GÖTTLICHE INTERVENTION | Divine Intervention – A Chronicle of Love and Pain
Filmische Qualität:   
Regie: Elia Suleiman
Darsteller: Elia Suleiman, Manal Khader, Nayef Fahoum Daher
Land, Jahr: Frankreich/Palästina 2002
Laufzeit: 92 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: -


JOSÉ GARCÍA


Der gegenwärtige Irakkrieg hat zwar den israelisch-palästinensischen Konflikt aus den Schlagzeilen verdrängt; eine Lösung für den Nahen Osten wird durch den Golfkrieg jedoch keineswegs wahrscheinlicher. Eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Deshalb kann in der jetzigen Situation ein Spielfilm über den Alltag in den besetzten Gebieten an Aktualität eher gewinnen als verlieren. „Göttliche Intervention“, der Spielfilm des palästinensischen Regisseurs Elia Suleiman, der beim Filmfestival Cannes 2002 den Preis der Jury sowie den Preis der Internationalen Filmkritiker FIPRESCI gewann, führt den alltäglichen Wahnsinn in Nazareth, Jerusalem und Ramallah vor.

In „No Man's Land“ veranschaulichte der bosnische Regisseur Danis Tanovic die Absurdität des Krieges im ehemaligen Jugoslawien durch eine Satire mit knappen Dialogen. Kleine Gesten mit starkem symbolischem Charakter sollten der tragischen Lage eine komische Seite abgewinnen helfen. Mit ähnlichen Mitteln arbeitet auch Suleiman: Auf die als absurd empfundenen palästinensisch-israelischen Beziehungen antwortet er mit einem seiner entfesselten Fantasie entsprungenen subversiven Humor. Wie bei Tanovic sind die Dialoge knapp bemessen; der Humor entsteht vielmehr aus visuellen Gags, die eine schiere Schadensfreude gegenüber den Besetzern zum Ausdruck bringen, etwa in dem israelischen Panzer, der in die Luft gesprengt wird, als ihn ein Obstkern trifft. Oder in der jungen Palästinenserin, die einem Model auf dem Laufsteg ähnlich auf einen israelischen Kontrollposten zugeht, während die Soldaten ihre Waffen entsichern. Sie hebt die Sonnenbrille, schlägt die Augen auf, und der Wachturm stürzt ein, während sie die Grenze passiert.

Ein filmischer Racheakt gegen die als Invasoren empfundenen Israelis? Ja, sicher. Allerdings nicht nur: Suleimans Größe zeigt sich darin, dass er auch den alltäglichen Kleinkrieg unter Palästinensern skizziert. So führt er etwa einen Mann vor, der allein im Auto fährt und freundlich Bekannte grüßt – während er sie mit obszönen Flüchen beschimpft, die sie nicht hören können. Ein anderer Mann befördert seinen Müll immer wieder in den Garten der Nachbarin – und wundert sich, dass sie eines Tages die ganzen Müllbeutel zurückwirft. Ein Dritter reißt eins ums andere Mal dieselbe Stelle einer Straßenkurve auf, damit seine Nachbarn im Schlagloch hängen bleiben. Die sinnlose, überflüssige Gewalt äußert sich nicht nur in den Molotowcocktails, die auf ein Haus geworfen werden, sondern ebenso in der angestauten Wut eines älteren Mannes, der einen auf seinem Dach gelandeten Fußball mit einem Küchenmesser zersticht.

Dennoch: Während trotz aller urkomischer Züge in Tanovics „No Man's Land“ dem Zuschauer das Lächeln auf den Lippen gefriert, obsiegt in „Göttliche Intervention“ ein ironischer Grundton. Die episodische Erzählung von dieser „Chronik von Liebe und Schmerz“ – wie der Film mit Untertitel heißt – besitzt ihren Angelpunkt in der von Elia Suleiman selbst gespielten Hauptfigur E.S., die zwischen dem pflegebedürftigen Vater und der Geliebten ständig hin und her pendelt. Weil E.S. bei seinem Vater in Jerusalem lebt, darf er die Frau, die aus Ramallah stammt, nur am Kontrollpunkt sehen. Im unwirklichen Niemandsland zwischen Betonblockaden, Flutlicht und Wachtürmen halten die beiden Liebenden Händchen und überlisten die Grenzkontrollen durch ihre Fantasie, etwa mit dem auf einem Luftballon gemalten Bild Arafats, das die israelischen Grenzsoldaten in helle Aufruhr versetzt.

Zahlreiche der surrealen Szenen von „Göttliche Intervention“ bleiben vieldeutig, etwa auch die markanteste Sequenz des Filmes, bei der sich eine der Zielscheiben, an denen israelische Scharfschützen üben, in eine palästinensische Kämpferin verwandelt. Sie – natürlich ist sie niemand anders als E.S.’ Geliebte – hält alle Kugeln in einer Umlaufbahn, die die Dornenkrone des gekreuzigten Christus nachzubilden scheint, oder sie auch als Racheengel erscheinen lässt. Das Bild lässt aber noch eine weitere Lesart zu, etwa als ironischer Hinweis auf die Selbstmordkommandos der Intifada. Diese Mehrdeutigkeit von „Göttliche Intervention“ trägt in entscheidendem Maße dazu bei, dass sich die Bilder um so leichter dem Gedächtnis des Zuschauers einprägen und dadurch trotz Irakkrieges den Nahost-Konflikt im öffentlichen Bewusstsein wach halten helfen.

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