CAPTAIN ABU RAED | Captain Abu Raed
Filmische Qualität:   
Regie: Amin Matalqa
Darsteller: Nadim Sawalha, Rana Sultan, Hussein Al-Sous, Udey Al-Qiddissi, Ghandi Saber, Dina Ra'ad-Yaghnam, Mohammad Quteishat, Nadim Mushahwar, Faisal Majali, Lina Attel, Ali Maher
Land, Jahr: Jordanien 2007
Laufzeit: 110 Minuten
Genre: Zwischenmenschliche Beziehungen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 3/2009


José García
Foto: MFA +

Angekündigt wird „Captain Abu Raed“ als der erste jordanische Spielfilm, der außerhalb seines Heimatlandes im Kino zu sehen ist. Der Abschlussfilm von Drehbuchautor und Regisseur Amin Matalqa am American Film Institute in Los Angeles erzählt allerdings eine universale Geschichte um die Kraft der Fantasie.

Der ältere Abu Raed (Nadim Sawalha) arbeitet am Flughafen der jordanischen Hauptstadt Amman. Er gehört jedoch nicht der bewunderten Zunft der Piloten, sondern dem Reinigungspersonal an. Tagsüber reinigt er den Boden, leert Aschenbecher und Mülleimer. Abends bringt ihn der Flughafenbus in ein eher heruntergekommenes Viertel der Hauptstadt, wo er in seiner einfachen Wohnung seinem frühren Leben nachtrauert und so manches Zwiegespräch mit seiner verstorbenen Frau hält, während er auf der Terrasse mit dem wunderschönen Blick über Amman einsam Tee trinkt.

In einer Parallelhandlung wird eine selbstbewusste junge Flugkapitänin eingeführt: Nour (Rana Sultan) gehört einer ganz anderen Gesellschaftsschicht als Abu Raed an. Sie wohnt in der elterlichen Villa in einem eleganten Stadtviertel. Ihre reichen Eltern sind vor allem bestrebt, ihre bildhübsche Tochter zu verheiraten. Eilig hat es Nour damit freilich nicht.

Das Ereignis, das die Filmhandlung vorantreibt, ist denkbar unscheinbar – wie Abu Raeds Leben selbst: Eines Tages findet die Reinigungskraft eine ausrangierte Kapitänsmütze in einem Flughafen-Mülleimer. Auf dem Nachhauseweg setzt sie Abu Raed auf, und wird vom Nachbachjungen Tarq (Udey Al-Quiddissi) für einen echten Flugkapitän gehalten. Obwohl der ältere Mann dem Jungen zunächst einmal klarzumachen versucht, dass in einem solchen Stadtbezirk kein Pilot leben würde, lässt sich Tarq nicht abschütteln. Bald darauf klingt es bei Abu Raed: Als er die Tür öffnet, steht davor eine ganze Kinderschar, die von ihm Geschichten aus der großen, weiten Welt hören will.

Abu Raed wächst nach und nach in die Rolle des Geschichtenerzählers hinein. Was auf den ersten Blick wie ein heiterer Kinderfilm mit modernen Tausendundeiner Nacht-Erzählungen aussieht, nimmt jedoch eine ernste Wendung, sobald die Lebensumstände der Kinder bekannt werden. So verkauft etwa Tarq Süßigkeiten auf der Straße statt zur Schule zu gehen. Noch schwieriger hat es aber Murad (Hussein Al-Sous), der sich von Abu Raed nicht täuschen lässt, und sich in den Kopf gesetzt hat, den vermeintlichen Piloten als Lügner zu enttarnen.

Die Weigerung Murads, sich von Abu Raed in eine Fantasiewelt entführen zu lassen, sowie seine Aggressivität haben handfeste Gründe: Zuhause werden er und seine Mutter von seinem alkoholabhängigen Vater regelmäßig verprügelt. Als Abu Raed davon erfährt, entwirft er mit Hilfe der Flugkapitänin Nour einen Plan, um Murad und dessen Familie aus dieser Situation herauszuholen.

In seiner Mischung aus exotischen Schauplätzen und klassischer Dramaturgie erinnert „Captain Abu Raed“ an Marc Forsters „Drachenläufer“ (siehe Filmarchiv), wobei die Grundzüge des Drehbuches denen von Clint Eastwoods „Gran Torino“ (siehe Filmarchiv) ganz ähneln: ein älterer, vereinsamter Witwer, der einem Jungen eine Art Großvater-Ersatz wird. Auch die solide Kameraführung von Reinhart Peschke mit hervorragenden Einstellungen und schönen Panoramabildern sowie der ruhige Schnitt, der allerdings gelegentlich die Frequenz erhöht, verraten eine sichere Hand. Zur Glaubwürdigkeit trägt wesentlich darüber hinaus die ruhige Art des Hauptdarstellers Nadim Sawalha bei.

Der sorgfältigen handwerklichen Leistung entsprechen aber auch interessante Themen. Denn mit seinen Erzählungen flösst Abu Raed den Kindern Hoffnung auf eine bessere Welt als die, in der sich ihr Alltag abspielt. Ohne die schwierigen sozialen Verhältnisse und die deutlich skizzierten gesellschaftlichen Schranken zu beschönigen handelt „Captain Abu Raed“ von der Kraft der Träume, aber auch von der Schönheit einer Freundschaft über Alters- und Klassenunterschiede hinweg. Die Zuneigung, die sich zwischen dem alten Mann und dem Jungen, aber auch zwischen Abu Raed und der emanzipierten Nour entwickelt, macht Amin Matalqas Film zu einem kleinen Filmjuwel.

„Captain Abu Raed“ wurde von Jordanien für den Oscar vorgeschlagen. Zwar wurde der Film nicht in die engere Oscar-Wahl genommen, aber er konnte auf etlichen Filmfestivals auf der ganzen Welt Preise einheimsen, von der Auszeichnung als „Best Asian Film“ auf dem Kuala Lumpur International Film Festival bis zum Publikumspreis beim renommierten Sundance Festival.
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