istvan Szabo fotografiert. Es mag beeindrucken, wie den Bildern allmählich die Farbigkeit abgeht, bis in den Lagern nur noch Sepia und Grau vorherrschen, wie mit immer wiederkehrenden Schwarzblenden die eingeschränkte subjektive Sicht des Jungen nachgeahmt wird. Die Umsetzung seiner beinahe unbeteiligten Sicht auf das Geschehen mitsamt seinen „glücklichen Momenten“ in ästhetisch schöne Bilder erweist sich indes als dem Sujet unpassend. Die Untermalung durch die unerträglich sentimentale Filmmusik von Ennio Morricone verleiht selbst den gelungensten Bildern des Grauens, etwa von bis zum Umfallen stundenlang im Lagerhof stehenden ausgemergelten Häftlingen, ein Pathos, das „Fateless – Roman eines Schicksallosen“ endgültig ins Kitschige abgleiten lässt.

Die bereits erwähnte Aussage des Überlebenden, der im Film wie im Roman den Namen György Köves trägt – „sogar dort, bei den Schornsteinen, gab es in der Pause zwischen den Qualen etwas, das dem Glück ähnlich war. Ja, davon, vom Glück der Konzentrationslager, müsste ich ihnen erzählen, das nächste Mal, wenn sie mich fragen“ –, die sich am Schluss des Romans zwar als geradezu revolutionär, aber auch als folgerichtig erweist, wendet sich gegen die Verfilmung. Denn diese Worte, die am Filmende aus dem Off zu hören sind, berühren den Zuschauer seltsam, weil ihm in den mehr als zwei Filmstunden gar nichts von diesem seltsamen Glück vermittelt wurde.

Kardinal Lustiger wurde in einem TV-Interview nicht ohne Unterton einmal gefragt, wo er denn den Teufel „gesehen“ habe. Seine schlagfertige Antwort: „In Auschwitz“. Ein Halbwüchsiger mag die Konzentrationslager nicht nur als Hölle gesehen haben, er mag das Leben im KZ sogar teilweise als ein Abenteuer, als eine Art Überlebenstraining angesehen haben. Als subjektives literarisches Werk verstört zwar diese Sicht, aber sie berührt auch den Leser, der die Position des Erzählers übernimmt.

Im Film aber mutet die Antwort Györgys auf die Frage seiner Verwandten nach der „Hölle“ des Lagers – „Es war keine Hölle. Die Hölle existiert nicht, die Lager schon“ – dann nicht mehr naiv-kindlich, sondern nur noch zynisch an.
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