GROSSE DEPRESSION, DIE | Die große Depression
Filmische Qualität:   
Regie: Konstantin Faigle
Darsteller: (Mitwirkende): Konstantin Faigle, Hajo Schomerus, Vera F. Birkenbihl, Walter Jens, Alice Schwarzer, Pater Anselm Grün
Land, Jahr: Deutschland 2005
Laufzeit: 88 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: S


JOSÉ GARCÍA
Foto: timebandits film

„Sind wir Deutsche depressive Jammerlappen oder sind wir einfach nicht ganz dicht?!“, fragte sich irgendwann einmal Filmemacher Konstantin Faigle und entschloss sich, filmisch der Frage nachzugehen. Zu dieser Entscheidung trug auch bei, dass Faigle zum ersten Mal Vater wird, und er allein deshalb herausfinden möchte, in was für einem Land seine Tochter geboren wird.

In den letzten zwei, drei Jahren hat der Dokumentarfilm einen enormen Aufschwung erfahren, für den etwa die französischen Dokumentationen „Nomaden der Lüfte“ und „Sein und Haben“ sowie die deutschen Filme „Die Mitte“, „Die Spielwütigen“, „Rhythm is it!” und „Die Geschichte vom weinenden Kamel“ stehen. An diesen Erfolg wollte Faigler anknüpfen, als er die Form des Dokumentarfilmes wählte. Allerdings stand ihm der provokativ-polemische Stil des bekannten Dokumentarfilmers aus den Vereinigten Staaten Michael Moore näher als die liebevoll beschreibende Art europäischer Dokumentarfilme.

Der in Köln lebende Schwabe, der für seinen Erstlingsfilm „Out of Edeka“ im Jahre 2001 den Bayerischen Dokumentarfilmpreis erhielt, sucht nach den Gründen für die Weltuntergangsstimmung im eigenen Land auf seiner Deutschlandreise im Kleinbus. Bei seiner Ursachenforschung befragt Faigle etwa den Depressionsexperten Florian Holsboer vom Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie, den Schriftsteller und Rhetoriker Walter Jens, der selbst an Depressionen litt, sowie den Risikoforscher Ortwin Renn. Darüber hinaus kommen Alice Schwarzer und Pater Anselm Grün zu Wort. Insbesondere Alice Schwarzer trifft den zwischen ernst und heiter richtigen Ton in dieser nicht unbedingt ernst zu nehmenden „Forschungsarbeit“ mit filmischen Mitteln.

Interviews stellen jedoch nur ein Element in „Die große Depression“ dar. Denn Faigle liefert vielmehr ein Mosaik aus Dokumentaraufnahmen, Slapstick-Einlagen nach dem Motto „der Deutsche sieht das Glas halb leer, der Kubaner halb voll“ und TV-Reportagen etwa am Rhein oder im Goethehaus in Weimar. Dazu kommen inszenierte Szenen mit Kameramann Hajo Schomerus, der als König Ludwig II. verkleidet, sich auf Schloss Neuschwanstein zusammen mit Touristen ablichten ließ, und Schloss-Besucher die Frage stellte, ob Deutschland unter einer Monarchie weniger depressiv wäre. Als weiteres Stilmittel fügen sich in den Film Szenen eines Puppentheaters ein, die einige Stationen der deutschen Geschichte von Hermann dem Cherusker bis zu Adenauer nachstellen.

Ob aus finanziellen oder aus ästhetischen Gründen, durch seine Grobkörnigkeit und bewegte Handkamera steht der Film dem Amateurvideo näher als dem Dokumentarfilm. Folgt er methodisch Michael Moore, indem er Fragen stellt, auf die er mittels Kamera Antworten zu suchen vorgibt, so zitiert er in manchen Einfällen Woody Allen. Wenn er etwa Dessau bescheinigt, darüber glücklich sein zu können, die „unglücklichste Stadt Deutschlands“ zu sein, weil dies Touristen anziehen kann, ist dies kaum anders denn als Plagiat des berühmten Satzes aus Woody Allens „Manhattan“ von 1979 („Wir können glücklich sein, dass wir nur unglücklich sind“) zu bezeichnen.

Eine ernste Analyse der vermeintlich depressiven Lage liefert Faigle wohl kaum, eher eine ironisch-heitere Bestandsaufnahme. Der uneinheitliche Stil des Films hinterlässt allerdings den Eindruck, dass Faigle seine eigenen Fragen nicht sonderlich ernst nimmt, weil er die Antworten bereits im Voraus zu kennen meint. Oder weil es ihm hauptsächlich um Selbstdarstellung geht. Dieser narzisstische Zug, der sich in der bevorstehenden Geburt seines Kindes konkretisiert, zieht sich wie ein roter Faden durch „Die Große Depression“. Dass sich der Film letztlich mehr für Faigles Befindlichkeiten interessiert als für die Menschen, die er zeigt, wird spätestens deutlich, wenn Feigle auf unverhältnismäßig ironisch-humorvolle Art die Bewohner des zwischen den Orten Elend und Sorge gelegenen Asylbewerberheims im Harz interviewt.

Symptomatisch dafür ist die Szene, bei der sich Konstantin Faigle mit einem Spruchband „Deutsche, hört auf zu jammern!“ in eine Montagsdemonstration gegen Hartz IV in Leipzig einreiht: Selbstverständlich reagieren die Demonstrationsteilnehmer mit Ärger auf das Transparent. Die Kraft, die der Film mit dieser Szene hätte entfachen können, erstickt indes an der Sprachlosigkeit Faigles.
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