LETZTE ZUG, DER | Der letzte Zug
Filmische Qualität:   
Regie: Joseph Vilsmaier, Dana Vávrová
Darsteller: Sibel Kekilli, Gedeon Burkhard, Roman Roth, Marco Hofschneider, Brigitte Grothum, Juraj Kukura
Land, Jahr: Deutschland / Tschechien 2006
Laufzeit: 123 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G +
im Kino: 11/2006
Auf DVD: 6/2007


José García
Foto: Concorde

In den Jahren 2004/2005 kamen einige bemerkenswerte deutsche Spielfilme ins Kino, die sich mit dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte auseinander setzten: Oliver Hirschbiegels „Der Untergang“, Volker Schlöndorffs „Der neunte Tag“, Dennis Gansels „Napola“ sowie Marc Rothemunds „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ behandelten, pünktlich zum 60. Jahrestag ihres Endes, aus unterschiedlichen Blickwinkeln Aspekte der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft.
Bereits ein Jahr vorher hatte Artur Brauner „Babij Jar – Das vergessene Verbrechen“ produziert, der den Massentod an 33 771 Juden in der gleichnamigen Schlucht bei Kiew im September 1941 filmisch verarbeitete. Nun zeichnet erneut Arthur Brauner als Produzent für einen Spielfilm über die Judenvernichtung verantwortlich: „Der letzte Zug“, bei dem die Eheleute Joseph Vilsmaier und Dana Vávrová Regie führten, und nun im deutschen Kino startet.
„Der letzte Zug“ handelt von einem der letzten Transporte nach Auschwitz: Im April 1943 lassen sich Nazi-Schergen ein besonders makabres Geschenk zu Hitlers Geburtstag einfallen: Sie wollen ihrem „Führer“ ein „judenfreies“ Berlin anbieten. Nachdem bereits fast 70.000 Juden im Laufe der letzten Monate aus der Hauptstadt des Deutschen Reichs deportiert worden waren, sollen nun die letzten in Berlin verbliebenen jüdischen Bürger ins Vernichtungslager verschleppt werden.
Vilsmaiers und Vávrovás Film hält sich nicht lange mit der Vorgeschichte auf: das Ehepaar Henry (Gedeon Burkhard) und Lea Neumann (Lale Yavas) wird mit ihren zwei kleinen Kindern aus dem Schlaf gerissen, die Gestapo spürt den jungen Goldschmied Albert Rosen (Roman Roth) und seine Verlobte Ruth Zilberman (Sibel Kekilli) in einem Versteck auf. Der Versuch, die Gestapo-Schergen zu bestechen, misslingt genauso wie die Bemühungen des Kabarettisten Jakob Noschik (Hans Jürgen Silber¬mann), die Situation mit einem Witz zu retten. Die humorlosen Nazis nehmen auch ihn zusammen mit der Pianistin Gabriella Hellmann (Brigitte Grothum) mit.
Sie gehören zu den fast 700 Juden, die am Gleis 17 im Bahnhof Berlin-Grunewald in Viehwaggons zusammengepfercht werden, ehe der Transport ins Vernichtungslager rollt. Das Regiegespann konzentrieren sich auf einen einzigen Waggon, den sich die bereits eingeführten Paare sowie der bekannte Arzt Dr. Friedlich (Juraj Kukura) mit seiner Tochter und deren Baby mit insgesamt 100 Menschen teilen müssen – unter entwürdigenden Umständen: Ein Putzeimer mit Wasser soll für alle rei¬chen. Als Toilette dient ein zweiter Eimer.
Der sich bald abzeichnende Streit um das wenige Wasser wird durch Henry Neumann geschlichtet: we¬nigstens die stillenden Mütter und die Kinder sollen etwas Wasser bekommen. Fügen sich die meisten in ihr Schicksal, so schmieden andere Fluchtpläne: Könnten sie die Fenstergitter durchsägen, würde ein schlanker Junge hindurchklettern und die Waggontür öffnen können. Immer wieder wird die Fahrt unterbrochen, etwa wenn der Zug Truppentransporte vorbei lassen muss, oder wenn Partisanen entlang der Strecke erhängt werden.
Im engsten Raum fängt das Regisseurduo mit der Handkamera die Reaktionen der Eingesperrten ein: Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, aber auch Überlebenswillen. Klaustrophobische Momente wechseln sich mit Totalen ab, die den Blick öffnen, sowie mit Erinnerungen der Hauptfiguren in lichten Farben, die mit den ausgewaschenen Farbtönen der Haupthandlung kontrastieren.
Obwohl viele Figuren, insbesondere der gefühlskalte, junge SS-Offizier, zu klischeehaft ausfallen, erzählt „Der letzte Zug“, ohne in Sentimentalität abzugleiten, eine erschütternde Geschichte, die im Kern historisch verbürgt ist. Denn obgleich es sich nicht um den letzten Zug handelte – am 12. Oktober 1944 fuhr noch ein mit 37 Juden besetzter Zug Berlin in Richtung Auschwitz, am 27.03.1945 brachte ein letzter Deportationszug 42 Personen nach Theresienstadt –, so hat es diesen einen Zug wirklich gegeben, die im April 1943 von Berlin 688 Juden ins Vernichtungslager Auschwitz transportierte.
Die Filmbewertungsstelle Wiesbaden verlieh dem Spielfilm das Prädikat „besonders wertvoll“. In der Begründung heißt es: „Beeindruckend gelungen ist das filmische Wagnis, dem unvorstellbaren Grauen der Judenausrottung Namen und Gesichter zu geben“.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren