FREMDE SOHN, DER | Changeling
Filmische Qualität:   
Regie: Clint Eastwood
Darsteller: Angelina Jolie, John Malkovich, Jeffrey Donovan, Michael Kelly, Colm Feore, Jason Butler Harner, Amy Ryan
Land, Jahr: USA 2008
Laufzeit: 142 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 1/2009
Auf DVD: 8/2009


José García
Foto: Universal

Bereits zu Beginn von Clint Eastwoods „Der fremde Sohn“ („Changeling“) wird der Zuschauer in die Zeit hineingerissen, in der er angesiedelt ist. Denn auf der Leinwand prangt ein altmodisches Universal-Logo aus den zwanziger, dreißiger Jahren. Und gleich darauf folgen die Ankündigung „Eine wahre Geschichte“ sowie eine präzise Orts- und Zeitangabe: „Los Angeles, 9.3.1928“. Eingefrorene Schwarzweiß-Bilder spielen zusätzlich auf Authentizität an. Sie gehen in bewegte, nun farbige Bilder über, und auf der Leinwand nimmt die Geschichte ihren Lauf.

Diese nimmt sich so unglaublich aus, dass der Hinweis auf die „wahre Geschichte“ keineswegs überflüssig erscheint. An diesem 9. März verspricht die alleinerziehende Mutter Christine Collins (Angelina Jolie) ihrem neunjährigen Sohn Walter, am nächsten Tag mit ihm ins Kino zu gehen, wo der neue Charlie-Chaplin-Film läuft. Doch am Samstagmorgen muss sie für eine erkrankte Kollegin einspringen, so dass der Kinobesuch auf den Sonntag vertagt wird. Als Christine von der Arbeit am Samstagabend nach Hause kommt, ist ihr Sohn jedoch spurlos verschwunden. Alle Bemühungen der Polizei bleiben zunächst erfolglos.

Fünf Monate später verkündet die Polizei stolz, sie habe Walter gefunden. Das „Los Angeles Police Department“ schlachtet die Begegnung der Mutter mit dem wiedergefundenen Sohn medial aus – ein solches Erfolgserlebnis kommt ihm gerade richtig, um seinen durch diverse Korruptionsskandale angeschlagenen Ruf wiederherzustellen. Als Christine Collins jedoch vor den Augen der Polizei und der Reporter den Jungen am Bahnsteig erblickt, beschleicht sie ein ungutes Gefühl, das bald zur Gewissheit wird: Dieser Junge ist nicht ihr Sohn Walter.

Die Polizei stempelt die Mutter als Hysterikerin ab, und sperrt sie ohne richterliche Anordnung in einer psychiatrischen Klinik ein. Dagegen kämpft allein der Presbyterianer-Prediger Reverend Gustav Briegleb (John Malkovich), der in der Kirche und in seinen beliebten Radiosendungen immer wieder auf die Missstände hinweist und tatsächlich dafür sorgt, dass Christine freigelassen wird. Eher zufällig wird eine grausige Mordserie bekannt, der von einem psychopathischen Serienkiller verübt wurde. Womöglich befand sich auch Walter in seiner Gewalt.

Die Kamera von Tom Stern, der seit 2003 Clint Eastwoods Filme fotografiert hat, taucht den Film entgegen den Erwartungen eines sonnigen Kaliforniens in meistens dunkle, ausgewaschene Farben ein, die zum dem Thema adäquaten, düsteren Ambiente beitragen. „Der fremde Sohn“ besticht darüber hinaus durch ein außerordentlich detailgenaues Produktionsdesign: Möbel und sonstige Einrichtungsgegenstände, Kostüme, Autos sind akribisch rekonstruiert.

Zu dieser Authentizität gehört etwa auch die Oscarnacht des Jahres 1935, die in „Der fremde Sohn“ eine Art Epilog darstellt: An diesem 27. Februar sitzt Christine Collins allein im Büro. Sie hat die Einladung ihres heimlich in sie verliebten Chefs ausgeschlagen, zu einer Party mitzugehen. Aber sie macht ihm Hoffnung: Wenn entgegen dem favorisierten „Cleopatra“, den sie „überschätzt“ findet, Frank Capras „Es geschah in einer Nacht“ („It Happened One Night“) gewinnt, will sie sich mit ihm zum Essen verabreden. Cineasten kennen den Ausgang dieser Oscarnacht – sie können sich mit Christine Collins freuen.

Frank Capras Film kommt besonders zu Ehren in der letzten Einstellung von „Der fremde Sohn“: Eine wieder ins Schwarzweiß changierende Straßenszene zeigt ein Kino mit dem Aufschrift „It Happened One Night“. Für Clint Eastwood bedeutet der Verweis auf Frank Capra indes nicht nur cineastische Liebhaberei. Denn genauso wie Capras Filme zum Inbegriff des Kampfes eines einfachen, guten Menschen gegen die Mächtigen wurden, erweist sich „Der fremde Sohn“ als Auseinandersetzung einiger Aufrechter – zu denen auch der Polizeioffizier Lester Ybarra (Michael Kelly) gehört – gegen eine korrupte Welt voller Intrigen und Lügen.

Der unbedingte Wille zur Authentizität geht allerdings teilweise zu Lasten der Dramaturgie. Als etwa der integre Polizist Ybarra den Serienkiller entlarvt hat, kann sich der Psychopath (Jason Butler Harner) zunächst nach Kanada zu seiner Mutter absetzen. Dort wird er aber festgenommen und nach Los Angeles zurückgebracht, wo er sich vor Gericht verantworten muss. Dieser Abstecher mag dem tatsächlichen Tathergang entsprechen. Dem Spannungsbogen eines Spielfilmes wirkt er jedoch eher abträglich.

Dadurch erreicht „Der fremde Sohn“ in der zweiten Filmhälfte kaum die atmosphärische Dichte, die Clint Eastwoods „Mystic River“ (siehe Filmarchiv) auszeichnete. Dennoch: Die letzte Regiearbeit Clint Eastwoods überzeugt in der emotionalen Darstellung des Kampfs einer Mutter, die niemals die Hoffnung aufgibt, ihren verlorenen Sohn wieder zu finden.
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