STILLES CHAOS | Caos Calmo
Filmische Qualität:   
Regie: Antonello Grimaldi
Darsteller: Nanni Moretti, Valeria Golino, Isabella Ferrari, Alessandro Gassmann, Blu Yoshimi, Silvio Orlando, Hippolyte Girardot, Alba Rohrwacher
Land, Jahr: Italien 2008
Laufzeit: 112 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: X
im Kino: 1/2009
Auf DVD: 8/2009


José García
Foto: koolfilm

Der italienische Schauspieler und Regisseur Nanni Moretti nahm sich des Themas Trauerarbeit bereits im Jahre 2001 in „Das Zimmer meines Sohnes“ (siehe Filmarchiv) an. Nun startet im regulären Kinoprogramm ein Spielfilm mit Nanni Moretti in der Hauptrolle, der am offiziellen Wettbewerb der Berlinale 2008 teilnahm und bei der Filmkunstmesse Leipzig 2008 mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde: „Stilles Chaos“ („Caos Calmo“). Obwohl Moretti diesmal nicht Regie geführt hat, verfasste er zusammen mit Laura Paolucci und Francesco Piccolo das Drehbuch mit. Regie führt aber Antonello Grimaldi.

Ein Sommertag am Strand: Während Pietro (Nanni Moretti) und sein Bruder Carlo Paladini (Alessandro Gassman) Strand-Tennis spielen, hören sie die verzweifelten Rufe zweier Schwimmerinnen. Nachdem sie die beiden Frauen vor dem Ertrinken gerettet haben, kehren sie nach Hause zurück. Dort erwartet Pietro ein harter Schicksalsschlag: Seine Frau ist unglücklich gestürzt, jede Hilfe kam für sie zu spät.

Der plötzlich verwitwete Manager einer Pay-TV-Firma muss sich fortan um seine kleine Tochter Claudia (Blu Yoshimi) kümmern. Als er sie zur Schule bringt, kommt er auf den Gedanken, vor der Schule den Unterrichtsschluss abzuwarten. Ab diesem Moment verbringt Pietro Paladini seine Tage statt im Büro im kleinen Park vor der Schule, wo er das Klassenzimmer seiner Tochter in ständigem Blickkontakt behält. Langsam lernt Pietro die Menschen kennen, die dort vorbeikommen. Besonders rührend: Der bald zur Gewohnheit gewordene Gruß durch das Piepsen des Autos an einen Jungen mit Down-Syndrom, der täglich mit seiner Mutter den Park durchquert. Oder die Blicke, die er mit einer hübschen Hundbesitzerin tauscht. Bald bekommt der Manager im Wartestand Besuch von Verwandten und Kollegen, die sich nach seinem Wohlbefinden erkundigen, aber auch bei ihm Hilfe und Rat suchen.

Die Probleme, mit denen der Ratgeber wider Willen konfrontiert wird, nehmen sich wie ein Querschnitt zeitgenössischer Lebensgefühle aus. Als da sind die Gefühlswirrungen seiner schwangeren Schwägerin, die Bemühungen seiner Kollegen um den Zusammenschluss mit einem internationalen Medienkonzern oder auch die Warnungen des Kollegen Samuele (Silvio Orlando) vor einer solchen Fusion. Zur Sprache kommt aber etwa auch der Stellenwert, den die Religion für Samuele einnimmt.

Über einige unglaubwürdige Wendungen im Drehbuch hinaus befremdet vor allem eine ungewöhnlich lange Sexszene, die zum Ton des Filmes in keinem Zusammenhang steht. Zur Leichtigkeit, mit der die Trauerarbeit garniert wird, ohne sie deshalb zu banalisieren, passen viel eher die teilweise skurrilen Listen, die Pietro im Laufe der Zeit anfertigt.

Für die langsame Überwindung der Trauer und die Verarbeitung einer anfangs fast emotionslosen Reaktion sowohl von Pietro als auch von Claudia findet Kameramann Alessandro Pesci ganz ruhige Bilder: Die Kamera scheint immer lediglich zu beobachten. Sie wird von einer adäquaten Musik begleitet, die sich wie die Kamera in keinem Augenblick in den Vordergrund drängt. Dazu bietet „Stilles Chaos“ interessante Dialoge, die in keinem Augenblick Pathos durchscheinen lassen. Sie verraten vielmehr den literarischen Ursprung von „Stilles Chaos“, handelt es sich dabei doch um die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Sandro Veronesi. Zur leisen Melancholie gesellt sich in den Dialogen und den verschiedenen Begegnungen Pietros ein leichtfüßiger Humor, der stets verhindert, dass aus dem Film ein gefühliges Rührstück wird.

Grimaldis Film hält meistens die Balance zwischen der Trauer und dem Humor, so dass „Stilles Chaos“ einen beschwingteren Charakter als etwa „Das Zimmer meines Sohnes“ besitzt. Durch die unterschiedlichen Situationen scheint stets darüber hinaus die Liebe des Vaters zu seiner kleinen Tochter hindurch.

Dank einer überragenden schauspielerischen Leistung Nanni Morettis gelingt es dem Film, die durch den Tod eines geliebten Menschen hinterlassene Leere begreiflich zu machen. Obwohl die Trauerarbeit Pietros keinerlei Öffnung zur Transzendenz einschließt, macht „Stilles Chaos“ die Gelegenheit einsichtig, die einem Neubeginn innewohnt, und die etwa dem bislang erfolgsorientierten Leben Pietros ein menschlicheres Antlitz geben kann. Dadurch zeichnet „Caos calmo“ eine größere Hoffnung auf einen Neubeginn als etwa die schiere Verzweifelung im themenverwandten „Das Zimmer meines Sohnes“ aus.
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