BEN X | Ben X
Filmische Qualität:   
Regie: Nic Balthazar
Darsteller: Greg Timmermans, Laura Verlinden, Marijke Pinoy, Pol Goossen, Titus De Voogdt, Maarten Claeyssens, Tania Van Der Sanden, Johan Heldenbergh
Land, Jahr: Belgien 2007
Laufzeit: 90 Minuten
Genre: Zwischenmenschliche Beziehungen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 5/2008
Auf DVD: 10/2008


José García
Foto: Kinowelt

Jeden Morgen dasselbe feste Ritual: Der Oberschüler Ben Vertriest (Greg Timmermans) sitzt allmorgendlich von 5.45 bis 6.33 Uhr am Computer, um in die Welt des Online-Rollenspiels „Archlord“ einzutauchen.

In der Welt von „Archlord“ verwandelt sich Ben in den Ritter „Ben X“, der seine monsterartigen Gegner im Kampf vernichtet und von einer „Heilerin“ namens Scarlite bewundert wird. In der schönen, virtuellen Welt des Onlinespiels ist Ben ein Held.

Ganz anders in der realen Welt: Sobald Ben den Computer ausschaltet, und sich auf den Weg in die Technische Oberschule macht, beginnt für ihn ein viel härterer Kampf als gegen die finsteren Kreaturen von „Archlord“. Denn in der Schule muss er sich ebenfalls starken Gegnern stellen, insbesondere zwei Schlägertypen, Bogaert (Titus de Voogt) und Desmet (Maarten Claesyssens), die keine Gelegenheit unausgenutzt lassen, um Ben zu quälen.

Die Panzerung, die sich Ben in der realen Welt zulegt, besteht lediglich in Kopfhörern, die er aufsetzt, um nicht mitzubekommen, was um ihn herum passiert. Eine bessere Verteidigung kennt er nicht. Denn Ben leidet am Asperger-Syndrom, einer leichten Art von Autismus, die sich in einer Kontakt- und Kommunikationsstörung manifestiert.

Der junge Schauspieler Greg Timmermans spielt in seiner ersten Kinorolle den kontaktscheuen Ben insbesondere durch einen unsicheren-unruhigen Blick und eine angespannte Körperhaltung mit hängenden Schultern überzeugend. Im Interview mit dem Autor schildert Greg Timmermans, wie er sich die Rolle erarbeitete: „Ich habe mir Filme über Autismus angeschaut, vor allem aber habe ich Spezialschulen für Autisten besucht. Darüber hinaus habe ich mit vielen Psychiatern gesprochen, die mir dann sagen konnten, ob irgendein Verhalten übertrieben ist. Eigentlich habe ich versucht, mein eigenes Gefühl mit dem zu kombinieren, was die Fachleute schilderten.“

Die Situation eskaliert, nachdem die Erniedrigungen, die Ben immer wieder durchzustehen hat, einen traurigen Höhepunkt erreichen. Ben fasst einen Plan, um kein Opfer mehr zu sein, um dem „Spiel“ ein Ende zu bereiten.

Gerade in diesem Moment nimmt Scarlite (Laura Verlinden), die „Heilerin“ aus dem Online-Computerspiel, dem er sich als Einzigem anvertraut hatte, Kontakt zu Ben auf. Sie bietet ihm ihre Hilfe an. Für Ben eröffnet sich die Chance auf einen Neubeginn.

Basierend auf seinem eigenen Buch „Niets Was Alles Wat Hij Zei“ („Nichts, war alles, was er sagte“), in dem er reale Ereignisse verarbeitete, inszeniert Nic Balthazar „Ben X“ als Mischung zwischen realer und virtueller Welt. Die subjektive Kamera, die Bens Emotionen immer wieder einfängt, wechselt dann in die Welt von „Archlord“. Für Ben verwischen die Grenzen zwischen den beiden Welten immer mehr.

Das Ineinandergreifen dieser zwei Realitäten gibt „Ben X“ eine vorwiegend ein jugendliches Publikum ansprechende filmästhetische Anmutung. Dazu fügt der Regisseur eine dritte Ebene hinzu, die für die Dramaturgie seines Filmes besonders wirksam wird: In nach dem Stil einer Reportage inszenierten Interviews äußern sich Bens Eltern, Lehrer, Psychologen und Mitschüler.

Dazu erläutert Regisseur Nic Balthazar im Gespräch mit Autor: „Ursprünglich kommt diese Idee vom Theater. Wenn ein Theaterstück aufgeführt wird, gibt es immer ‚die anderen’, die auf den Handelnden schauen. Andererseits leben die Jugendlichen aber heute in einer Welt, in der unterschiedliche Medien gleichzeitig auf sie einwirken: Der Fernseher ist immer eingeschaltet, während sie zum Beispiel mit Freunden chatten oder am Computer spielen. Dieses Gefühl haben wir versucht wiederzugeben: Sie erleben den Film „Ben X“, wie die Jugendlichen so häufig heute eine Geschichte erfahren, teils durch ein dokumentarisches, teils durch ein fiktionales Medium.“

Zur Computerspiel-Ästhetik passt es denn auch, dass „Ben X“ drei oder gar vier mögliche Enden vorschlägt. „Dadurch wollte ich vor allem das Publikum einbeziehen“, führt dazu Nic Balthazar aus. „Die Zuschauer sollen aktiv mitdenken. Auch diese Idee kommt vom Theater. Die meisten Spielfilme bieten fertige Lösungen, sie kauen dem Zuschauer alles vor. Ich hatte mir hingegen vorgenommen, die unterschiedlichen Zutaten, sozusagen Puzzlestücke zu liefern, die der Zuschauer selbst zusammensetzen muss.“

Seine ernsten Themen – von „Mobbing“ über soziale Integration bis zum Einfluss von Computerspielen auf die Jugendlichen – behandelt „Ben X“ mit einer eigenwilligen Filmsprache, die insbesondere Jugendliche anspricht, wie die durchweg positiven Reaktionen auf der Berlinale 2008 zeigen, als „Ben X“ am Wettbewerb „Generation 14plus“ teilnahm.
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