EIN GANZ GEWÖHNLICHER JUDE | Ein ganz gewöhnlicher Jude
Filmische Qualität:   
Regie: Oliver Hirschbiegel
Darsteller: Ben Becker, Siegfried W. Kernen, Samuel Finzi
Land, Jahr: Deutschland 2005
Laufzeit: 89 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
Auf DVD: 8/2006


JOSÉ GARCÍA
Foto: NFP

Kaum ist die Literaturadaption „Gabrielle – Liebe meines Lebens“ im deutschen Kino angelaufen (siehe Filmarchiv), die alles unternommen hatte, um sich nur ja nicht dem Vorwurf auszusetzen, „bloß gefilmtes Theater“ abzuliefern, startet nun im regulären Kinoprogramm eine weitere Literaturverfilmung, die einiges mit Patrice Chéreaus Film gemeinsam hat.

Denn Oliver Hirschbiegels „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ basiert zwar auf dem gleichnamigen Roman des Züricher Autors Charles Lewinsky. Dieser mutet – ähnlich „Gabrielle – Die Rückkehr“ – indes wie ein Theaterstück an, füllt die (beinahe) vollständige Haltung doch ein Monolog aus.

Die Exposition fällt schlicht aus: Der Journalist Emanuel Goldfarb wird von einem Mitglied der jüdischen Gemeinde Hamburgs darum gebeten, der Einladung eines Lehrers folgend, vor einer Schulklasse über sein Leben als Jude in Deutschland zu sprechen. Diese Anfrage bringt freilich bei Goldfarb ein wahres Feuerwerk der Gefühle im Hinblick auf sein „ganz gewöhnliches“ Jüdisch- bzw. Deutschsein zum Ausbruch. Empört über das Ansinnen, sich zum „Anschauungsobjekt“ für Schüler machen zu lassen, will er dem betreffenden Lehrer einen Brief mit einer entschiedenen Absage schreiben.

Emanuel Goldfarb (Ben Becker) greift zum Diktiergerät. Daraus wird seine ganz persönliche Abrechnung mit dem deutsch-jüdischen Verhältnis, die freilich eine besonders spannungsreiche Brechung in der nicht weniger brisante Frage erfährt, ob seine ganz persönliche Befindlichkeit gleichermaßen allgemein gültigen Charakter besitzen kann. Aus dem spontanen Absageschreiben ist nach einem Abend und einer Nacht ein ganzes Buch mit eben dem Titel „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ geworden.

Im Unterschied zu Patrice Chéreaus „Gabrielle – Liebe meines Lebens“ verzichtet Oliver Hirschbiegel für seine Inszenierung sowohl auf Rückblenden als auch auf künstliche filmästhetische Mittel. Er gestaltet „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ konsequent als ein Ein-Personen-Kammerspiel, das nicht anders denn als schnörkellos bezeichnet werden kann.

Die Kamera verfolgt Emanuel Goldfarb mit bis auf kleine Ausnahmen unauffälligen Bewegungen durch seine Wohnung, behält ihn stets im Blick, ob er am Schreibtisch Platz nimmt, am Fußboden hockend Familienfotos betrachtet, oder eine Flasche Wein aus der Küche holt. Obwohl „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ kein weiteres „Geschehen“ bietet, hält Oliver Hirschbiegel über die 90 Minuten hervorragend die Spannung aufrecht.

Dies liegt zum einen daran, dass Ben Becker ein beeindruckend konzentriertes Spiel darbietet, zum andern aber auch am phänomenalen Gespür für Rhythmus des Regisseurs, der hinter der Inszenierung vollständig verschwindet, so dass der Eindruck einer Natürlichkeit, einer Leichtigkeit entsteht, die ja gerade die hohe Kunst auszeichnet – im Gegensatz zur überdeutlichen Künstlichkeit von „Gabrielle – Liebe meines Lebens.“

Durch diese zurückgenommene Inszenierung konzentriert sich „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ ganz auf seinen Inhalt, auf die Auseinandersetzung mit den typischen Verhaltensmustern der gut gemeinten Vorurteile gegenüber dem Jüdischsein. Voll gespickt mit intelligenten, an Woody Allens Geistesblitzen erinnernden Formulierungen („Wir haben alle von der Geschichte die gleichen schlechten Karten bekommen“) lässt die Filmadaption fortdauernd die literarische Vorlage durchscheinen.

Mit „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ ist Oliver Hirschbiegel ein Kino-Ereignis als packendes Ein-Mann-Stück gelungen – nicht nur für Schulklassen.
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