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Filmische Qualität:   
Regie: Fatih Akin
Darsteller: Baki Davrak, Nursel Köse, Hanna Schygulla, Tunçel Kurtiz, Nurgül Yesilçay, Patrycia Ziolkowska, Yelda Reynaud
Land, Jahr: Deutschland / Türkei 2007
Laufzeit: 122 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X -
im Kino: 9/2007


José García
Foto: Pandora

Im gegenwärtigen Kino erfreut sich der Ensemblefilm großer Beliebtheit. So verknüpfen etwa sowohl Paul Haggis’ bei der Oscarverleihung 2006 zum Besten Film gekürtes Episoden-Drama „L.A. Crash“ als auch Alejandro González Iñárritus beim Filmfestival Cannes 2006 mit dem Preis für die Beste Regie ausgezeichneter „Babel“ (siehe Filmarchiv) die Schicksale mehrerer Menschen miteinander.

Eine solche Episodenstruktur besitzt ebenfalls der nun im deutschen Kino anlaufende Spielfilm „Auf der anderen Seite“ von Fatih Akin, der bei den Internationalen Filmfestspielen Cannes 2007 den Preis für das beste Drehbuch sowie den Preis der ökumenischen Jury erhielt, und nun von Deutschland offiziell ins Oscar-Rennen geschickt wird.

In drei Episoden erzählt „Auf der anderen Seite“ von sechs Menschen, deren Wege sich über zwei tragische, auf Zwischentiteln angekündigte Todesfälle kreuzen. „Auf der anderen Seite“ beginnt in Bremen, wo der türkische Witwer Ali (Tuncel Kurtiz) der Prostituierten Yeter (Nursel Köse) anbietet, gegen eine monatliche Zuwendung mit ihm zusammenzuleben. Alis Sohn Nejat (Baki Davrat), Germanistikprofessor an der Universität Hamburg, missfällt die Situation. Allerdings steigt Yeter in seiner Achtung, als er erfährt, dass die Frau Geld in die Türkei schickt, um das Studium ihrer Tochter zu finanzieren.

Als Ali im betrunkenen Zustand Yeter schlägt, stürzt sie unglücklich und stirbt. Während Ali in die Türkei abgeschoben wird, reist Nejat in die Türkei, um Yeters Tochter Ayten (Nurgul Yesilcay) aufzuspüren. Allerdings ist zu diesem Zeitpunkt die pro-kurdische Aktivistin Ayten längst illegal nach Deutschland geflüchtet. In Hamburg lernt Ayten die gleichaltrige Studentin Lotte (Patrycia Ziolkowska) kennen, die ihr anbietet, bei ihr und ihrer Mutter Susanne (Hannah Schygulla) zu wohnen. Nachdem aber Aytens Asylantrag abgelehnt wird, muss sie zurück in die Türkei, wo sie inhaftiert wird. Lotte gibt alles auf, um ihr nach Istanbul zu folgen. So verweben sich in der Türkei die Geschichten dieser Menschen immer mehr miteinander.

Dieses nachgerade komplexe, von Fatih Akin selbst verfasste Drehbuch setzt der deutsch-türkische Regisseur im ruhigen Rhythmus in beinahe poetische Bilder um, wobei Akin ein geradezu schlafwandlerisches Gespür für Timing zeigt.

Fatih Akin bedient sich insbesondere spiegelbildlicher Kameraeinstellungen, um die Verknüpfung der Schicksale visuell auszudrücken: So wird etwa zunächst ein Sarg von Deutschland nach Istanbul geflogen. Später folgt ein anderer Sarg demselben Weg, aber in entgegen gesetzter Richtung. Diesen Blick „von der anderen Seite“ bietet ebenfalls eine Kameraeinstellung auf einer Fähre in Istanbul, die zu einem späteren Zeitpunkt, allerdings spiegelverkehrt, wiederholt wird.

In einer Kamerafahrt in der Hamburger Uni wird deutlich, dass zwei dieser Figuren im selben Raum sitzen, ohne dass sie jedoch voneinander wissen. Dadurch macht der Film auch den zeitlichen Abstand zwischen den verschiedenen Episoden mit filmischen Mitteln sichtbar. Wenn sich am Ende der Kreis schließt, findet „Auf der anderen Seite“ zu einer Geschlossenheit, die den nichtlinearen Erzählduktus plausibel macht.

Erinnert „Auf der anderen Seite“ in seiner Konstruiertheit, und auch in seiner Tragik, an Pedro Almodóvars „Alles über meine Mutter“, so gemahnt Fatih Akins Film durch seine realistischen Bilder in satten Farben stellenweise auch an den letzten Film Almodóvars „Volver – Zurückkehren“ (siehe Filmarchiv).

Obwohl die Entwicklung seiner Charaktere nicht immer einleuchtend dargestellt wird – der anfänglich joviale Witwer verwandelt sich in einen „Pascha“, der Yeter als „Eigentum“ bezeichnet, der Germanistikprofessor gibt seine Stellung in Hamburg Hals über Kopf auf, um im ihm fremden Istanbul einen Buchladen zu übernehmen –, behandelt der Regisseur seine Figuren jedoch so liebevoll, dass sie dem Zuschauer ans Herz wachsen.

„Auf der anderen Seite“ erzählt indes nicht nur von Menschen, die zwischen zwei verschiedenen Kulturen hin- und herwandern. In kurzen, aber prägnanten Szenen prangert Fatih Akin darüber hinaus sowohl die türkische Justiz und die türkische antikurdische Politik als auch das deutsche Asylrecht an. Auch im Politischen sucht der Film Spiegelbildlichkeit.
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