KILOMETRE ZERO | Kilomètre zéro
Filmische Qualität:   
Regie: Hiner Saleem
Darsteller: Nazmî Kirik, Eyam Ekrem, Belcim Bilgin, Ehmed Qeladizeyi, Nezar Selami
Land, Jahr: Frankreich / Kurdistan 2005
Laufzeit: 96 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --


JOSÉ GARCÍA
Foto: mîtosfilm

Auf die sogenannte „Anfal Kampagne“, den Vernichtungskrieg, den Saddam Hussein unter Einsatz chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung vom Februar bis September 1988 führte, machte der kurdische Regisseur Bahman Ghobadi in seinem zweiten Langspielfilm „Verloren im Irak“ (siehe Filmarchiv) aufmerksam. Eindrücklich setzte Ghobadi die Folgen von Saddams Vernichtungskampagne gegen die irakischen Kurden ins Bild: eine unüberschaubare Zahl Waisenkinder, überfüllte Flüchtlingslager, von Chemiewaffen entstellte oder tödlich verwundete Witwen.

Vom Schicksal der irakischen Kurden während des Krieges zwischen Iran und Irak im Jahre 1988 berichtet ebenfalls der Spielfilm des Exil-Kurden Hiner Saleem „Kilomètre zéro“, der am Wettbewerb des Filmfestivals Cannes 2005 teilnahm und nun im regulären Kinoprogramm anläuft.

Im unzugänglichen Bergland Nord-Iraks, das einst zu Kurdistan gehörte, lebt der Elektriker Ako (Nazmî Kirik) mit Frau (Belcim Bilgin) und kleinem Kind. Ako träumt von einer Flucht aus seiner Heimat, die allerdings an seinem senilen, bettlägerigen Schwiegervater scheitern muss. Bei einer willkürlichen Personenkontrolle wird Ako eines Tages in den irakischen Kriegsdienst gegen den Iran eingezogen. An der iranisch-irakischen Front sieht er sich nicht nur mit der Wirklichkeit des Krieges, sondern darüber hinaus auch mit Schmähungen aufgrund seiner kurdischen Herkunft konfrontiert. Noch schlimmer ergeht es Akos pummeligem Freund Sami, den die irakischen Soldaten Bauchtänze vorführen lassen. Später werden ihm ob seiner ganz und gar unmilitärischen Haltung sogar die Fußsohlen ausgepeitscht.

Verzweifelt versucht Ako, dem Kriegsdienst zu entkommen. Er streckt beispielsweise seine Beine abwechselnd aus dem Schützengraben – nach einem Beinverlust wäre ihm die Entlassung sicher. Eine realistische Gelegenheit zur Flucht bietet sich ihm indes, als Ako den Befehl erhält, den Leichnam eines gefallenen Soldaten zu seiner Familie zu eskortieren. Zusammen mit einem arabischen Fahrer, der für den jungen Kurden allerdings nur Verachtung übrig hat, macht er sich auf eine von den Fernseh- und Radioansprachen Saddam Husseins ständig begleitete Reise. Der Diktator scheint allgegenwärtig zu sein – etwa auch durch die riesige salutierende Hussein-Statue auf einem Tieflader, der den Weg des ungleichen Duos immer wieder kreuzt.

Der in Franreich lebende Regisseur und Drehbuchautor Hiner Saleem verzichtet zwar in seinem an Originalschauplätzen gedrehten Spielfilm auf die Inszenierung von Verbrechen wie dem eingangs erwähnten Angriff mit chemischen Waffen auf die kurdische Bevölkerung im März 1988. Dass in Saddam Husseins Diktatur das Militär als Hauptinstrument einer menschenverachtenden Willkür eingesetzt wurde, bleibt jedoch stets präsent.

Ähnlich Bahman Ghobadi in „Verloren im Irak“ setzt auch Hiner Saleem in „Kilomètre zéro“ Slapstick und absurde Situationen ein, um die dem Sujet innewohnende Dramatik zu entschärfen. So wird die Heimführung des gefallenen Soldaten zu einem grotesken Umzug, der wiederum die Absurdität von Saddams Diktatur umso deutlicher macht.

Mit seiner klaren Bildsprache konzentriert sich der Regisseur auf die Figuren, insbesondere auf Ako, den „kleinen Mann“, der zufällig in die Kriegsmaschinerie gerät. Darüber hinaus gestaltet Hiner Saleem die Bilder jedoch so, dass sie einen visuellen Witz enthalten, ob nun die Wüstenlandschaft die Menschen zu verschlucken scheint, oder aber das Bett mit dem kranken Schwiegervater über das unwegsame Gelände rollt. Solch groteske Kompositionen wechseln sich mit den Szenen ab, in denen der Sadismus der Offiziere deutlich zutage tritt. Der Kontrast zwischen den Bildern der Gewalt und der absurden Situationskomik verbindet „Kilomètre zéro“ ebenfalls mit den Spielfilmen Bahman Ghobadis.
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