SCHMETTERLING UND TAUCHERGLOCKE | Le scaphandre et le papillon
Filmische Qualität:   
Regie: Julian Schnabel
Darsteller: Mathieu Amalric, Emmanuelle Seigner, Marie-Josée Croze, Anne Consigny, Patrick Chesnais, Marina Hands, Max von Sydow
Land, Jahr: Frankreich / USA 2007
Laufzeit: 112 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: S
im Kino: 3/2008
Auf DVD: 10/2008


José García
Foto: Prokino

Jeder, der nach einer längeren Operation aus der Narkose aufgewacht ist, kennt das Gefühl: unzusammenhängende Bilder und Geräusche blitzen kurz auf, dann wird es wieder schwarz vor Augen, man verliert jegliches Raum-Zeitempfinden – bis das Bewusstsein nach und nach zurückkehrt.

Diese Empfindungen stellt Regisseur Julian Schnabel in seinem Spielfilm „Schmetterling und Taucherglocke“ mit filmischen Mitteln nach: unregelmäßige Auf- und Abblenden, Bilder in unterschiedlicher Schärfe, Fischaugenbilder, bei denen Gesichter sehr nah an die Kamera treten. Der Zuschauer begreift, dass er die subjektive Sicht eines Liegenden eingenommen hat.

Ein Arzt erklärt dem Liegenden/dem Zuschauer, was geschehen ist: Der Patient hat einen Hirnschlag erlitten und zwei Monate im Koma gelegen. Nun leidet er am seltenen „Locked-in-Syndrom“, das den Hirnstamm beeinträchtigt. Der Patient ist völlig gelähmt. Er kann nur noch sein linkes Augenlid bewegen.

Der „echte“ Jean-Dominique Bauby war 43 Jahre alt und Chefredakteur der Modezeitschrift „Elle“, als er am 8. Dezember 1995 während einer Autofahrt den Hirnschlag erlitt, der sein Leben veränderte. Mit Hilfe eines Buchstabiersystems und dank der Unterstützung durch die Lektorin Claude Mendibil wird er seine Erfahrungen in Buchform veröffentlichen können: „Le scaphandre et le papillon“ erscheint 1997, einige Wochen vor Baubys Tod. Die deutsche Ausgabe wird 1998 unter dem Titel „Schmetterling und Taucherglocke“ veröffentlicht. Eine Neuauflage (als „Buch zum Film“) ist pünktlich zum Filmstart bei dtv erschienen.

Auf der Grundlage von Baubys Buch entwickelte Ronald Harwood das Drehbuch für Julian Schnabels gleichnamigen Spielfilm, der 2007 beim Internationalen Filmfestival Cannes im Wettbewerb uraufgeführt wurde. In Cannes wurde „Schmetterling und Taucherglocke“ mit dem Preis für Beste Regie ausgezeichnet, ehe er bei den Golden Globes die Preise für die Beste Regie und den Besten ausländischen Film gewann, und viermal (Regie, adaptiertes Drehbuch, Kamera und Schnitt) für den Oscar nominiert wurde.

Im Krankenhaus von Berck-sur-Mer in der Normandie lernt Jean-Dominique Bauby (Mathieu Amalric) mit Hilfe eines von der Sprachtherapeutin Henriette Durand (Marie-Josée Croze) entwickelten Buchstabiersystems, das die Buchstaben nach ihrer Häufigkeit in der französischen Sprache ordnet, sich mit dem Aufschlag seines linken Augenlids mitzuteilen.

So diktiert er der Lektorin Claude Mendibil (Anne Consigny) Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort seine Erfahrungen. In mühsamer, vierzehnmonatiger Arbeit entsteht auf diese Art das 130 Seiten umfassende autobiographische Buch, dessen Erscheinen Jean-Do Bauby noch erleben kann, ehe er an einer Infektion stirbt.

In den ersten vierzig Minuten nimmt die Kamera die Perspektive des Liegenden ein. Der Zuschauer sieht ausschließlich durch das linke Auge eines Mannes. Er hört aber auch seine Gedanken, die wie ein Schmetterling durch die Landschaft seines Geistes flattern, während der Körper in einer Tauchglocke gefangen bleibt.

Mit seiner dritten Regiearbeit bringt der bildende Künstler Julian Schnabel zum Ausdruck, wie ein Maler die Kinoleinwand behandelt – wenn er mit einem großartigen Kameramann wie Janusz Kaminski zusammenarbeiten kann. Sein visuelles Konzept erläutert Schnabel folgendermaßen: „Eine spezielle Behandlung des Bildes war notwendig, um Jean-Dos Innenleben zu visualisieren. Ich machte den Film ganz so, als hätte er eine Textur, einen Körper, als ob er Haut hätte. Die ganze Leinwand war die Haut, und so sehe ich das auch beim Malen. Beim Drehen hatte ich das Gefühl: Ich mache den Raum. Ich mache die Farbe. Ich verlieh dem Raum durch kurze Brennweiten eine Wölbung, und setzte ein fluoreszierendes Licht in die Ecke.“

Jean-Dominique Bauby bekommt häufig Besuch von seiner Frau Céline (Emmanuelle Seigner) und den drei Kindern, obwohl sich Céline von ihm hatte scheiden lassen, als er sich mit einer Jüngeren einließ. Zu den ergreifendsten Momenten des Filmes gehört aber ein Telefongespräch Jean-Dos mit seinem Vater (Max von Sydow), der nicht mehr aus der Wohnung herauskommen kann.

Trotz des bekannten tragischen Ausganges ist „Schmetterling und Taucherglocke“ eine Hymne auf das Leben. Obwohl Bauby zunächst einfach sterben wollte, entdeckt er bald eine neue Schönheit am Leben. Jean-Do Baubys Geist bewegt sich lebendiger denn je, erlebt Augenblicke tiefer Verzweiflung, aber auch Momente echter Schönheit, und nicht zuletzt auch voller Komik. Die unaufdringliche Musik verstärkt den Eindruck eines wahrhaften Meisterwerks.
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