DON’T COME KNOCKING | Don’t come knocking
Filmische Qualität:   
Regie: Wim Wenders
Darsteller: Sam Shepard, Jessica Lange, Tim Roth, Gabriel Mann, Eva Maria Saint
Land, Jahr: Deutschland / Frankreich 2005
Laufzeit: 123 Minuten
Genre: Familienfilme
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: S


JOSÉ GARCÍA
Foto: Reverse Angle

Im Jahre 1984 gewann Wim Wenders die Goldene Palme beim Filmfestival Cannes mit einem Spielfilm, der heute – neben seinem gefeierten „Der Himmel über Berlin“ (1987) – zu den Höhepunkten seiner Filmkunst gezählt wird: „Paris, Texas“. Das Drehbuch zu der Geschichte des für tot gehaltenen Travis, der vier Jahre nach seinem plötzlichen Verschwinden wieder auftaucht, um seinen Sohn Hunter mit dessen Mutter Jane wieder zusammenzubringen, stammte vom vielfältigen Schauspieler, Autor und Regisseur Sam Shepard.

Mehr als zwanzig Jahre nach „Paris, Texas“ hat Sam Shepard erneut ein Drehbuch für Wim Wenders geschrieben, und gleich auch die Hauptrolle übernommen: „Don’t come knocking“, der am Wettbewerb des diesjährigen Cannes-Filmfestivals teilnahm, dort zwar mit keinem Preis ausgezeichnet, aber mit einer zwanzigminütigen Ovation bedacht wurde.

Sicherlich erinnert vieles in „Don’t come knocking“ (zu deutsch etwa: „Lasst mich in Ruhe!“) an Wenders Meisterwerk „Paris, Texas“: Beginnt etwa letzterer Spielfilm mit einer von langsamen Gitarrenklängen untermalten Plansequenz in der Wüste, in der plötzlich ein einsamer Mann auftaucht, so fängt auch „Don’t come knocking“ mit den von typischer Westernmusik begleiteten Bildern einer wüstenartigen endlosen Landschaft an, in die ein Mann zu Pferd hineinreitet: Der Western-Darsteller Howard Spence (Sam Shepard) folgt dem Weg der von ihm seit Jahren gespielten Figuren – mitten in den Dreharbeiten zu einem billigen Westernfilm sucht er einfach das Weite.

Auf der Flucht vor dem abgebrühten Prämienjäger der Filmversicherung Mr. Sutter (Tim Roth) besucht Spence erstmals nach drei Jahrzehnten seine Mutter (Eva Maria Saint), von der er von der Existenz seines heute dreißigjährigen Sohnes erfährt. Er macht sich auf die Suche nach dem Kind und gleichzeitig nach der eigenen Vergangenheit, nach Butte, einem Provinzstädtchen in Montana. Dort begegnet er zwar seiner ersten Liebe wieder, der Kellnerin Doreen (Jessica Lange). Diese zeigt sich jedoch so wenig begeistert von Howards Auftauchen wie ihr Sohn Earl (Gabriel Mann). In der Stadt trifft auf den alternden Schauspieler immer wieder das Mädchen Sky (Sarah Polley), das in Howard ebenfalls ihren Vater zu erkennen glaubt.

Wie bereits in „Paris, Texas“ verknüpft Wahlamerikaner Wim Wenders in „Don’t come knocking“ zwei „ur-amerikanische“ Themen miteinander: Die Bedeutung familiärer Bindungen mit dem mythischen amerikanischen Westen als identitätsstiftende Vision. Doch „Don’t come knocking“ lediglich als Neuinszenierung von „Paris, Texas“ zu bezeichnen, griffe zu kurz, stellt er doch eher eine neue Annährung an ein bekanntes und beliebtes Sujet dar.

Im Vergleich zur geradlinig erzählten Handlung von „Paris, Texas“, nimmt sich die Geschichte von „Don’t come knocking“ weitaus komplexer aus, wobei freilich der Regisseur die verschiedenen Handlungsstränge, etwa die von Sky und Sutter, mitunter aus den Augen verliert. Wim Wenders setzt die Inszenierung des Westerns als „Film im Film“ als eine weitere Brechung der Persönlichkeit Howards ein. Der durch die großartigen Bilder der Kamera von Franz Lustig sowie durch die herrliche Musik von T Bone Burnett gelungene Kontrast zu den beinah zu perfekten Einstellungen der eigentlichen Erzählung, die immer wieder Gemälde des „ur-amerikanischen“ Malers Edward Hopper evozieren, grenzt filmisch die Persönlichkeit des Travis aus „Paris, Texas“ von der des Howard in „Don’t come knocking“ ab. Bekennt der reumütige Travis zu seinem Sohn: „Du gehörst zu Deiner Mutter. Ich habe Euch auseinandergerissen, und ich schulde Euch, dass ich Euch wieder zusammenbringe“, so glaubt Howard immer noch, dass er bei seinem Sohn Earl und dessen Mutter Doreen einfach an die Vergangenheit anknüpfen kann. Erst nach einer Schlüsselszene, bei der Howard einen Abend und eine Nacht auf einem Sofa mitten auf der Straße verharrt, und die Franz Lustig in einer großartigen 360° Kreisfahrt filmte, erkennt er endlich, „dass er sein ganzes Leben hat verstreichen lassen, ohne zu merken, was daran wichtig war“ (Wim Wenders).

Wie die Western, in denen Howard spielt, handelt „Don’t come knocking“ letztlich von der Frage nach Heimat: Ähnlich einem Westernheld sehnt sich Howard nach dem langen, wilden Ritt seines Lebens nach einem Ort, wo er hingehört.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren