GESCHWISTER SAVAGE, DIE | The Savages
Filmische Qualität:   
Regie: Tamara Jenkins
Darsteller: Laura Linney, Philip Seymour Hoffman, Philip Bosco, Peter Friedman, Gbenga Akinnagbe, Cara Seymour, Tonye Patano, Guy Boyd, Debra Monk
Land, Jahr: USA 2007
Laufzeit: 113 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X
im Kino: 4/2008
Auf DVD: 10/2008


José García
Foto: Fox

Die Postkarten-Aufnahmen der sonnendurchfluteten Straßen, der älteren Menschen, die in einer gesichtslosen Neusiedlung mit Leibesübungen und sonstigen Beschäftigungen an der frischen Luft bei Laune gehalten werden, führen dem Zuschauer eine Art Senioren-Eldorado vor. In diesem Rentnerparadies Sun City im sonnigen Arizona lebt Lenny Savage (Philip Bosco), der allerdings bald Symptome einer fortschreitenden Demenzerkrankung zeigt. Weil sich nach dem Tod seiner Lebensgefährtin deren Kinder den hübschen Platz an der Sonne unter den Nagel reißen wollen, steht Lenny auch noch ohne Haus da.

Nun eilen Lennys Kinder Wendy (Laura Linney) und Jon (Philip Seymour Hoffman) aus der kühlen, regen- und schneegewohnten Ostküste herbei. Wendy und Jon hatten ihren Vater lange Zeit nicht mehr gesehen. Die (in der deutschen Fassung) titelgebenden Geschwister Savage waren offensichtlich so früh wie nur irgend möglich aus dem Elternhaus geflüchtet. Die Entfremdung rührte offenbar zum größten Teil aus der Gefühlskälte des Vaters. „Vielleicht hat er uns ja nicht im Stich gelassen, sondern nur vergessen“, fasst Wendy humorvoll ihr Verhältnis zum Vater zusammen.

Sucht Wendy trotzdem noch immer die Liebe ihres Vaters, so versucht Jon, Distanz zu ihm zu halten. Deshalb bemüht er sich, die Angelegenheit möglichst früh zu regeln, und sucht ein Pflegeheim in seiner Nähe, das Lenny aufnimmt.

Über eine an Alzheimer erkrankte Frau erzählte bereits im vergangenen Jahr Sarah Polleys Spielfilmdebüt „An ihrer Seite“ („Away from her“, siehe Filmarchiv). Polley setzte die Krankheit als Vehikel ein, um eine Geschichte um Vergangenheitsbewältigung, Wiedergutmachung und selbstlose Liebe zu inszenieren.

In „Die Geschwister Savage“ verknüpft Regisseurin Tamara Jenkins eine realistisch anmutende Geschichte über das Altern und dessen Nebenerscheinungen  der ruppige Umgangston unter den Bewohnern des Altersheims etwa spricht Bände  mit der Schilderung der Midlifecrisis, in der die Geschwister stecken.

So möchte sich Wendy am liebsten als Drehbuchautorin fürs Theater betätigen. Sie schreibt zwar an einem Theaterstück über ihre eigene Kindheit, muss aber in New York irgendeinem Bürojob nachgehen. Darüber hinaus unterhält sie eine Beziehung zu einem verheirateten Mann, die sie alles andere als glücklich macht.

Ihrem Bruder Jon ergeht es auch nicht besser: Er arbeitet als Dozent an einer eher unbedeutenden Universität in Buffalo. Obwohl er seine polnische Freundin liebt, schafft es Jon nicht, sich zu binden – das Trauma der zerrütteten Ehe seiner Eltern hält ihn davon ab.

Der lange Schatten der Vergangenheit lastet schwer auf den Geschwistern Savage. Die Erkrankung des Vaters bietet ihnen jedoch die Gelegenheit, sich aus der Sackgasse herauszumanövrieren, in die sie geraten sind.

Eine schwere Krankheit als Katalysator: darin stimmen „An ihrer Seite“ und „Die Geschwister Savage“ überein. Ebenfalls im Versuch, eine realistische Sicht auf die Situation und die Reaktionen der Familienangehörigen zu werfen.

Die Spielfilme Sarah Polleys und Tamara Jenkins’ unterscheiden sich indes in der Inszenierung: „An ihrer Seite“ wandert auf einem schmalen Grat zwischen den großen Gefühlen und der Gefühlsduselei. Dass der Film nicht ins Rührselige abdriftet, verdankt er größtenteils den Schauspielern, insbesondere Julie Christie.

„Die Geschwister Savage“ zeichnet sich hingegen durch einen mit bissigem Humor gepaarten groben Erzählton aus, der in letzter Zeit in einer Reihe Independentfilme aus den Vereinigten Staaten – etwa „Pieces of April – Ein Tag mit April Burns“ (siehe Filmarchiv), „Little Miss Sunshine“ (siehe Filmarchiv) oder „Juno“ (siehe Filmarchiv) – zu beobachten ist.

In solchen Filmen steht im Unterschied zum Mainstreamkino nicht so sehr die Handlung, sondern eher die Charakterzeichnung im Mittelpunkt. Scheinen anfangs die Savage-Geschwister eher klischeehaft, so lässt sie die sorgfältige Zeichnung lebendiger Figuren in der Überwindung der eigenen Bindungslosigkeit immer mehr an individuellen Konturen gewinnen.

Die pointierten Wortgefechte zwischen den Geschwistern und eine lebensnahe Komik, die von zwei exzellenten Schauspielern in Höchstform getragen werden (Laura Linney wurde für diese Rolle für den Oscar genauso nominiert wie Tamara Jenkins für ihr Original-Drehbuch), helfen selbst über die peinlichsten Situationen hinweg.

Wie die oben erwähnten Filme plädiert „Die Geschwister Savage“ auf ungewöhnliche, eher rau-rüde Art doch letztendlich für die Überwindung der Bindungslosigkeit, für Familienwerte und Solidarität.
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