VALERIE | Valerie
Filmische Qualität:   
Regie: Birgit Möller
Darsteller: Agata Buzek, Devid Striesow, Birol Ünel, Ricarda Meßner, Anne Sarah Hartung, Sabine Vitua, Miriam Sachs, Jevgenij Sitochin, Guntbert Warns
Land, Jahr: Deutschland 2006
Laufzeit: 84 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: S
im Kino: 4/2007
Auf DVD: 1/2008


José García
Foto: Zauberland

Mitte der neunziger Jahre entstand um Christian Petzold und andere Absolventen der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin dffb eine neue Stilrichtung abseits des kommerziellen deutschen Films. Dieser wegen ihrer inhaltlichen Nähe zur französischen „Nouvelle Vague“ der sechziger Jahre auch „Nouvelle Vague Allemande“ genannten filmischen Strömung geht es um eine eher sachliche denn emotionsbeladene, teilweise gar lakonische Sicht der Realität. Zu den jüngsten Werken aus dem „Neuen Deutschen Film“ zählen etwa auch Benjamin Heisenbergs Spielfilmdebüt „Schläfer“ (siehe Filmarchiv) sowie Christoph Hochhäuslers zweiter Spielfilm „Falscher Bekenner“ (siehe Filmarchiv).

Die bekannte Kamerafrau Birgit Möller inszeniert in ihrem dffb-Regie-Abschlussfilm ähnlich nüchtern eine „kleine“ Geschichte, die sich an vier, fünf Tagen ereignet: Kurz vor Weihnachten steigt das ehemals erfolgreiche Fotomodell Valerie (Agata Buzek) im Berliner „Hyatt“ am Potsdamer Platz ab. Obwohl sie offensichtlich zu den gut bezahlten Models gehörte, hat Valerie nichts zurückgelegt, wie sie ihrer erstaunt blickenden Agentin Ellen (Sabine Vitua) gestehen wird. Und diese macht Valerie keine Illusionen: Die Zeit der 29-Jährigen als Model ist so gut wie vorbei.

Obwohl Valerie den Schein zu wahren versucht, wird sie bald von der harten Realität eingeholt: Nachdem ihre Kreditkarte gesperrt ist, bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Flucht nach vorne anzutreten. Als sie aber feststellt, dass sie nicht einmal den Parkschein für die Hotelgarage bezahlen kann, schlägt sie ihr Nachtlager eben in der Tiefgarage auf.

Da Valerie ihren sozialen Abstieg erlebt, gehen die Bekannten aus der Model-Szene auf Distanz zu ihr. Lediglich Parkwächter André (Devid Striesow) scheint sich für ihre Situation zu interessieren. „Valerie“ ist ein Film über Sein und Schein in unserer modernen Welt. Wunderbar zum Ausdruck kommt diese Diskrepanz in einer Szene, in der Valerie in der Hotelbar von einem Mann mittleres Alters gefragt wird, was sie hier mache, worauf sie einfach antwortet: „Ich bin obdachlos und wärme mich ein wenig auf“. Was er angesichts ihrer teuren Garderobe nur für einen Scherz halten kann, ist die schlichte Wahrheit.

Laut Regisseurin Möller stammt die Idee für ihren Spielfilm aus der Lektüre eines Zeitungsartikels über die so genannten „Schattenfrauen“ aus den Vereinigten Staaten: „Ich wurde durch einen Zeitungsartikel über schöne Frauen inspiriert, welche einerseits über Laufstegen fliegen, das Champagnerglas in der Hand und anderntags keine Bleibe haben und den Rückzug ins Auto beziehungsweise unter die Brücke suchen. Mir geht es um das Oben und das Unten, um die Diskrepanz zwischen Schein und Sein. Und darum, was dieser Zustand mit der Seele eines Menschen macht.“

In reduzierten Bildern, mit langsamem Erzählrhythmus und schlichtem Produktionsdesign sowie formaler Strenge entwirft Regisseurin Birgit Möller das Porträt einer jungen Frau, die vor der eigenen Zukunft ratlos steht. Diese Verunsicherung wird durch die Kameraführung Kolja Raschkes und die zurückgenommene Musik von Christian Conrad noch betont.

Trotz eines nicht immer schlüssigen Drehbuchs und des wenigen Raumes, der etwa der Figur des André bleibt, überzeugt „Valerie“ insbesondere durch die Darstellung der jungen Frau durch die polnische Schauspielerin Agata Buzek. Die Tochter des ehemaligen Ministerpräsidenten und EU-Abgeordneten Jerzy Buzek gestaltet ihre Rolle mit einer stoischen Teilnahmslosigkeit und einer Lakonie, die sie für einen Aki Kaurismäki-Film empfehlen könnte.

Obwohl es deutlich wird, dass sich Valeries Doppelleben nicht wird lange halten können, liefert Regisseurin Möller die Momentaufnahme eines Schwebezustands, die auch einer leisen Hoffnung eine Tür offen hält.
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