ACTRICES... ODER DER TRAUM AUS DER NACHT DAVOR | Le rêve de la nuit d'avant
Filmische Qualität:   
Regie: Valeria Bruni Tedeschi
Darsteller: Valeria Bruni Tedeschi, Louis Garrel, Noémie Lvovsky, Valeria Golino, Mathieu Amalric, Maurice Garrel, Marisa Borini
Land, Jahr: Frankreich 2007
Laufzeit: 107 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: X
im Kino: 4/2008


José García
Foto: Piffl

Filme über den Schauspielerberuf stellen ein eigenes, teils selbstreflexives, teils selbstbezügliches Genre dar. Billy Wilders Klassiker „Boulevard der Dämmerung“ („Sunset Boulevard“, 1950) handelt etwa von einer längst in Vergessenheit geratenen Diva aus der Stummfilmära, die in ihrer eigenen Welt lebt. Der Film bezieht seine ungeheure atmosphärische Dichte gerade aus den frappierenden Parallelen zwischen der Hauptdarstellerin Gloria Swanson und der von ihr gespielten Filmfigur.

Eine modernere, europäische Variante dieses Spiels mit dem Schauspiel lieferte im Jahre 2000 die französische Mimin und Regisseurin Agnès Jaoui mit ihrem Regiedebüt „Lust auf anderes“ („Le goût des autres“, 2000). Als vordergründige Satire auf Kulturbanausentum inszeniert, stellte der Film freilich den Dünkel einer Künstlerwelt bloß, die sich für souverän hält, aber eigentlich vom „Geschmack der anderen“ völlig abhängig ist. Eine wichtige Rolle spielt in dem Film der 1964 geborenen Agnès Jaoui, dass die zwei weiblichen Protagonisten die biologische Uhr immer lauter ticken hören, und sich nichts sehnlicher als Kinder und eine Familie wünschen.

Diese Themen nimmt nun die ebenfalls 1964 geborene Valeria Bruni-Tedeschi in ihrer zweiten Regiearbeit auf, in der sie erneut auch die Hauptrolle übernimmt: Die gefeierte Theaterschauspielerin Marcelline probt für die Rolle der Natalja Petrowna in Iwan Turgenjews „Ein Monat auf dem Land“, die sich in einen jungen Hauslehrer verliebt – genauso wie ihre eigene Pflegetochter.

Marcelline muss sich nicht nur in eine komplexe Rolle einfühlen, wobei ihr der Inszenierungsstil des Jungregisseurs Denis (Mathieu Amalric) besonders gegen den Strich geht. Denn Bewegung statt Psychologie ist das Credo des eigenwilligen Denis, der seine Darsteller unerbittlich über die Bühne jagt.

Besondere Schwierigkeiten bereitet ihr, dass sich ihre Figur der alternden Natalja Petrowna in den blutjungen Hauslehrer Alexej Nikolajewitsch verliebt, weil sie selbst mitten in einer Lebenskrise steckt. Seit ihr ihre Gynäkologin eröffnet hat, dass der kinderlosen, bald Vierzigjährigen die Zeit davon läuft, leidet Marcelline unter Torschlusspanik.

Vor den gut gemeinten Ratschlägen ihrer lebensfrohen Mutter (Bruni-Tedeschis eigene Mutter Marisa Borini) flüchtet sich Marcelline in die Kirche, wo sie die Muttergottes um Erfüllung bittet: „Heilige Jungfrau... Hilf mir, die Liebe zu finden... Heilige Jungfrau, lass mich ein Leben voller Sinn leben... und ich verzichte auf Ruhm und Erfolg.“ Und bei einem späteren Besuch: „Heilige Maria, ich bitte dich, schenke mir Erfüllung. Schenk mir ein Kind. Heilige Maria, voll der Gnade, ich habe es jetzt verstanden. Ich bin allein, und mir läuft die Zeit davon.“

Die Suche nach dem „Richtigen“ gestaltet sich für Marcelline allerdings alles andere als einfach: Ihre erste Liebe Julien starb tragisch, der nächste Freund Jean-Paul (Bernard Nissile) ist inzwischen verheiratet und Vater von Zwillingen, der junge attraktive Schauspielerkollege Èric (Louis Garrel), der auf der Bühne den Hauslehrer spielt, nähert sich ihr zwar auch außerhalb des Theaters an, doch Marcelline nimmt seine Avancen nicht ernst.

Auf der Suche nach Sinn bewegt sich Marcelline immer mehr zwischen Traum und Wirklichkeit. Ihr erscheinen nicht nur ihr verstorbener Vater (Maurice Garrel) und der ebenfalls tote Julien (Robinson Stevenin), sondern auch ihre eigene Bühnenfigur Natalja Petrowna selbst (Valeria Golino). In diesen traumhaften Begegnungen stellt sich Marcelline den existenziellen Fragen, die sie bewegen, und auf die sie eine Antwort sucht.

Diese Zusammenkunft der Theaterschauspielerin Marcelline mit der von ihr gespielten Natalja Petrowna spiegelt freilich auch eine zweite Ebene wider: Die Beziehung zwischen Marcelline und Valeria Bruni-Tedeschi selbst – die Frage also, wie viel Autobiografisches in „Actrices... oder der Traum aus der Nacht davor“ steckt.

Dazu führte die Regisseurin in einem Interview mit BR-online aus: „In jeder Figur steckt ein Teil von mir, egal ob als Regisseurin oder Schauspielerin oder beide zusammen. Das heißt nicht, dass die Übereinstimmung 1:1 sein muss. Ich erzähle von dem, was ich beobachte und von der Welt durch meine Augen. In diesem Sinn erzähle ich auch von mir.“

Im Gegensatz etwa zu „Lust auf anderes“, in dem Regisseurin Agnès Jaoui eine Nebenrolle spielt, steht in „Actrices“ Valeria Bruni-Tedeschi absolut im Mittelpunkt. Was dem Film eine gewisse narzisstische Note verleiht. Etwas weniger wäre auch hier mehr gewesen.
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