AUGE IN AUGE – EINE DEUTSCHE FILMGESCHICHTE | Auge in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte
Filmische Qualität:   
Regie: Michael Althen, Hans Helmut Prinzler
Darsteller: (Mitwirkende): Michael Ballhaus, Doris Dörrie, Andreas Dresen, Dominik Graf, Tom Tykwer, Wim Wenders u.a.
Land, Jahr: Deutschland 2008
Laufzeit: 106 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: S
im Kino: 7/2008


José García
Foto: Zorro Film

Marcel Reich-Ranicki hat es für die Literatur getan: Am 11. Oktober 2003 stellte der ehemalige Literatur-Ressortleiter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ seinen Kanon der deutschen Literatur auf der Frankfurter Buchmesse vor (der „vollständige Kanon“ kann auf der Webseite www.derkanon.de nachgeschlagen und natürlich gleich mitbestellt werden). Selbstverständlich ruft eine solche Kanonisierung Pro- und Contra-Stimmen hervor.

Ähnliche Reaktionen hat nun ein Dokumentarfilm ausgelöst, den der F.A.Z.-Filmkritiker Michael Althen und der Filmhistoriker Hans Helmut Prinzler, ehemaliger Leiter der Deutschen Kinemathek und des Filmmuseums Berlin, unter dem Titel „Auge in Auge. Eine deutsche Filmgeschichte“ auf der Berlinale 2008 präsentierten, und nun im regulären Kinoprogramm startet.

Die Filmemacher weisen gleich zu Beginn darauf hin, dass ihrem filmgeschichtlichen Essay eine subjektive Auswahl zugrunde liegt: „Dies ist nicht DIE Geschichte des deutschen Kinos, sondern EINE Geschichte des deutschen Kinos. Auf jeden Film, der hier erwähnt wird, kommen hundert andere, die im Dunkeln bleiben. Aber dort, wo sich die Erinnerungen überschneiden, gibt es womöglich ein Wiedererkennen – und die Erkenntnis, dass alles, was wir heute sehen, wenig wert wäre ohne das, was wir gesehen haben. Denn was gerade noch Gegenwart war, wird bald so fern erscheinen, dass man gar nicht anders kann, als die eigene Geschichte darin zu erkennen.“

Althen, Jahrgang 1962, und Prinzler, geboren 1938, bieten allerdings nicht nur einen poetischen Filmessay über den deutschen Film. Sie verstehen ihre Dokumentation vielmehr als einen Film „über die Liebe zum Kino, eine Entdeckungsreise durch hundert Jahre deutsche Filmgeschichte, die zeigt, wie nahe uns in Wirklichkeit ist, was so fern erscheint.“

Die Autoren interviewen zehn Filmschaffende – fünf Regisseure, zwei Regisseurinnen, einen Schauspieler, einen Drehbuchautor und einen Kameramann –, die ihren jeweiligen Lieblingsfilm präsentieren: Zu der Auswahl gehören Klassiker wie Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“ (1922), vor dem sich Regisseur Tom Tykwer als Kind so sehr ängstigte, dass er den Film nicht zu Ende sehen konnte, „Menschen am Sonntag“ (1929) von Robert Siodmak/Edgar G. Ulmer, von dem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase vor allem die Kamera „ganz auf Augenhöhe des Alltags“ bewundert, sowie Fritz Langs Film „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931), den Wim Wenders wegen seiner „visuellen Erfindungen und der dokumentarischen Genauigkeit“ als seinen Lieblingsfilm bezeichnet.

Kameramann Michael Ballhaus, der sein Handwerk bei Rainer Werner Fassbinder erlernte und mittlerweile zu den etablierten „Directors of Photography“ von Hollywood gehört, zitiert Fassbinders Film „Die Ehe der Maria Braun“ (1979), bei dem er selbst die Kamera führte. Die Selbstbezüglichkeiten beziehungsweise Querweise setzten sich fort, wenn Regisseur Andreas Dresen Konrad Wolfs „Solo Sunny“ (1979) wegen seiner witzigen Dialoge anpreist, bei dem Wolfgang Kohlhaase das Drehbuch schrieb, oder Regisseurin Doris Dörrie Wim Wenders „Alice in den Städten“ (1973) vorstellt.

Neben diesen bekannten deutschen Filmen, zu denen noch Edgar Reitzs „Heimat“ (1984, vorgestellt von Regisseurin Caroline Link) und Alexander Kluges „Abschied von gestern“ (1966, Lieblingsfilm von Schauspieler und Autor Hanns Zischler) hinzukommen, finden auch eher unbekannte oder in Vergessenheit geratene Filmwerke Erwähnung: Regisseur Christian Petzold zitiert Helmut Käutners „Unter den Brücken“ (1944) und Regisseur Dominik Graf „Rocker“ (1972) von Klaus Lemke.

Zwischen diesen zehn Filmen, die in Ausschnitten vom jeweiligen „Paten“ vorgestellt werden, zeigt „Auge in Auge“ (sehr) kurze Zusammenschnitte aus mehr als 250 deutschen Filmen.

Diese werden nicht einfach aneinandergereiht, sondern in einer schönen Montage Motiven zugeordnet. Diese reichen von den Augen der Männer und den Blicken der Frauen („Wenn Frauen ihren Blick scharf stellen, dann sehen sie offenbar Dinge, von denen Männer nicht einmal träumen können...“, kommentiert dazu Michael Althen) über das Küssen, das Telefonieren, das Rauchen und die „Ruhestörungen“, bis hin zu den „Geschichten aus der Hauptstadt“. Hier finden Eingang Bilder etwa aus dem bekanntesten Berlin-Film, Walther Ruttmanns Dokumentarfilm „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“.

Mit ihrem Film erheben Althen und Prinzler in keinem Augenblick den Reich-Ranickischen Anspruch, einen deutschen Filmkanon schaffen zu wollen. Zu der Leichtigkeit dieses „Road-Movie“ durch (mehr als) hundert Jahre deutschen Films passt denn auch das Schlusswort von Michael Althen, der deutsche Film wolle immer gleichzeitig „Kunst und Rummelplatz sein, immer Alltag und Ekstase.“ „Auge in Auge - Eine deutsche Filmgeschichte“ beleuchtet auf subjektive, aber nichtsdestoweniger informative Art diese zwei Seiten des deutschen Films.
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