GEH UND LEBE | Va, vis et deviens
Filmische Qualität:   
Regie: Radu Mihaileanu
Darsteller: Yaël Abecassis, Roschdy Zem, Moshe Agazai, Mosche Abebe, Sirak M. Sabahat, Roni Hadar, Yitzhak Edgar, Rami Danon
Land, Jahr: Frankreich / Israel 2004
Laufzeit: 144 Minuten
Genre: Familienfilme
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: S
Auf DVD: 4/2007


JOSÉ GARCÍA
Foto: Delphi

Mitte der achtziger Jahre flohen nach einer Hungerkatastrophe Tausende Äthiopier nach Sudan. Die meisten von ihnen waren zwar Christen oder Muslime, unter ihnen gab es jedoch auch eine Reihe äthiopischer Juden. Die weltweit einzigen schwarzen Juden wurden in ihrer Heimat despektierlich „Falashas“ – „Landlose“ oder „Außenseiter“ – genannt. Sie selbst bezeichnen sich allerdings als Nachfahren von Prinz Menelik I., dem Sohn König Salomons und der Königin von Saba. Von November 1984 bis Januar 1985 floh sie der israelische Geheimdienst Mossad mit Hilfe der Vereinigten Staaten nach Israel aus. Obwohl sie dort vor Verfolgung und Hunger sicher waren, wurden sie teilweise von den weißen Israelis diskriminiert. Auch deshalb, weil im Rahmen dieser Aktionen nichtjüdische Äthiopier unter falschem Namen untertauchen konnten, die aber in ständiger Angst vor Entdeckung lebten.

Radu Mihaileanus Spielfilm „Geh und lebe“ („Va, vis et deviens“) erzählt das Schicksal eines solchen nichtjüdischen Jungen, der von seiner Mutter überredet wird, sich als Juden auszugeben, um dem Flüchtlingslager zu entkommen. Hana, eine junge Frau, die kurz vorher ihr Kind verloren hatte, bezeichnet ihn gegenüber den Einwanderungsbehörden als ihren Sohn, den sie Schlomo nennt. Ehe sie selbst stirbt, bringt die „Ersatzmutter“ dem Jungen bei, wie er sich zu verhalten hat, damit er in Israel bleiben kann.

Nach Stationen in einem Auffanglager und einem Internat wird Schlomo von den aus Frankreich eingewanderten Yael und Yoram Harrari adoptiert, die zwei Kinder ungefähr in Schlomos Alter haben. Die neue Familie kümmert sich liebevoll um ihn. Nach einer Zeit der Eingewöhnung beginnt sich Schlomo in seinem neuen Leben wohlzufühlen. Obwohl er leicht lernt, sieht er sich mit Diskriminierung konfrontiert. Seine Adoptivmutter Yael muss ihn etwa gegen die Mütter seiner Klassenkameraden verteidigen, die Angst haben, Schlomo könnte AIDS oder andere ansteckende Krankheiten in die Schule tragen.

„Geh und lebe“ schildert die Kindheit und Jugend Schlomos in drei, unterschiedlich langen Teilen: Der längste behandelt seine Kindheitsjahre, auf die Schlomos Jugendjahre folgen, in denen vor allem seine Beziehung zur gleichaltrigen Sarah steht, die er im dritten Teil als junger Erwachsener heiraten wird.

Mihaileanu übernimmt die subjektive Perspektive Schlomos, wodurch die Frage nach seiner Identität in den Mittelpunkt rückt: Als Kind muss er seine wahre Identität als Christ geheim halten und sich mit der ihm bis dahin fremden Religion und Kultur befassen. Lernt er mit der Zeit sich anzupassen, so wird er jedoch als Schwarzer in seiner Umgebung immer wieder mit Rassismus konfrontiert. Eine große Hilfe leistet ihm dabei die Freundschaft mit dem äthiopischen Rabbi Le Qès Amhra, der gegen die Ressentiments gegenüber den schwarzen Juden öffentlich protestiert. Le Qès Amhra hilft Schlomo darüber hinaus, seiner leiblichen Mutter Briefe zu schreiben.

Die Mutterliebe spielt in „Geh und lebe“ eine zentrale Rolle: Nicht nur die eigentliche Mutter trennt sich von ihrem Sohn, damit dieser „gehen und leben“ kann. Auch Hana nimmt den Jungen selbstverständlich als ihren Sohn an. Und Yael kümmert sich um Schlomo hingebungsvoll. Mit „Geh und lebe“ liefert Radu Mihaileanu eine bewegende Hommage an die Mütter.

Der Regisseur setzt einige Motive ein, die sich durch den ganzen Film durchziehen. In diesem Zusammenhang spielt eine besondere Rolle der Mond, dessen Anblick Schlomo an seine Mutter und seine früheste Kindheit erinnert. Seine Sehnsucht nach der Mutter und das Heimweh werden darüber hinaus in Szene gesetzt, wenn sich etwa Schlomo seine Schuhe auszieht, damit er – wie in seiner Heimat – die Erde unter den Füßen spüren kann.

Obwohl der Film schon wegen der unterschiedlichen Dauer seiner drei Abschnitte uneinheitlich und darüber hinaus episodisch wirkt, und vor allem die emotionalisierende Musik zu sehr auf Überwältigung der Gefühle setzt, berührt Schlomos Schicksal den Zuschauer. Die immer wieder eingestreuten humorvollen Elemente helfen dem Regisseur, trotz aller Bedeutungsschwere zu einer unbekümmerten Erzählweise zu finden.
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