LICHTER DER VORSTADT | Laitakaupungin valot
Filmische Qualität:   
Regie: Aki Kaurismäki
Darsteller: Janne Hyytiäinen, Maria Järvenhelmi, Maria Heiskanen, Ilkka Koivula, Sergej Doudko, Andrej Gennadiev, Arturas Pozdniakovas
Land, Jahr: Finnland / Deutschland 2006
Laufzeit: 77 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 12/2006
Auf DVD: 7/2007


José García
Foto: Pandora Film

Mit „Lichter der Vorstadt“ vollendet Aki Kaurismäki seine im Jahre 1996 mit „Wolken ziehen vorüber“ begonnene und 2002 mit „Der Mann ohne Vergangenheit“ fortgesetzte „Trilogie der Verlierer“. Handelte „Wolken ziehen vorüber“ von Menschen, die im Erdgeschoss der Gesellschaft leben, so führte „Der Mann ohne Vergangenheit“ sozusagen in deren Souterrain, in eine Welt von Obdachlosen und Ausgegrenzten. In „Lichter der Vorstadt“ dreht Kaurismäki die Schraube noch eine Windung weiter. Nach Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit steht der neue Film Kaurismäkis unter dem Thema Einsamkeit.

Einsamkeit prägt das Leben des Wachmanns Koistinen (Janne Hyytiäinen), der in einem Einkaufszentrum in Helsinki arbeitet. Kaurismäki führt in das Sujet seines Filmes ein, indem er in jeder Einstellung diese Einsamkeit ins Bild setzt: Koistinen schreitet durch die menschenleere Einkaufspassage. Dann, als er sich bei der Arbeit abmeldet, kann sich der Vorarbeiter nicht an Koistinens Namen erinnert – obwohl er dort seit drei Jahren arbeitet.

In einer Bar trinkt er sich Mut an, um eine Unbekannte anzusprechen. Aber auch das geht schief. Koistinen bleibt allein. Bis sich die mysteriöse Mirja (Maria Järvenhelmi) in einem Café zu ihm setzt. Als sie ihm Liebe vorspiegelt, fällt er darauf ein. Mirja entpuppt sich allerdings als Lockvogel eines Gangsters. Sie entlockt dem Nachtwächter den Zutrittscode zum Juwelierladen im Einkaufszentrum, und schiebt Koistinen dann Diebesgut unter, so dass er ins Gefängnis wandert. Später wird er gefragt, wie es dort war. Koistinens Antwort liefert ein Paradebeispiel für die sprichwörtlich lakonischen Dialoge in einem Kaurismäki-Film: „Man konnte nicht hinaus. Alle Türen waren verschlossen“.

Wie es sich zu einem Kaurismäki-Film gehört, wird auch in „Lichter der Vorstadt“ viel getrunken und geraucht, dafür aber wenig gesprochen. Eine größere Aussagekraft besitzen bei Kaurismäki seit jeher die melancholischen Blicke und Gesten, in „Lichter der Vorstadt“ insbesondere die zwei ineinander verschlungenen Hände, mit deren Großaufnahme der Film einen Hoffnungsschimmer an den Schluss setzt.

„Lichter der Vorstadt“ ist – der deutsche Filmtitel macht es überdeutlich – eine Hommage an Chaplins „Lichter der Großstadt“. In der Aussage des Gangsterbosses (Ilkka Koivula) über Koistinen „Er ist treu wie ein Hund, ein romantischer Narr“ drückt der Film die Charaktereigenschaften von Charlie Chaplins Tramp aus. Wie dieser bewahrt der Wachmann in „Lichter der Vorstadt“ durch alle Widrigkeiten hindurch seinen Optimismus.

In „Lichter der Vorstadt“ überrascht Aki Kaurismäki indes mit der Wahl seiner Hauptdarsteller: Sowohl Maria Järvenhelmi als auch Maria Heiskanen (Aila) und Ilkka Koivula spielen zum ersten Mal in einem Kaurismäki-Film, Janne Hyytiäinen hatte bislang nur eine kleine Rolle in „Der Mann ohne Vergangenheit“ inne. Dies tut der Einheitlichkeit der Trilogie jedoch keinen Abbruch, nicht zuletzt weil Maria Järvenhelmi der Muse Kaurismäkis seit 1988, Kati Outinen – hier in einer Kleinstrolle zu sehen –, überaus ähnlich sieht. Was etwa in der Einstellung im Auto zum Ausdruck kommt, die „Der Mann ohne Vergangenheit“ zitiert.

Das Produktionsdesign weist freilich die aus anderen Kaurismäki-Filmen bekannten Merkmale auf: Erneut scheinen Autos, Kleidung und Einrichtungen aus den fünfziger oder sechziger Jahren zu stammen, während die Handlung in der Gegenwart angesiedelt ist.

Die langen Einstellungen des Kameramanns Timo Salminen, der seit jeher Kaurismäkis Filme fotografiert, jede Kamerafahrt, insbesondere die Kaurismäki-eigene Art, die Handlung im Off ihren Fortgang nehmen zu lassen, während das Bild einen leeren Sessel, einen leeren Tisch zeigt, sowie die kräftigen Farben etwa der rot und blau getünchten Ziegelsteine in Koistinens Wohnung und die lakonischen Dialoge unterstreichen die Geschlossenheit der Trilogie.

Dazu trägt insbesondere auch der Soundtrack bei. Mit den Tangos des Finnen Olavi Virta und vor allem des Argentiniers Carlos Gardel – „Volver“ eröffnet den Film, „El día que me quieras“ steht am Ende – unterstreicht Kaurismäki die grundlegende Melancholie seiner Figuren.

„Lichter der Vorstadt“ mag zwar nicht ganz die menschliche Wärme der Vorgängerfilme besitzen, aber er schafft die Balance, eine Trilogie abzuschließen und zugleich ein eigenständiger Film zu sein.
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