GRACE IS GONE | Grace is gone
Filmische Qualität:   
Regie: James C. Strouse
Darsteller: John Cusack, Shélan O'Keele, Gracie Bednarczyk, Alessandro Nivola, Doug James, Dana Lynne Gilhooley, Marisa Tomei, Doug Dearth
Land, Jahr: USA 2007
Laufzeit: 85 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 9/2008
Auf DVD: 4/2009


José García
Foto: Central

Der Gang verrät so Manches: Die eingezogenen, hängenden Schultern und die kraftlosen Beine drücken Antriebsschwäche, Lustlosigkeit, Resignation aus. Die unmoderne Brille verstärkt noch den Eindruck: Lebenslust scheint nicht zu den Charakterzügen von Stanley Philips (John Cusack) zu gehören.

Kann er seine Baumarkt-Mitarbeiter auf den Arbeitstag noch so einstimmen, als ginge es dabei um ein Football- oder Basketballspiel, so erlebt ihn der Zuschauer gleich in der nächsten Szene in einer passiven Haltung: Stanley sitzt als einziger Mann in einer Selbsthilfegruppe mit Frauen zusammen, deren Männer im Irakkrieg eingesetzt sind. Im Gegensatz zu den plappernden Soldatengattinnen gibt er sich eher verschlossen.

Zuhause erwarten Stanley seine zwei Töchter, die 12-jährige Heidi (Shélan O’Keefe) und die 8-jährige Dawn (Gracie Bednarczyk). Obwohl er sich ihnen gegenüber liebevoll verhält, sehr gesprächig zeigt sich der unauffällige Stanley auch im eigenen Haus nicht.

Ein Job, eine kleine Familie, ein kleines Reihenhaus. Den Eindruck des durchschnittlichen Mittelklasse-Amerikaners verstärken noch die Bilder von Stanleys Haus sowie von der Kleinstadt-Siedlung, in der die Familie wohnt. Die Familie Philips könnte für die Familien der Tausende im Irak stationierten Soldaten exemplarisch stehen.

Unvermittelt klingelt es bei Familie Philips am frühen Morgen: Zwei Militärs stehen vor der Haustür. Grace ist im Krieg gefallen. Die Leere, die diese Nachricht bei Stanley verursacht, wird durch das Ausblenden der Stimmen sowie durch die Leere, die auf einmal im Hause herrscht, ausgedrückt.

Als Stunden später die Mädchen von der Schule zurückkommen, sitzt Stanley noch wie gelähmt auf dem Sessel. Obwohl er eigentlich seinen Töchtern die traurige Nachricht übermitteln wollte, entschließt sich Stanley aus der Verzweiflung heraus zu einer Reise in einen Erlebnispark in Florida.

Tod und Verlust stehen zurzeit im amerikanischen Kino hoch im Kurs. Ob jeweils der Vater („Things We Lost In The Fire“, siehe Filmarchiv), ein Kind („Ein einziger Augenblick“, siehe Filmarchiv) oder die Mutter („Zurück im Sommer“, siehe Filmarchiv) stirbt, so thematisieren diese Spielfilme die Trauerbewältigung durch die (Rest-)Familie.

„Grace is gone“, das Spielfilmdebüt von James C. Strouse, bewältigt die Trauer in einer Art Roadmovie, in den sich Stanleys Flucht nach vorne verwandelt. Den Gesetzen des Roadmovie-Genres folgend, spiegelt sich die äußere Reise auch im Innern der Insassen wider. Kommen sich Vater und Töchter während der Fahrt näher, so reift insbesondere die älteste Tochter Heidi zusehends, je näher sie der Wahrheit auf eigene Faust kommt. Mit der inneren Aufgewühltheit von Stanley kontrastieren auffällig die ruhigen Bilder der Reise, die allerdings die immer wieder eingesetzte schnelle Schnittfolge konterkariert.

Der Film konzentriert sich konsequent auf seine drei Protagonisten. „Grace is gone“ ist ein regelrechter Schauspieler-Film. Neben einem John Cusak, der hinter der dicken Brille und der einstudierten Körpersprache den antriebsschwachen Mann bestens verkörpert, brilliert die junge Shélan O’Keefe mit einer überaus komplexen Darstellung: Von einem Augenblick auf den andern schlägt ihre kindliche Unbeschwertheit in eine tiefe Sorge um, die sie insbesondere durch ihre Blicke ausdrückt. Dies steht keineswegs im Gegensatz zur natürlichen Darstellung der beiden Mädchen Shelan O’Keefe und Gracie Bednarczyk, die dem Film Authentizität verleiht.

Obwohl „Grace is gone“ als Film über den Irakkrieg bezeichnet werden könnte, spielt der Krieg eine sehr untergeordnete Rolle. So kommen die einzigen Kriegsbilder, die im Film zu sehen sind, aus dem Fernsehgerät. Darüber hinaus wird der Krieg lediglich in einem Gespräch thematisiert, das Stanley mit seinem Bruder John (Alessandro Nivola) bei einem Zwischenstopp auf der Reise führt.

Obwohl die beiden Brüder gegensätzliche Ansichten vertreten, ergreift Autor und Regisseur James C. Strouse keine Partei. Der Irakkrieg stellt lediglich die Folie dar, auf der „Grace is Gone“ sein eigentliches Thema der Trauerbewältigung entfaltet. Obwohl der Film vor allem gegen Ende nicht frei von Pathos bleibt, vermeidet es der Regisseur auch mit Hilfe der vom berühmten Schauspieler und Regisseur Clint Eastwood komponierten, stimmigen Musik, in Rührseligkeit abzugleiten.

„Grace is gone“ gewann beim Sundance Filmfestival den Preis für das beste Drehbuch sowie den Publikums-Preis.
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