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JOSà GARCÃA Wer glaubte, die in Martin Scorseses âGangs of New Yorkâ ausgebreitete hyperrealistische Gewalt wäre auf der Kinoleinwand kaum zu überbieten, wird bei âCity of Godâ eines Besseren belehrt. Das Spielfilmdebüt des brasilianischen Regisseurs Fernando Meirelles zeigt zwar viel weniger Blut, als Scorseses Film, bietet jedoch eine selten gesehene Grausamkeit gerade deshalb, weil im Mittelpunkt seiner brutalen Gewalt Jugendliche und zunehmend Kinder stehen. âCity of Godâ, der den gleichnamigen, auf wahren Tatsachen basierenden Roman von Paulo Lins über Jugendkriminalität in der brasilianischen Barackensiedlung âCidade de Deusâ adaptiert, zeigt in ihrer Schaurigkeit noch nie gesehene Filmszenen. So wird etwa ein allenfalls sechsjähriger Junge von einem Bandenchef vor die Wahl gestellt, ob er lieber in die Hand oder in den Fuà geschossen werden will. Derselbe Bandenboss lässt einen weiteren kleinen Jungen auswählen, welchen von seinen zwei Freunden er mit der Pistole erledigen möchte â will er nicht selbst erschossen werden. Meirelles und seine Co-Regisseurin Kátia Lund â die bereits bei Walter Sallesâ âCentral Stationâ (1998) die Regieassistenz übernahm â erzählen zumeist in Rückblenden drei miteinander verknüpften Geschichten aus drei unterschiedlichen Jahrzehnten. Als Bindeglied und teilweise Off-Erzähler, der den Zuschauer durch den Mikrokosmos der Favela führt, fungiert Buscapé, der Junge, der unbedingt Fotograf werden und so aus diesem von rücksichtlosester Gewalt geprägten Vorstadt-Dschungel flüchten möchte. Den Kontrapunkt zu Buscapé bildet âZé Pequeñoâ, auch âLockeâ genannt, dessen Gangsterkarriere der Film bis zu ihren Ursprüngen in den sechziger Jahren zurückverfolgt, als der erst zehnjährige âLockeâ einen Raubüberfall auf ein Bordell aus purer Mordlust in ein Blutbad verwandelte. Ein Amoklauf, der das Leben in der Siedlung für immer veränderte. In seinem zweiten, in den siebziger Jahren angesiedelten Handlungsabschnitt zeigt âCity of Godâ den vom Rauschgifthandel beförderten Aufstieg der von âLockeâ und dessen bestem Freund Bené angeführten Gang zur die Favela beherrschenden Bande. Der Film kulminiert schlieÃlich in dem Kapitel, das zu Beginn der achtziger Jahre spielt und den Drogenkrieg schildert, den kaum einer der Hauptfiguren überleben wird. Diese drei Abschnitte â oder besser: Handlungsstränge, denn sie folgen nicht chronologisch aufeinander, sondern kreuzen sich immer wieder â werden mit formalen Mitteln klar voneinander unterschieden: Die sechziger Jahre sind von einer bernsteinfarbenen Aura durchtränkt, während die Kamera ruhig und der Schnitt klassisch bleibt. Im mittleren Jahrzehnt dominieren die mit dem Drogenrausch korrespondierenden psychedelischen Farben sowie eine bewegte Handkamera, während im letzten Teil die Farbigkeit deutlich abnimmt, die Kamera nervöser wird und sich die Schnittfolge nach dem Vorbild der Videoclip-Ãsthetik deutlich beschleunigt. Filmisch stellt âCity of Godâ einen wahren Meilenstein in der Darstellung von Gewalt, vielleicht sogar in der Filmgeschichte dar. Fernando Meirelles ahmt nicht bloà seine Vorbilder nach, er hat sich ihre Filmkunst angeeignet und dann einen Schritt weiterentwickelt: Erinnert etwa die Charakter- und Milieudarstellung an Martin Scorsese und besonders an dessen Gangsterepos âGodfellas â drei Jahrzehnte in der Mafiaâ (1990), so lehnt sich der brasilianische Regisseur stilistisch an Quentin Tarantinos an: Von Tarantinos bekanntestem Gangsterfilm âPulp Fictionâ (1994) rezipiert Meirelles nicht nur die Banalisierung der Gewalt, sondern auch wichtige Stilmittel wie die Kapitelunterteilung mittels Zwischentiteln, die Wiederholung von Szenen aus unterschiedlicher Perspektive oder auch die Kombination verschiedener Kamera- und Schnitttempi. Auch die Unterbrechung der Eröffnungssequenz, die erst am Ende von âCity of Godâ fortgesetzt wird, erinnert an die Erzählstruktur von âPulp Fictionâ. Von den Filmen Scorseses und Tarantinos unterscheidet sich âCity of Godâ allerdings durch seinen halbdokumentarischen Ansatz mit seinen gut hundert Laiendarstellern, die ihm eine ausgesprochene Authentizität verleihen. Gerade diese realistische Inszenierung hinterlässt beim Zuschauer den niederschmetternden Eindruck, in einem Slum wie âCidade de Deusâ könne Leben lediglich als darwinistischer Ãberlebenskampf begriffen werden. Dass allerdings diese Spirale der Gewalt durchbrochen werden kann, verdeutlich die Figur des Buscapé: Mitten im Elend kann es Hoffnung geben â man muss sie nur wollen. |
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