UNSER KRIEG. HEIMAT DEUTSCHLAND 1933 – 1945 | Unser Krieg. Heimat Deutschland 1933 – 1945
Filmische Qualität:   
Regie: Michael Kuball
Darsteller: --
Land, Jahr: Deutschland 2007
Laufzeit: 52 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
Auf DVD: 5/2007


José García
Foto: absolut medien

In seinen unter dem Titel „Geschichte eines Deutschen“ erschienenen Erinnerungen aus den Jahren 1914 – 1933 charakterisiert Sebastian Haffner den „preußischen Puritanismus“ – in Abgrenzung zum klassischen englischen Puritanismus – mit einem einzigen Wort: „Der preußische Puritanismus hat eine Hintertür ins Freie und Unkontrollierte, an der das Wort ‚Privat’ steht.“ Mit dem Nationalsozialismus habe sich allerdings dieses grundsätzlich geändert: „Es war nichts mit dem Rückzug ins Private. Wohin immer man sich zurückzog – überall fand man gerade das wieder vor, wovor man hatte fliehen wollen. Ich lernte, dass die Nazi-Revolution die alte Trennung zwischen Politik und Privatleben aufgehoben hatte, und dass es unmöglich war, sie einfach als ‚politisches Ereignis’ zu behandeln. Sie ereignete sich nicht nur in der politischen Sphäre, sondern genauso in jedem privaten Leben.“

Vor dem Hintergrund dieser von Sebastian Haffner im Jahre 1939 niedergeschriebenen Überlegungen besitzen Privataufnahmen aus den Jahren 1933 – 1945 einen besonderen dokumentarischen Wert. Der Hamburger Dokumentarfilmautor Michael Kuball hat eine Reihe privater Filme aus diesen Jahren zusammengetragen, die nun „absolut medien“ unter dem Gesamttitel „Unser Krieg“ auf 4 DVDs mit insgesamt mehr als sechs Stunden Länge veröffentlicht. Diese Aufnahmen von Amateurfilmern berichten jenseits von Propaganda und Wochenschau, wie sich das Privatleben, der private Kriegsalltag gestaltete, inwieweit der Rückzug ins Private doch noch möglich war.

Die erste DVD trägt den Untertitel „Heimat Deutschland 1933 – 1945“. Michael Kuball, der Autor der zweibändigen „Geschichte des Amateurfilms in Deutschland“ (1900 – 1960), hat Bilder kompiliert, die nie zur Veröffentlichung bestimmt waren. Die teilweise von den Protagonisten kommentierten Amateurfilme zeigen das III. Reich in alltäglichen, tragischen und erschütternden Episoden, die sich zu einem Zeitdokument von der Machtergreifung bis zur Stunde Null nach der Kapitulation verdichten.

Die Verquickung vom privaten und öffentlichen Leben findet ihren Ausdruck insbesondere in dem Film, der eine junge Frau dabei zeigt, wie sie Hitler einen Blumenstrauß überreicht. Die „große“ Politik schlägt sich weiterhin in den Bildern des „Führers“ 1936 in Weimar, vor allem aber in den privaten Aufnahmen vom Nürnberger Reichsparteitag 1937 nieder. Laut dem Kommentar wurde der Film in einem Pariser Labor entwickelt, der von ihm eine Kopie herstellte – so erfährt der Zuschauer die Überlieferungsgeschichte dieser Aufnahmen, die ebenfalls den Ton einer auf deutsch gehaltenen Mussolini-Rede einschließt.

Wie die unterschiedlichen Lebensbereiche immer mehr von den Nazis vereinnahmt wurden, verdeutlichten etwa die Bilder eines Braunschweiger Schulhofs, auf dem im Laufe der Zeit die Uniformen immer häufiger werden. Für die Erfassung der Freizeitaktivitäten durch die nationalsozialistischen Organisationen sprechen Filme über den Arbeitsdienst beim BDM oder über ein HJ-Zeltlager.

Die in „Heimat Deutschland 1933 – 1945“ zusammengetragenen Filme legen ebenfalls Zeugnis über die Zerstörung jüdischer Gotteshäuser in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 sowie über die Aufmärsche der Nazis. Die Einführung des Farbfilmes stellt die optische Allgegenwart der Fahnen mit dem Hakenkreuz unter Beweis: Rot erweist sich als die vorherrschende Farbe im Straßenbild.

Blieben in den Jahren 1933 – 1945 trotzdem irgendwelche „private“ Lebensbereiche bestehen? Es mutet befremdlich an, dass eine durch den Krieg kaum berührte „heile Welt“ ausgerechnet in Dachau existieren konnte. Die Privataufnahmen von einer Dachauer Bäckerfamilie zeigen beinah idyllische Zustände. Lediglich die „Freiwilligen“ in Häftlingskleidung, die bei den Lieferungen mitarbeiten, weisen auf die Nähe des Konzentrationslagers hin. Die Feier nach der Rückkehr eines politischen Gefangenen aus dem Konzentrationslager markiert die „Stunde Null“, mit der Kuballs Kompilation den Zuschauer entlässt.

Obwohl diese Amateurfilme nicht nur sehr heterogen ausfallen, sondern auch lediglich einen kleinen Ausschnitt bieten können, liefern sie eine ausdrucksstarke Ergänzung des „offiziellen“ Deutschland in der Hitler-Zeit durch die private Sicht der Ereignisse.
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