SELTSAME FALL DES BENJAMIN BUTTON, DER | The Curious Case of Benjamin Button
Filmische Qualität:   
Regie: David Fincher
Darsteller: Brad Pitt, Cate Blanchett, Taraji P. Henson, Julia Ormond, Jason Flemyng, Tilda Swinton, Elle Fanning
Land, Jahr: USA 2008
Laufzeit: 165 Minuten
Genre: Literatur-Verfilmungen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: X
im Kino: 2/2009
Auf DVD: 5/2009


José García
Foto: Warner Bros.

In Interviews und Talkshows wird häufig die Frage gestellt: „Wenn Sie Ihr Leben noch einmal leben könnten, was würden sie anders machen?“. Wobei selbstredend gemeint ist: „Wenn Ihr Leben wieder von vorne anfangen würde“. Zu fragen: „Was würden Sie anders machen, wenn Sie Ihr ganzes Leben wieder erleben würden, indem es ab jetzt rückwärts verliefe?“, fällt wahrscheinlich kaum jemandem ein – zu abstrus erscheint wohl die Fragestellung. Der US-amerikanische Schriftsteller F. Scott Fitzgerald kam jedoch auf einen ähnlich eigentümlichen Gedanken, als er 1921 die Kurzgeschichte „The Curious Case of Benjamin Button“ („Der seltsame Fall des Benjamin Button“) veröffentlichte, die nun David Fincher nach einem Drehbuch von Erich Roth für die große Leinwand adaptiert hat.

Der lange (165 Minuten) und erzählerisch komplexe Spielfilm beginnt mit einer auf dem Sterbebett liegenden alten Dame, die am Tag des Hurrikans Katrina (August 2005) in New Orleans zusammen mit ihrer Tochter (Julia Ormond) die letzten Stunden ihres Lebens verbringt.

Erste Rückblende: Als eine Art Prolog schildert der Film, wie im Jahre 1918 der blinde Uhrmacher Monsieur Gateau für den Bahnhof von New Orleans eine wunderschöne Uhr baute. Als sie in Gegenwart von President Roosevelt eingeweiht wird, stellen die Anwesenden indes mit Erstaunen fest, dass sich die Uhrzeiger verkehrt herumdrehen. Monsieur Gateau wollte damit die Zeit zurückdrehen, damit die im Ersten Weltkrieg Gefallenen – darunter auch sein eigener Sohn – wieder lebendig würden. Damit wird das in „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ vorherrschende Thema eingeführt: Das Erleben der rückwärts verlaufenden Zeit.

Als im Krankenzimmer die alte Dame ihre Tochter bittet, aus dem Tagebuch von Benjamin Button vorzulesen, kehrt dieses Motiv zurück: „Ich bin unter ungewöhnlichen Umständen geboren“, heißt es zu Beginn. Wahrlich einzigartig, denn der 1918, am letzten Tag des ersten Weltkrieges, in New Orleans geborene Benjamin trägt die Züge eines Greises. Entsetzt über sein seltsames Aussehen, setzt ihn sein Vater vor einem Altersheim aus. Dort zieht ihn das schwarze Hausmädchen Queenie (Taraji P. Henson) auf: „Er ist ja hässlich, aber auch ein Kind Gottes. Im Laufe der Zeit stellt es sich heraus, dass Benjamin immer jünger wird. Als er etwa elf Jahre alt ist, aber wie ein 80-Jähriger aussieht, verliebt er sich in die etwa siebenjährige Daisy (Elle Fanning), die in der im Jahre 2005 angesiedelten Rahmenhandlung im Sterben liegt.

Der Film konzentriert sich auf die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckende Beziehung zwischen Benjamin (Brad Pitt) und Daisy. Es ist etwa rührend, sie unter dem Tisch im Altersheim bei Kerzenschein spielen zu sehen. Sie verlieren sich ein erstes Mal aus den Augen, und treffen sich erst wieder, als Daisy (nun von Cate Blanchett dargestellt) etwa 20 Jahre alt ist und als Tänzerin Karriere macht. Aber das Wiedersehen ist nur von kurzer Dauer. Es müssen wieder zwei Jahrzehnte vergehen, ehe sie erneut zusammenfinden. Auf die wenigen Jahre des gemeinsamen Glücks, in denen sie etwa gleichaltrig sind, und auch äußerlich gleich alt wirken, folgt eine neue Trennung. Denn Benjamin will nicht zum Kind an der Seite seiner immer älter werdenden geliebten Daisy werden. Erst gegen Ende des Films treffen sie auf tragische Weise ein letztes Mal aufeinander.

Für seine phantastische Geschichte findet der Film ein märchenhaftes Produktionsdesign, das zwar artifiziell, aber nie kitschig anmutet. Dem entlockt die Kamera von Claudio Miranda sehr emotionale Bilder für die sich im Laufe der Zeit verändernde Bildsprache. Zur Filmsprache gehören aber etwa auch die „Rückblenden“, in denen der „running gag“ des Filmes in Szene gesetzt wird: Der Mann, der siebenmal vom Blitz getroffen wurde.

Diese sich über ein ganzes Leben erstreckende Liebesgeschichte hätte zwar Gelegenheit geboten, das zwanzigste Jahrhundert Revue passieren zu lassen. Im Gegensatz aber zu „Forrest Gump“ (1994), zu dem ebenfalls Eric Roth das Drehbuch verfasste, nimmt „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ wenig Bezug auf die Weltgeschichte. Diese beschränkt sich im Wesentlichen auf einen TV-Auftritt der Beatles und auf eine in der Ferne aufsteigende Weltraumrakete.

In „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ interessiert den Drehbuchautor und den Regisseur eher die Reflexion über das Altwerden beziehungsweise wider den Jugendlichkeitswahn. In wohl keinem Spielfilm der letzten Jahre ist so selbstverständlich vom Leben und vor allem vom Tod gesprochen worden, wie in „Der seltsame Fall des Benjamin Button“. Im Altersheim, in dem Benjamin aufwächst, „war der Tod ein ständiger Besucher. Menschen kamen und gingen“. Die Reflexion über das Altwerden, insbesondere aber über das Sterben ist das eigentliche Sujet dieses Spielfilmes, die das Potenzial eines Klassikers besitzt.

Ein Potenzial, das die amerikanische Filmakademie erkannt hat: „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ geht mit 13 Nominierungen ins diesjährige Oscar-Rennen.
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