1:1 - AUGE UM AUGE | 1:1 (En til En)
Filmische Qualität:   
Regie: Annette K. Olesen
Darsteller: Mohammed-Ali Bakier, Joy K. Petersen, Anette Støvelbæk, Helle Hertz, Subhi Hassan, Brian Lentz, Paw Henriksen, Rose Copty
Land, Jahr: Dänemark/ Großbritannien 2006
Laufzeit: 90 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 5/2007


José García
Foto: Arsenal

Im dänischen Kino wirkt die im Jahre 1995 von Lars von Trier und zwei weiteren dänischen Regisseuren ins Leben gerufene „Dogma“-Bewegung nach. Obwohl die selbstauferlegten „Dogmen“ beim Drehen nicht mehr so streng angewandt werden, hat der Hang zur Authentizität im Spielfilm eine Art Neorealismus hervorgebracht, dem sich Annette K. Olesens Film „1:1“ („En til En“) verpflichtet weiß. So arbeitet sie größtenteils mit Laiendarstellern, die sie vorwiegend in Großaufnahme zeigt, wodurch die Regisseurin ihren Film mit beinahe dokumentarischer Unmittelbarkeit inszeniert.

In diese überaus realistische Handlung führt jedoch ein kunstvoll entworfener Vorspann ein: In den siebziger Jahren wird einer architektonischen Utopie folgend eine neue Wohnsiedlung am Reißbrett entworfen. Dreißig Jahre später ist die Hochbausiedlung am Rande von Kopenhagen indes zu einem sozialen Brennpunkt geworden, in dem vor allem muslimische Einwandererfamilien leben, darunter auch der palästinensische Jugendliche Shadi (Mohammed-Ali Bakier). Mit der gleichaltrigen Dänin Mie (Joy K. Petersen) bildet Shadi eine Art „Romeo und Julia“- Liebespaar.

Die ohnehin schwierige Beziehung wird auf eine harte Probe gestellt, als Mies 19-jähriger Bruder Per (Jonas Busekits) eines Nachts so schwer zusammengeschlagen wird, dass er ins Koma fällt. Mies und Pers Mutter Søs (Anette Støvelbæk) macht sich Vorwürfe, weil sie als eine der wenigen dänischen Familien in der Hochbausiedlung geblieben ist. Shadi verdächtigt seinen wegen Körperverletzung bereits vorbestraften älteren Bruder Tareq (Subhi Hassan), einen Amateur-Kickboxer ohne besonders viel Grips, weil er ihn in der Tatnacht mit blutgeschmierter Kleidung im Badezimmer ertappt hat. Obwohl Tareq jede Beteiligung an der Prügelei abstreitet, wird Shadi seinen Verdacht nicht los. Das durch Gerüchte geschaffene Misstrauen weckt latente Vorurteile, der Hass setzt eine Spirale der Gewalt in Bewegung.

Nach einem Drehbuch von Kim Fupz Aakeson siedelt „1:1“ seine Handlung in einem Vorort der dänischen Hauptstadt an. Der Schauplatz könnte allerdings ebenso gut jeder soziale Brennpunkt am Rande einer europäischen Großstadt sein. Eine solche Plattenbausiedlung in einem Pariser Vorort bildete etwa das Szenarium für den französischen Spielfilm „L’esquive“ (Abdellatif Kechiche 2004, siehe Filmarchiv), in dem französische Jugendliche und solche „mit Migrationhintergrund“ in ihrer geschlossenen Welt beobachtet wurden.

Während sich jedoch „L’Esquive“ den in sozialen Brennpunkten offensichtlich nahe liegenden Fragen von Gewalt und Aufeinanderprallen der Kulturen verweigert, konzentriert sich „1:1“ gerade auf die wegen mangelnder Integration latenten Konflikte, die durch Verdächtigungen offen zutage treten.

Regisseurin Annette K. Olesen geht es allerdings nicht nur um die Probleme einer multikulturellen Gesellschaft. „1:1“ ist vielmehr ein Film über Vorurteile und vor allem über die Furcht. Dazu führt Olesen aus: „Wenn sich die Welt, wie wir sie kennen, verändert, macht uns das unsicher. Wenn wir uns unsicher fühlen, ergreift uns die Furcht, dass wir verlieren könnten, was uns gehört. Wenn wir das befürchten, wollen wir Kontrolle ausüben. Im besten Fall ist Furcht ein Instinkt, der uns das Überleben ermöglicht. Im schlechtesten Fall ist sie ein Krebsgeschwür, das zu Angst mutiert. Dies ist ein Film über die Furcht. Ich wollte diese Geschichte ganz direkt erzählen. 1:1.“

Dazu setzt Olesen die klassische Dramaturgie des Verdachtes ein. Dieser bezieht seine Spannung daraus, dass der Film dem Zuschauer keinen Wissensvorsprung gewährt: Auch er fragt sich, ob Tareq nicht doch der Täter sein könnte. Von einer sparsam eingesetzten Klaviermusik unterstützt, fängt Regisseurin Olesen mit der Handkamera die wackeligen Gefühle der Hauptakteure ein. Die von Gebäudeinneren aufgenommenen Bilder der nächtlichen Straßen erzeugen darüber hinaus eine beklemmende Atmosphäre.
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