LUCY | Lucy
Filmische Qualität:   
Regie: Henner Winckler
Darsteller: Kim Schnitzer, Gordon Schmidt, Feo Aladag, Polly Hauschild, Ninjo Borth, Ganeshi Becks, Jakob Bieber, Klara Manzel
Land, Jahr: Deutschland 2006
Laufzeit: 92 Minuten
Genre: Familienfilme
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: S
Auf DVD: 12/2007


JOSÉ GARCÍA
Foto: Piffl Medien

Handelt der polnische Film „Leben in mir“ (siehe Filmarchiv) von der jungen Eva, die sich entgegen ihrem ersten Entschluss doch noch für ihr Kind entscheidet und seit dieser Entscheidung die Welt in ein poetisches Licht getaucht sieht, so lernt der Zuschauer in „Lucy“ die 18-jährige Maggie (Kim Schnitzer) kennen, als ihre Tochter Lucy bereits acht Monate alt ist. Gleich zu Beginn trennt sie sich vom Vater ihres Kindes, Mike (Ninjo Borth).

Maggie hat die Schule abgebrochen, versucht aber, zu den ehemaligen Schulkameradinnen im Kontakt zu bleiben. Bald muss Maggie jedoch erkennen, dass sich dies wegen der kleinen Lucy nicht so einfach einrichten lässt. Sie sieht ebenso ein, dass sie das „normale“ Leben ihrer gleichaltrigen Freundinnen kaum mehr führen kann, obwohl ihre Mutter Eva (Feo Aladag), bei der sie immer noch wohnt, gerne die Betreuung der Kleinen übernimmt, damit sie selbst hin und wieder ausgehen kann.

So lernt Maggie bei einem Discobesuch Gordon (Gordon Schmidt) kennen, in den sie sich verliebt, und mit dem sie kurz entschlossen nach einem Streit mit ihrer Mutter zusammenzieht. Obwohl Maggie Gordon zunächst verheimlicht, dass sie ein Kind hat, schließt Gordon bald die kleine Lucy ins Herz. Gefällt er sich zunächst in der Vaterrolle, so wird das Leben mit dem Kind nach einiger Zeit für ihn indes zu anstrengend. Gordon fühlt sich immer mehr eingeengt, so dass er sich nach und nach zurückzieht – bis Maggie erkennt, dass die Entscheidung über ihr weiteres Leben und das ihres Kindes Lucy allein an ihr liegt.

Ein paar Wochen im Leben einer 18-jährigen Mutter, ohne Vorgeschichte und mit bewusst offener Zukunft. Über das Vorleben Maggies und ihre Liebe zu Mike, die letztlich zur Schwangerschaft wurde, erfährt der Zuschauer nichts. Ebenso wenig erklärt der Film etwa, wie sie reagierte, als sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr. Was durchaus in der Absicht des jungen deutschen Regisseurs Henner Winckler geschieht, führt er selbst doch aus: „Wenn man viel Hintergrund hat, dann erzählt man eine Geschichte sehr viel psychologischer und erklärender. Meiner Art entspricht es eher, mir ein Stück herauszunehmen, bei dem man sich das Davor und das Danach denken kann. Ich finde Geschichten grundsätzlich interessanter, bei denen der Zuschauer die Möglichkeit hat, selbst zu interpretieren und zu denken.“

Wincklers Erzählstruktur folgt deshalb kaum einer linearen Handlung. Er bietet vielmehr eine Art Bestandsaufnahme, greift einzelne Augenblicke heraus, die sich eher im Kopf des Zuschauers zu einem Ganzen zusammenfügen. Mehr als die Handlung interessieren den Regisseur die Charaktere. Diese Figuren werden als vielschichtige Persönlichkeiten dargestellt. Insbesondere Maggie steckt in einem fühlbaren Widerspruch: Einerseits will sie durchaus wie eine Erwachsene Verantwortung für ihr Baby zu übernehmen. Andererseits merkt sie aber, dass sie eigentlich kein Ziel und keine klare Vorstellung über ihr künftiges Leben hat. Allein die diffuse Hoffnung, es besser zu machen als ihre alleinerziehende Mutter Eva, treibt sie dazu, nach dem Familienglück zu streben, das sie jedoch wahrscheinlich als Kind kaum erfahren hat.

Dabei hält sich Regisseur Henner Winckler zurück, beobachtet vielmehr aus der Distanz. Winckler verzichtet sogar auf den Einsatz von Musik aus dem Off. Dies gepaart mit weitgehend unbekannten Schauspielern schafft eine Anmutung von Authentizität, als wäre „Lucy“ ein Dokumentarfilm. Obwohl sich die Kameraführung genau so unspektakulär wie die Story ausnimmt, vermittelt sie durch die Großaufnahmen und die sehr engen Bildausschnitte ein Gefühl der Beengtheit, das mit der inneren Verfassung der Protagonistin korrespondiert.
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