GABRIELLE – LIEBE MEINES LEBENS | Gabrielle
Filmische Qualität:   
Regie: Patrice Chéreau
Darsteller: Isabelle Huppert, Pascal Greggory, Claudia Coli, Thierry Hancisse, Raina Kabaivanska
Land, Jahr: Deutschland / Frankreich / Italien 2005
Laufzeit: 90 Minuten
Genre: Literatur-Verfilmungen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: X


JOSÉ GARCÍA
Foto: Concorde

„Gefilmtes Theater“ gehört zu den Unworten im Medium Film. Obwohl im Laufe der Filmgeschichte nicht nur erzählende Literatur, sondern auch Theaterstücke als Vorlage für Spielfilme dienten, hat sich der Film vor allem durch die Kamerabewegung und durch den Schnitt immer wieder vom Theater abzusetzen gesucht.

Patrice Chéreaus Spielfilm „Gabrielle – Liebe meines Lebens“, der beim Internationalen Filmfestival Venedig 2005 uraufgeführt wurde, und nun im deutschen Kino anläuft, basiert zwar nicht auf einem Theaterstück, sondern auf der Kurzerzählung „Gabrielle oder die Rückkehr“ von Joseph Conrad (1857 – 1924), die aus Anlass der Verfilmung durch den französischen Regisseur in neuer Übersetzung beim Deutschen Taschenbuch Verlag gerade erschienen ist.

Dem Leser dieser 96-seitigen Kurzgeschichte springt jedoch ins Auge, dass hier die Übergänge zwischen Erzählung und Theaterstück fließend sind. Spielt sich die Handlung von „Gabrielle oder die Rückkehr“ doch bis auf ein kurzes Vorspiel in den geschlossenen Räumen eines gutbürgerlichen Hauses im London des Jahres 1912.

Wie in der Vorlage erzählt Chéreaus Film von einem vermögenden Mann (Pascal Greggory), der nach der Arbeit einen Abschiedsbrief seiner Frau (Isabelle Huppert) vorfindet, in dem sie ihm mitteilt, sie habe ihn für immer verlassen. Während er noch vollauf damit beschäftigt ist, die Tragweite des Briefes zu erfassen und um Fassung ringt, steht sie jedoch unvermittelt in der Haustür.

Die Rückkehr seiner Frau Gabrielle macht Jean (im Roman: Alvan) Hervey noch fassungsloser. Wie Conrad prangert auch Chéreau eine in gesellschaftlichen Konventionen und Ritualen erstickte Ehe an. Erzählung wie Film schildern stets aus der Sicht des Ehemanns, dessen Stimme im Spielfilm häufig aus dem Off kommt, wohingegen die Haltung der Frau nicht nur in dem rätselhaften Satz „Wenn ich gewusst hätte, dass Sie mich lieben, wäre ich nicht zurückgekommen“, sondern besonders in ihrem beharrlichen Schweigen zum Ausdruck kommt.

Dieses geheimnisvolle Schweigen über ihre Gefühle, das in der Kurzerzählung gewahrt bleibt, bricht jedoch Chéreau bezeichnenderweise in seinem Film. Denn die Verfilmung gestaltet vieles expliziter, nicht nur die lange Zeit von Gabrielle verweigerten sexuellen Beziehungen, die in einem verzweifelten, rein äußerlich-körperlichen Akt wie in seiner Sackgasse enden.

Über die Verlegung des Handlungsortes von London nach Paris hinaus haben Patrice Chéreau und seine Mit-Drehbuchautorin Anne-Louise Trividic die Erzählung so ausgestaltet, dass sie dem Eindruck des Theater-Kammerspiels entgegenwirken. Bezüglich der dramaturgischen Rolle der ins Vertrauen gezogenen Zofe Yvonne sowie der erweiterten Handlung – durch das Hinzufügen zweier Empfangsabende im Hause Hervey, die das gesellschaftliche Leben im Großbürgertum der Jahrhundertwende schildern helfen – mag dies stimmig erscheinen.

In der Einsetzung der filmischen Stilmittel schießt Chéreau indes über das Ziel hinaus. Dass der Regisseur in langen, manchmal schnellen, dann wiederum verlangsamten Fahrten über die Gäste dieser Gesellschaftsabende oder die Räume die Kamera fährt oder dass diese zuweilen zittrige, unscharfe Großaufnahmen zeigt, mag ja noch angehen, um sich gegen ein „verfilmtes Theater“ abzusetzen.

Wenn aber der Regisseur die Künstlichkeit der gesellschaftlichen Konventionen durch ebenso künstliche filmästhetische Mittel wie ein ständiges Wechsel von Schwarzweiß- zu Farbbildern und die Einfügung von redundanten Zwischentiteln in Stummfilm-Art („Am nächsten Morgen“) unterstreichen will, wirkt „Gabrielle – Liebe meines Lebens“ einfach gekünstelt.

Darüber hinaus verfällt Patrice Chéreau in eine vom Filmtheoretiker Rudolf Arnheim bereits im Jahre 1929 gegeißelte „Überdeutlichkeit“ der Filmsprache, weil er dieselbe Aussage in Bildern und Dialogen verdoppelt – beispielsweise fährt die Kamera über die Sammlung antiker Plastiken, als aus dem Off die Stimme Jean Herveys zu hören ist, seine Frau sei „das Prachtexemplar seiner Sammlung“.

Diese übermäßige Expliziertheit der Verfilmung lenkt vom psychologischen Duell der zwei Hauptpersonen ab. Mit seinen ausgezeichneten Darstellern Isabelle Huppert und Pascal Greggory hätte Patrice Chéreau durchaus das Wagnis eingehen können, Joseph Conrads Kurzerzählung ohne inszenatorischen Schnickschnak zu gestalten, ohne Angst vor dem verfilmtes-Theater-Vorwurf.
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