ALLE KINDER DIESER WELT | All the Invisible Children
Filmische Qualität:   
Regie: Mehdi Charef, Emir Kusturica, Spike Lee, Kátia Lund, Jordan Scott, Ridley Scott, Stefano Veneruso, John Woo
Darsteller: Francisco Anawake
Land, Jahr: Italien 2005
Laufzeit: 116 Minuten
Genre: Zwischenmenschliche Beziehungen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G


JOSÉ GARCÍA
Foto: Concorde

Benachteiligte Kinder standen in den letzten Jahren oft im Mittelpunkt von Spielfilmen, insbesondere beim kurdischen Regisseur Bahman Ghobadi: Bereits mit seinem ersten Langspielfilm „Die Zeit der trunkenen Pferde“ machte Ghobadi auf das Schicksal der Kinder-Schmuggler im iranisch-irakischen Grenzgebiet aufmerksam. In seinem letzten, mehrfach ausgezeichneten Spielfilm „Schildkröten können fliegen“ (siehe Filmarchiv) porträtiert Ghobadi Kinder, die „keine Kindheit erlebt haben“, die in ständiger Lebensgefahr aufwachsen.

Mit breiter Unterstützung des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF und des VN-Welternährungsprogramms WFP entstand nun ein Ensemblefilm, der unter dem Namen „Alle Kinder dieser Welt“ („All the Invisible Children“) einen Einblick in das Leben von Kindern aus verschiedenen Erdteilen gewährt.

Wie für den Episodenfilm „11’09“01“ (siehe Filmarchiv) wurden Regisseure aus der ganzen Welt gebeten, in je einem Kurzfilm mit der Sprache des Kinos zum Nachdenken anzuregen. Die italienische Produzentin Chiara Tilesi konnte weltberühmte und weniger bekannte Filmschaffende aus der ganzen Welt zur Mitarbeit gewinnen: der algerische Regisseur Mehdi Charef erzählt von Kindersoldaten im afrikanischen Guerillakrieg, der Bosnier Emir Kusturica über einen kleinen Zigeuner, der für seinen Vater stehlen soll. Der Amerikaner Spike Lee porträtiert ein HIV-infiziertes Mädchen aus Brooklyn. Die Brasilianerin Katia Lund schildert einen Tag im Leben von zwei Lumpensammlern aus Sao Paulo. Für Vater Ridley und Tochter Jordan Scott kehrt ein erwachsener Fotograph in seine Kindheit zurück. Der Beitrag des italienischen Regisseurs Stefano Veneruso rückt einen kleinen Uhrendieb aus Neapel in den Mittelpunkt. John Woo vervollständigt das Kurzfilm-Ensemble mit der Geschichte zweier Mädchen in einer chinesischen Großstadt.

Die eigenständigen Kurzfilme führen dem Zuschauer unterschiedliche Aspekte einer schwierigen Kindheit in verschiedenen Ländern vor Augen. Sehen sich diese „Kinder ohne Kindheit“ insbesondere mit Armut und Hunger konfrontiert, so gesellt sich zum Leben des 12-jährigen Kindersoldaten Tanza der Krieg und der Tod dazu: Er gehört zu einem Trupp von sieben Kindersoldaten, und muss mit ansehen, wie eines der Kinder bei einem Feuergefecht getötet wird.

Gewissermaßen am anderen Extrem der unterschiedlichen Lebensverhältnisse bewegt sich John Woos Beitrag „Song Song & Little Cat“, der von zwei chinesischen Mädchen handelt, deren Herkunft unterschiedlicher nicht sein könnte: Wurde Little Cat als Baby ausgesetzt und von einem armen alten Mann aufgezogen, so gehört Song Song der Obersicht. Sie leidet allerdings am Auseinanderbrechen ihrer Familie, als ihr Vater sie verlässt. Dadurch veranschaulicht der chinesische Regisseur, dass Verwahrlosung nicht unbedingt mit materieller Armut Hand in Hand gehen muss.

Gleiten einige dieser Kurzfilme leicht ins Pathetische oder ins Plakative ab, so verraten wiederum andere Beiträge die Handschrift des Regisseurs. So stattet Kusturica „Blue Gipsy“ mit den ihm eigenen skurrilen Elementen aus, und Spike Lee stellt ein schmutziges New York dar, in dem Drogen und AIDS an der Tagesordnung sind. Sein „Jesus Children of America“ erzählt eindrücklich aus dem Leben der 13-jährigen Blanca, die hinter der Fassade eines normalen Lebens mit Schule und Freundinnen ein widriges Leben führt: Ihre arbeitslosen, drogenabhängigen Eltern haben sie mit HIV infiziert. Mit einem Kunstgriff macht Spike Lee den Zuschauer mit dem Schicksal weiterer HIV- Infizierten in New York bekannt: Blanca nimmt eine Therapie bei einer Selbsthilfegruppe auf, in der sich jeder Teilnehmer selbst vorstellt.

Die Szenen aus Blancas Leben gehören deshalb zu den eindringlichen Momenten von „Alle Kinder dieser Welt“, weil es dem Filmregisseur gelingt, den Blickwinkel des Heranwachsenden anzunehmen. Dies hat „Jesus Children of America“ etwa auch mit Katia Lunds „Bilu e Joao“ gemeinsam, die in Sao Paolo auf einer Müllhalde leben. Allerdings vermittelt die brasilianische Regisseurin ein freundlicheres Bild: Die Kinder halten sich über Wasser, indem sie Weggeworfenes einsammeln und verkaufen. Obwohl sie in einer schmutzigen, allerdings teilweise geschönten Umgebung leben, wirken sie glücklich.

Die schweren Schicksale, die in den einzelnen Beiträgen des von der Filmbewertungsstelle Wiesbaden als „besonders wertvoll“ eingestuften Episodenfilms „Alle Kinder dieser Welt“ begegnen, werden größtenteils mit einem poetischen Blick, manchmal auch mit viel Humor abgemildert. Dennoch: Sie sensibilisieren den Zuschauer für die prekären Lebensbedingungen, in denen viele Kinder überall auf der Welt aufwachsen müssen.
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