GOMORRHA - REISE IN DAS REICH DER CAMORRA | Gomorra
Filmische Qualität:   
Regie: Matteo Garrone
Darsteller: Toni Servillo, Gianfelice Imparato, Maria Nazionale, Salvatore Cantalupo, Gigio Morra, Salvatore Abruzzese, Marco Macor, Ciro Petrone, Carmine Paternoster
Land, Jahr: Italien 2008
Laufzeit: 135 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: G ++, S, X
im Kino: 9/2008
Auf DVD: 2/2009


José García
Foto: Prokino

Mit den Mafia-Filmen aus Hollywood, etwa Coppolas „Der Pate“ oder Scorseses „Goodfellas– Drei Jahrzehnte in der Mafia“, hat Matteo Garrones „Gomorrha – Reise ins das Reich der Camorra“ lediglich die allgegenwärtige Gewalt, die realistische Darstellung einer menschenverachtenden Brutalität gemeinsam. Eine herrschaftliche Villa wie die von Don Vito Corleone, wo die „bessere Gesellschaft“ dem Mafia-Paten ihre Reverenz erweist, prunkvolle Restaurants, hochglänzende Autos, elegant gekleidete Mafiabosse sucht man in Matteo Garrones auf dem Tatsachenroman von Roberto Saviano basierendem, mit dem Großen Preis der Jury beim Filmfestival Cannes ausgezeichnetem und nun im deutschen Kino anlaufendem Film vergebens.

„Gomorrha – Reise ins das Reich der Camorra“ zeigt die neapolitanische Spielart der Mafia „Camorra“ vielmehr aus der Sicht der kleinen Leute. Angesiedelt in einer schäbigen Plattenbausiedlung am Stadtrand von Neapel, dient dem Film als Rahmenhandlung die blutige Fehde, die sich in diesem sozialen Brennpunkt zwei verfeindeten Mafiaclans liefern.

Bereits die Eingangssequenz dokumentiert mit drastischer, erbarmungsloser Lakonie, wie solche Kämpfe ausgetragen werden: Junge Mafiosi mit auffallenden Tatoos und goldenen Kettchen bräunen sich in einem Sonnenstudio, scherzen miteinander. Plötzlich werden sie mit ein paar Kugeln niedergestreckt. Auf der Folie dieses Bandenkrieges verschmilzt der Film in fünf ineinander verschachtelten Handlungssträngen fünf Schicksale, die einen Einblick in die mafiösen Strukturen der Camorra gewähren.

Im heruntergekommenen Plattenbau wohnt der 13-jährige Totò (Salvatore Abruzzese), der für allein stehende Frauen Einkäufe erledigt. Weil sein Vater im Gefängnis sitzt, sorgt für den Lebensunterhalt Totòs und seiner Mutter die Mafia-„Familie“. Als sich aber Totò als Bote für den gegnerischen Clan verdingen will, gerät sein und seiner Mutter Leben in Gefahr.

Zwischen die beiden Clans gerät auch Don Ciro (Gianfelice Imparato), der Buchhalter der Mafia. Mit pedantischer Genauigkeit zählt er die Geldscheine, die er für den Unterhalt der Familien der Toten und Inhaftierten verteilt. Als er sich aber nicht mehr sicher ist, von wem er Befehle zu empfangen hat, plagen ihn Skrupel. Doch damit erreicht er nur, dass ein Blutbad angerichtet wird.

Blutig endet auch die Geschichte von Marco und Ciro (Marco Macor, Ciro Petrone), zwei Halbstarke, die in ihrem jugendlichen Übermut ein Waffenlager der Camorra ausheben. Sie träumen von einer Gangsterkarriere und glauben, sich mit den Mafiabossen messen zu können. Zu spät merken sie, dass mit solchen Skrupellosen nicht zu spaßen ist.

Nicht eine Mafiakarriere, sondern eine ganz normale Arbeit sucht Roberto (Carmine Paternoster), nachdem er sein Studium abgeschlossen hat. Die Chance erhält er von Franco (Toni Servillo), der im Bereich der Giftmüllentsorgung arbeitet. Bald wird aber auch Roberto mit menschenverachtenden Methoden konfrontiert, die ihn nicht kalt lassen.

Im Mittelpunkt des fünften Handlungsstrangs steht der talentierte Schneider Pasquale (Salvatore Cantalupo). Pasquale arbeitet bei einer kleinen Firma, die für die Haute Couture billig produziert. Noch billiger arbeiten jedoch die chinesischen Konkurrenten, die ihm ein unwiderstehliches Angebot machen. In Neapel wird ein solcher Verrat freilich mit Blut bezahlt.

Diese parallel verlaufenden Handlungen beleuchten exemplarisch verschiedene Aspekte der Camorra. Der Inszenierungsstil ist nüchtern, die Handkamera bleibt den Protagonisten immer nahe. Trotz des unambitionierten Reportagestils, der auf gekünstelte Stilmittel verzichtet, gelingen Regisseur Matteo Garrone eindringliche Szenen. So etwa, als nach einem Leck bei der illegalen Giftmüllentsorgung die Lkw-Fahrer streiken. Der skrupellose Franco ruft einfach etwa zehnjährige Jungen zusammen, die sich ans Steuer der Laster setzen. So kann Franco – und mit ihm der Zuschauer – aus sicherer Distanz beobachten, wie die Kinder die mit dem billig zu „entsorgenden“ Giftmüll beladenen Lastwagen in die Mülldeponie bringen.

Und als Marco und Ciro mit einer Maschinenpistole am Strand herumtollen und aufs Meer schießen, bleibt dem Zuschauer das Lachen im Hals stecken. Der schmutzige Strand steht wie die verfallenen Häuser und die heruntergekommenen Ruinen für die dokumentarische Realitätsnähe von „Gomorrha – Reise ins das Reich der Camorra“, die im Gegensatz zu den Mafiafilmen aus Hollywood ohne jeglichen Glanz die infamen Machenschaften der Camorra entlarvt.
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