LA BOHÈME | La Bohème
Filmische Qualität:   
Regie: Robert Dornhelm
Darsteller: Anna Netrebko, Rolando Villazón, Nicole Cabell, George von Bergen (Gesang: Boaz Daniel). Adrian Eröd (Gesang: Stéphane Degout), Vitalij Kowaljow
Land, Jahr: Österreich / Deutschland 2008
Laufzeit: 106 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 10/2008
Auf DVD: 9/2009


José García
Foto: NFP

Der österreichische Regisseur rumänischer Herkunft Robert Dornhelm wollte Anna Netrebko und Rolando Villazón in seinen eigenen Worten „ein Denkmal setzen“. Deshalb hat er Giacomo Puccinis „La Boheme“ verfilmt. Weil Dronhelms Film keine verfilmte Opernaufführung ist, sondern ein Kinofilm, muss er sich an filmischen Maßstäben messen lassen.

Dass die Handlung vortrefflich fürs Kino taugt, steht außer Frage. Denn als Melodram lässt sich „La Bohème“ mit den größten Melodramen der Filmgeschichte, etwa mit Victor Flemings „Vom Winde verweht“ (1939), durchaus vergleichen. Die tragische Liebesgeschichte geht dem Zuschauer richtig zu Herzen: Im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts fristen vier Künstlerfreunde ein kümmerliches Leben in einer armseligen Mansarde. Der Dichter Rodolfo (Rolando Villazón), der Maler Marcello (George von Bergen, Gesang: Boaz Daniel), der Musiker Schaunard (Adrian Eröd, Gesang: Stéphane Degout) und der Philosoph Colline (Vitalij Kowaljow) verkörpern den idealtypischen „Bohemien“, der sich einer brotlosen Kunst hingibt.

Als am Weihnachtsabend die Freunde beschließen, in ihrem Stammlokal „Café Momus“ zu feiern, bleibt Rodolfo zunächst alleine in der Mansarde zurück. Bald klopft an seine Türe die schöne, aber kranke Mimi (Anna Netrebko). Auf der Stelle verlieben sie sich ineinander. Die Liebe währt aber nicht lange. Denn am Ende stirbt die lungenkranke Mimi in den Armen des Dichters, der daraufhin verzweifelt zusammenbricht.

Für die musikalische Einspielung verwendete Regisseur Robert Dornhelm die Aufzeichnung der konzertanten Aufführung der Oper in der Münchener Philharmonie am Gasteig mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Bertrand de Billy (April 2007), bei der Anna Netrebko und Rolando Villazón die Hauptrollen gaben.

Das bedeutet freilich, dass im Film die Schauspieler/Sänger nicht richtig singen, sondern lediglich ein Playback liefern, wobei in einigen Rollen (insbesondere Marcello und Schaunard) sogar der jeweilige Sänger durch einen Schauspieler ersetzt wurde. Merkwürdigerweise war es nicht zu erfahren, aus welchem Grund dies geschah, ob etwa Boaz Daniel und Stéphane Degout für die Filmarbeiten nicht zur Verfügung standen, oder aber sie – wie etwa die dickliche Yang Peiyi bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking – nicht für (Kino-)kameratauglich befunden wurden.

Rolando Villazón konnte naturgemäß nicht durch einen Schauspieler ersetzt werden, was sich allerdings als das größte schauspielerische Manko des Filmes erweist. Denn im Gegensatz zu Anna Netrebko, die sich zurückzunehmen weiß und dadurch darstellerische Qualitäten beweist, chargiert der mexikanische Tenor in jeder Einstellung, als befände er sich auf den Brettern eines Opernhauses statt in einem Filmset. Sein Spiel erinnert an die Darsteller im frühen Film etwa der zehner und zwanziger Jahre, die den Unterschied zwischen Theater und Kino noch nicht realisiert hatten.

Diesen Unterschied scheint auch Regisseur Robert Dornhelm kaum begriffen zu haben. Trotz der streckenweise aufwändigen Kulissen, die in der Filmstadt Wien („Rosenhügel-Studios“) gebaut wurden, unterscheidet sich seine Inszenierung kaum von einer „verfilmten Aufführung“. Selten setzt er filmische Stilmittel etwa Großaufnahmen der Gesichter oder Kameraüberblendungen ein.

Dadurch, dass Dornhelm Werktreue offensichtlich vorwiegend als eine Frage der Ausstattung versteht, wirkt „La Bohème“ ziemlich verstaubt. Der Film bietet zwar die Möglichkeit, Anna Netrebko und Rolando Villazón auf der großen „Bühne“ zu „erleben“, ohne in eins der großen Opernhäuser der Welt gehen zu müssen. Die Chance, aus der Kinotauglichkeit der Oper „La Bohème“ einen großen „Vom Winde verweht“-Kinofilm zu drehen, hat Robert Donrhelm indessen verpasst.

Übrigens: Eine moderne Kinoversion von „La Bohème“ brachte Aki Kaurismäki mit „Das Leben der Bohème“ (1992) auf die Leinwand. Zwar wird beim finnischen Regiemeister nicht gesungen, aber sein Spielfilm setzt Henri Murgers Roman „Scènes de la vie de Bohème“ („Pariser Zigeunerleben“, 1851), der Puccini für seine Oper als Vorlage diente, stimmig in einen Kinofilm um. Mit Kaurismäki eigenwilliger, weil lakonischer Melancholie werden hier die Figuren des von allzu früh verstorbenen Matti Pellonpää dargestellten Malers Rodolfo, des Komponisten Schaunard und des Dichters Marcel gestaltet. Sie alle fristen in einem von poetischem Realismus geprägten Paris des 19. Jahrhunderts ein trostloses Leben, ehe sie die bald darauf sterbenskrank werdende, lebenslustige, hübsche Mimi kennen lernen.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren