BLACK BOOK | Zwartboek
Filmische Qualität:   
Regie: Paul Verhoeven
Darsteller: Carice van Houten, Sebastian Koch, Thom Hoffman, Halina Reijn, Waldemar Kobus, Derek de Lint, Christian Berkel
Land, Jahr: Niederlande / Deutschland / Großbritannien 2006
Laufzeit: 142 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: G +, S +, X ++, U
im Kino: 5/2007


José García
Foto: NFP

Nach der erneuten filmischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus in einer Reihe neuerer Spielfilme („Der Untergang“, „Sophie Scholl – Die letzten Tage“, „Der neunte Tag“, „Napola – Elite für den Führer“) stellte Stefan Ruzowitzkys auf wahren Tatsachen basierender Spielfilm „Die Fälscher“ (siehe Filmarchiv) insofern eine Neuerung dar, als in seinem Film die „Guten“ und die „Bösen“ nicht klar getrennt sind. Die Frage nach dem moralisch richtigen Handeln der zur Mitarbeit in der Fälscherwerkstatt gezwungenen KZ-Häftlinge bleibt in „Die Fälscher“ stets umstritten.

Eine eindeutige Gut-Böse-Grenzziehung sucht man ebenfalls vergebens im nun anlaufenden Spielfilm „Black Book“ von Paul Verhoeven, der in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges in den Niederlanden angesiedelt ist.

Bei der Entwicklung des Filmmanuskripts orientieren sich Paul Verhoeven und sein niederländischer Drehbuchautor Gerard Soeterman zwar an wirklichen Begebenheiten, aber laut Verhoeven folgt „Black Book“ vorwiegend der Darstellung in dem Buch „Grijs Verleden“ („Graue Vergangenheit“, 2001) von Chris van der Heyden, der auf die vielfältige Kollaboration mit den deutschen Besatzern verweist. Regisseur Verhoeven: „Van der Heyden räumt mit dem Mythos auf, dass die Widerstandskämpfer Helden waren und die Niederländer, die mit den Deutschen sympathisiert haben, Verbrecher. Die Menschen sind weder Helden noch Verbrecher. Van der Heyden erlaubt alternative Interpretationen.“

Im Mittelpunkt von „Black Book“ steht die junge jüdische Sängerin Rachel Stein (Clarice van Houten), die während des Zweiten Weltkriegs bei einer Bauernfamilie Unterschlupf gefunden hat. Nachdem sie einen Versuch, mit ihrer Familie nach Belgien zu fliehen, alleine überlebt hat, schließt sich Rachel als Ellis de Vries in Den Haag dem Widerstand an, und wird auf den deutschen Chef des Sicherheitsdienstes Ludwig Müntze (Sebastian Koch) angesetzt. Der SS-Mann Müntze erweist sich allerdings als anständiger Deutscher, der die Gräueltaten seiner Landsleute verabscheut. So verliebt sich Rachel/Ellis in den Mann, den sie verführen und ausspionieren sollte. Als ein von langer Hand vorbereiteter Plan scheitert, eingekerkerte Widerstandskämpfer zu befreien, wird es klar: In den Reihen der angeblich aus patriotischen oder christlichen Motiven gegen die Nazis kämpfenden Widerstandsgruppe muss es einen „Maulwurf“ geben. Rachel/Ellis weiß nicht mehr, wem sie trauen darf. Die Grenze zwischen Gut und Böse verwischt zusehends.

Mit zunehmender Dauer gewinnt atemlose Action die Oberhand. Paul Verhoeven inszeniert „Black Book“ ausdrücklich als „Thriller“, wobei die Parallelen etwa zum letzten James Bond-Film „Casino Royal“ (siehe Filmarchiv) unübersehbar sind: Verfolgungsjagden, Verrat, Rache, Mord wechseln sich im immer höheren Tempo ab. Aber auch die Dramaturgie scheint Verhoeven von diesem und weiteren Agentenfilmen übernommen zu haben: Der größte Verräter ist stets der, von dem man es am wenigsten erwarten sollte.

Bereits im Vorfeld wurden die freizügigen, immer wieder ins Vulgäre abrutschenden Sexszenen des Films angeprangert. Sie zeigen freilich, dass sich Regisseur Paul Verhoeven mehr für die Oberfläche als für die Charakterentwicklung seiner Figuren interessiert. Vor lauter Action und „Unterhaltung“ vergisst der Regisseur, seinen Figuren Tiefe zu verleihen. So wird der SD-Chef Ludwig Müntze zwar als „guter Deutscher“ etabliert, seine Motivation bleibt jedoch im Unklaren.

Der Regisseur scheint darauf versessen zu sein, eine verkehrte Welt aufzuzeigen: Die holländischen Widerstandskämpfer folgen egoistischen Interessen, während sich etwa die „Nazi-Hure“ Ronnie (Halina Reijn) als die bessere Patriotin erweist. Diese Anschauung bleibt trotz der großartigen Schauspieler indes thesenhaft, weil den Darstellern zu wenig Spielraum gewährt wird, um die Figuren glaubwürdig zu veranschaulichen.

Dazu führt Paul Verhoeven aus: „Es ist sicherlich eine Neu-Interpretation holländischer Geschichte. Ich habe ein paar schmutzige Fässer aufgemacht und meine Geschichte darin angesiedelt. Man kann das als ‚revisionistisch’ bezeichnen, aber nicht in dem negativen, politischen oder faschistischen Sinne.“

Die sich revisionistisch gebende Sicht erweist sich jedoch als nachgerade überholt: Die Verwischung der Grenze zwischen Gut und Böse zu einem unbestimmten Grau – selbst die Widerstandskämpfer hätten nicht nur hehre Ziele verfolgt –, führt geradezu zur Kollektivschuld-These. Und diese zeitigt im Umkehrschluss eine verheerende Wirkung. Denn sie dient bekanntlich zur persönlichen Entlastung, und dadurch zur Verhöhnung auch derjenigen, die tatsächlich heldenhaft Widerstand geleistet haben.

Vergleicht man die zwei jüngsten Spielfilme über den Nationalsozialismus, so wird es deutlich, dass sie gegensätzlicher kaum sein könnten: Steht in Ruzowitzkys „Die Fälscher“ ein moralischer Konflikt im Mittelpunkt, so prägt „Black Book“ letztendlich die Unmoral.
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